Weihnachten in einem 265 Jahre alten Messbuch

Prächtiges Missale aus St. Dionysius gab einige Rätsel auf

0 23.12.2021

BORBECK. Bücher erzählen Geschichten – wer in diesen Tagen mal wieder mehr schmökert, weiß das. Aber Bücher haben eben auch ihre eigene Geschichte. Dies zeigen natürlich besonders alte Bücher. Sie gibt es auch in Borbeck: So konnten wir hier bereits im letzten Jahr vor dem Weihnachtsfest ein Buch vorstellen, das einen tiefen Blick in die Geschichte rund um die alte St. Dionysiuskirche werfen ließ. Ein altes Messbuch von 1756 zeigt eine wunderschöne Krippendarstellung, auf die uns Heinz Werner Kreul erneut aufmerksam macht.

So lohnt in diesen Tagen, in denen sich viele ja ein „Frohes Weihnachtsfest“ wünschen, tatsächlich ein zweiter Blick, um der Geschichte von Weihnachten nachzugehen. Denn wer die fröhlichen Gesichter auf diesem Kupferstich der „Anbetung der Hirten“ aus dem Borbecker „Novum Missale Coloniense“ betrachtet, die Haltung der Figuren und die lebensnahe Darstellung, wird diese Freude ganz sicher dort wiederfinden.

Fröhliche Krippenszene

Es ist ein wirklich fröhliches Bild, das hier in Kupfer gestochen wurde: Gezeigt werden ganz einfache Leute, die sich über ein neugeborenes Kind freuen. Arme Hirten, von denen in der Bibel die Rede ist, nähern sich vorsichtig und behutsam. Fast meint man zu hören, wie sie der strahlenden Mutter Maria und Josef ganz leise ihre Glückwünsche sagen. Ein Andachtsbild: Es zeigt keine wuchtige Tempel- und Säulenkulisse, keine großen Geschenke, die mitgebracht werden – es ist eine sehr intime kleine Szene, die so gar nichts mit dem in der Entstehungszeit oft typischen barocken Pomp zu tun hat. Bis auf eine einzige Ausnahme im oberen Teil des Bildes: Hier halten fliegende Engelfiguren eine Schriftband mit den Worten „Gloria in excelsis deo“- „Ehre sei Gott in der Höhe“.

Der Kupferstecher Jan Goossens

Der Künstler selbst, von dem dieser Kupferstich aus dem jetzt 265 Jahre alten Messbuch stammt, hat sich ganz unscheinbar am unteren Bildrand links verewigt: „Jo. Goossens scup.“ ist dort zu lesen. Um herauszufinden, wer sich dahinter verbirgt, muss man schon richtig auf die Suche gehen: Hinter dem Kürzel steckt Jan (Johann) Baptist Goossens, ein flämischer Kupferstecher (scup.), der 1645 oder 1655 in der heute belgischen Hafenstadt, Wirtschafts- und Kulturmetropole Antwerpen geboren wurde. Von September 1670 bis 1671 wird er dort als Lehrling bei Frans Gou in der berühmten Lukasgilde erwähnt, einer der verbreiteten Künstlergilden, die sich nach dem Evangelisten Lukas benannt hatten. Als Mitglied dieser Zunft, der viele berühmte Maler angehörten, war Goossens ab 1674 Meister, hatte mehrere Schüler (J.B. Possemiers, J.B. Bason, Peeter Kockx, H.F. Diamaer) und ist bis 1701/02 dort verzeichnet.

Seine Spur allerdings führt ab ca. 1680 auch nach Köln, wo er wohl als Kupferstecher und Kunsthändler tätig war. In dieser Zeit versuchte sich Goossens auch an großen Vorbildern, kopierte Albrecht Dürers Passionszyklus, er illustrierte in Köln verlegte Andachtsbücher (1682) und Kirchliche Jahrbücher (1683). Im „Missale S. coloniensis ecclesiae“, erschienen in Köln 1754, ist sein Bild von der Anbetung der Hirten als erstes von sieben weiteren Stichen aus seiner Hand zu finden. Sie zeigen den Heiland am Kreuz, die Auferstehung, Himmelfahrt, Geistsendung, das Abendmahl, die Himmelfahrt Mariens und das Allerheiligenfest. Zumeist wird es sich dabei wohl um Kopien bzw. Adaptionen damals bekannter Gemälde handeln.

Stabile Bücher für die Liturgie

Welchem konkreten malerischen Vorbild Jan Goosens bei seiner Hirtenszene im Missale hier tatsächlich folgte, ist bislang nicht festzustellen. Doch schien das Motiv dem Herausgeber und Verleger des Kölner Messbuchs noch lange nach seinem Tod wohl so passend, dass er diese Darstellung als erste Abbildung beim Neudruck des Messbuchs für das Erzbistum Köln aufnahm. Denn hier gab es neben dem seit 1570 nach dem Konzil von Trient für die ganze katholische Kirche verbindlichen Römischen Messbuch eine Besonderheit: Sehr alte Bistümer durften einer eigene Liturgieordnung folgen. Davon machten die Erzdiözesen Köln, Trier und Münster bis weit ins 19. Jahrhundert Gebrauch und führten die vollständige römische Liturgie erst um 1900 ein.

Erzbischof Ferdinand von Bayern ließ das erste Kölnische Messbuch 1625 drucken, ein verbesserter Neudruck erschien 1626 (1) in der berühmten „Officina Plantiniana“ in Antwerpen. Ein gutes Jahrhundert später, 1756, veranlasste Erzbischof Clemens August, Herzog von Bayern (1723–1761), Bischof von Köln, Münster, Hildesheim, Osnabrück und Paderborn, einen Neudruck des Eigenmissale, diesmal mit einer größeren Angleichung an den römischen Kalender. Der Kupferstich auf dem Titelblatt zeigt unter seinem Wappen die Kölner Diözesanheiligen wie Petrus, Maternus, Severinus, Gregor von Spoleto, Ursula, Felix und Nabor, Mauritius, Kunibert, Evergislus, Agilolphus, Heribert, Anno und Engelbert, die später übrigens auch die einst vollständig ausgemalte Dionysiuskirche zierten. Alle Bücher wurden mit den oben erwähnten ganzseitigen Kupferstichen von Jan Baptist Goossens ausgestattet.

Die im Groß-Folio-Format gedruckten Messbücher für den täglichen Gebrauch in der Messe wurden repräsentativ und stabil hergestellt. Sie verfügten über feste Holzdeckel mit Buntpapierbezug, die außen mit goldgeprägtem Leder gebunden waren. Zudem wurden sie mit barocken Silberbeschlägen an den Buchkanten und -ecken sowie zwei Silberschließen versehen. Das Borbecker Exemplar trägt zudem ein zentrales Widmungsschild. Eine auf das „Missale Coloniense“ von 1756 abgestimmte Neuausgabe des Diözesanbreviers, das die Priester privat zu beten hatten, erschien nach der Neuauflage des Messbuchs anschließend 1780 in vier Bänden in Köln.

Buch kam aus der alten Reichsabtei Werden

Das damals vor 275 Jahren gedruckte Messbuch, das lange für die täglichen Gottesdienste in der Pfarrei St. Dionysius in Gebrauch war, stammt jedoch gar nicht aus Borbeck. Es kam offensichtlich ursprünglich aus Werden. Denn dort war am 3. Januar 1803 durch Napoleon die Benediktiner-Abtei aufgelöst worden. Von dort vertrieben wurde dadurch auch der aus Dorsten stammende Benediktinerpater Gottfried Schwane, der zuvor 1797–1803 Pastor an St. Clemens am Born am Werdener Pastoratsberg war. Er fand Zuflucht und neue Aufgabe an der damals einzigen Kirche in der ganzen Borbecker Bürgermeisterei, brachte dabei das alte Messbuch von 1756 mit, wurde 1807 als Pastor an St. Dionysius eingeführt (3) und war dort bis zu seinem Verzicht als Pfarrer tätig. Am 14. November 1840 übergab er seinem Nachfolger Joseph Legrand die Pfarrei. Vor seinem Abschied aber nahm Schwane eben dieses Missale zur Hand und schrieb in Latein mit Tinte in das Buch:

„In meiner Borbecker Pfarrei, die wohlgeordnet ist, bin ich von August 1807 bis zum Fest des hl. Martin 1840 mit der Hilfe der Dreifaltigkeit ein ehrwürdiger Pastor gewesen.

Dieses Missale biete ich dieser Pfarrei an in Dankbarkeit und Ehrerbietung gegenüber ihren Patronen, der hl. Jungfrau Maria, dem hl. Dionysius und Donatus, und übergebe dieses Missale den hier tätigen Priestern für die Feier der hl. Messe.

Borbeck, Nov. 1840, Gottfried Schwane, Profess im Orden des hl. Benedikt der am 3. Januar 1803 in ihrer Freiheit unterdrückten Abtei Werden“. (4)

Ein Bild, ein Buch, ein Künstler und eine Geschichte, die bei einigen Recherchen gleich an mehrere Orte führt – so schnell kann sich der Blick weiten, wenn man genau hinschaut. Nicht nur auf das, was offensichtlich ist, sondern auch auf das, was hinter den Dingen ist. Doch bei all dem Spannenden, was sich aus einer Suche ergeben mag: Manches - wie die einfache Fröhlichkeit, die aus der Szene von dem Kupferstich in diesem alten Messbuch spricht - springt eben auch schnell ins Auge. Und darauf kommt es Weihnachten – gerade in diesen Zeiten – vielleicht besonders an.

CB

"Die Anbetung der Hirten" im Borbecker Messbuch von 1756, Monogramm des Kupferstecher Jan Baptist Goossens unten links im Bild

Anmerkungen:

  • (1) MISSALE S. COLONIENSIS ECCLESIAE, iussu Serenissimi et Reverendissimi Domini D. Ferdinandi Archiepiscopi [...] recognitum et S. Romanae Ecclesiae caeremoniis accomodatum, et novis quibusdam sanctorum officiis [...] auctum. Antverpiae ex Officina Platiniana sumptibus Petri Cholini M.DC.XXVI;
  • (2) MISSALE S. COLONIENSIS ECCLESIAE, iussu Serenissimi et Reverendissimi Domini D. Clementis Augusti Archiepiscopi Coloniensis recognitum et S. Romanae Ecclesiae caeremoniis accomodatum et novis quibusdam sanctorum officiis ab eadem Ecclesia Romana approbatis auctum (Köln 1756).
  • (3) Dort war das lateinisch verfasste „Missale Romanum“ von 1711 in Gebrauch: s. Christof Beckmann, Karwoche: Die Zeit, die Geschichte und ein altes Messbuch. Ein Fundstück von 1711 aus der Pfarrei St. Dionysius Borbeck, in www.borbeck.de, 12.04.2019: https://www.borbeck.de/nachrichten-details/karwoche-die-zeit-die-geschichte-und-ein-altes-messbuch.html
  • (4) ursprüngliche Übersetzung: Pater Johannes Wielgoß
  •  

Quellen:

  • Heinz, Andreas: Diözesanliturgien in Deutschland nach dem Konzil von Trient. Münster – Köln – Trier, in: MThZ 67 (2016) 332–350
  • Merlo, Joh. Jac.: Kunst und Künstler in Köln, Nachrichten von dem Leben und den Werken Kölnischer Künstler, Köln 1850
  • Nagler, Georg Kaspar: Die Monogrammisten und diejenigen bekannten und unbekannten Künstler aller Schulen, Band 4, München 1858
  • Rombouts, Ph. & Van Lerius, Th.: De Liggeren en andere historische archieven der Antwerpsche Sint Lucasgilde onder de zinspreuk: Wt ionsten versaemt (2 Bände), Antwerpen: Baggerman; ’s Gravenhage: Nijhoff (1864-1876), Band 2: 403, 406, 437, 442, 544, 621 & 632
  • Heurck, Emile-H. van: Les images de dévotion Anversoises, De Gulden Passer. 8. Jg., 1930, Nr.2
  • Kreul, Heinz Werner: Ein kostbares Messbuch aus alter Zeit. Pastor Schwane schrieb 1840 eine Widmung in das vermutlich 1756 erschienen Missale, in www.borbeck.de, 20.12.2020, https://www.borbeck.de/nachrichten-details/ein-kostbares-messbuch-aus-alter-zeit.html
  • Abbildungen und Quelle zum Messbuch „Novum Missale Coloniense“: Dionysius-Archiv / Pater Johannes Wielgoß / Archiv Kreul

Der Blick auf das Druckbild der Ausgabe von 1756, die der damals in Bonn residierende Erzbischof Clemens August Anfang Juni des Jahres approbierte. Unten: Blatt mit der handschriftlichen Eintragung von Pastor Gottfried Schwane

 

 

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