Wanderausstellung zum jüdischen Festjahr eröffnet

Auftakt in der Alten Synagoge Essen

0 03.03.2021

ESSEN. Am Dienstag, 2. März, ist in Essen die Wanderausstellung „Menschen, Bilder, Orte - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gestartet, ein Höhepunkt im laufenden Jubiläumsjahr 2021. „Jüdische Geschichte reicht in Europa sehr weit zurück“, betonte Muchtar Al Ghusain, Beigeordneter für Jugend, Bildung und Kultur der Stadt Essen, beim Livestream zur Eröffnung aus der Alten Synagoge: „Es ist wichtig, dass gerade auch junge Menschen die Vielfalt europäischer Kultur kennenlernen können, und dazu trägt die europäisch-jüdische Kultur in ihren Facetten sicher viel bei. Jüdinnen und Juden sind die älteste nichtchristliche Minderheit Deutschlands. Es geht um jüdische Kultur in ihrer Vielfalt und Tradition und nicht nur um Verfolgungsgeschichte.“

Die Schau mit geografischem Fokus auf Rheinland und Westfalen erzählt die Geschichte und Geistesgeschichte des Judentums in Deutschland. Dabei stellt sie Menschen in den Mittelpunkt, deren Lebenswege markante Ereignisse und Epochen jüdischer Geschichte in Deutschland widerspiegeln. Darunter sind etwa der Musiker Isaac Offenbach (1779-1850), Vater des Komponisten Jacques Offenbach (1819-1880), die katholische Ordensfrau und Philosophin Edith Stein (1891-1942), die vom Judentum zum Christentum konvertierte, sowie der Schriftsteller Heinrich Heine (1797-1856), der ebenfalls jüdischer Herkunft war. Vier begehbare und multimedial bespielten Kuben widmen sich jeweils einem der vier übergeordneten Themen „Recht und Unrecht“, „Leben und Miteinander“, „Religion und Geistesgeschichte“ sowie „Kunst und Kultur“. Jeder Kubus steht für sich, doch die Inhalte verbinden sich zu einem Ganzen. Eindrücklich, vielfältig und interaktiv wird so die jüdische Geschichte lebendig medial inszeniert.

Vier Schauräume zeigen lebendige Geschichte

So wirft Kubus 1 ein Schlaglicht auf „Recht und Unrecht“, das der jüdischen Bevölkerung im Laufe der vergangenen 1700 Jahre durch Ausgrenzung, Verfolgung und Mord widerfuhr. Schwerpunkt sind die Pestpogrome von 1349, die spätmittelalterliche Ausweisung aus den Städten und die Schoa. Aber auch Phasen der Gleichberechtigung werden verdeutlicht, geänderte Verfassungen, neue und wieder eingeschränkte Rechte und die Bildung eines jüdischen Staates auf der Grundlage des Zionismus. Dargestellt werden die Zeit nach der Schoa, ihre Aufarbeitung und Vermittlung, das Wiederaufleben der Gemeinden im 20. Jahrhundert und der Zuzug vieler Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion.

Das „Leben und Miteinander“ stellt Kubus 2 vor - insbesondere das Zusammenleben von Jüdinnen und Juden sowie Christinnen und Christen im Laufe der Jahrhunderte. Anhand von Befunden aus dem spätmittelalterlichen jüdischen Viertel in Köln werden der Alltag und das Miteinander von ihnen erzählt. Die Neuzeit wird etwa durch Abraham von Oppenheim (1804-1878), einen jüdischen Bankier und Mäzen, repräsentiert, dessen Familie den Kölner Dombau maßgeblich unterstützte. Der protestantische Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner wiederum baute die Synagoge in der Kölner Glockengasse. Im Gegensatz zum selbstverständlichen Miteinander in jener Epoche steht der Antisemitismus der heutigen Zeit, der ebenfalls in diesem Teil vorgestellt wird.

„Religion und Geistesgeschichte“ wie die Niederschrift des mündlichen Gesetzes, die jüdische Aufklärung (Haskala) und neue Strömungen im Judentum werden im Kubus 3 behandelt. Hier sind auch grundlegende Schriften mit ihrer Verwendung für verschiedene Anlässe vorgestellt – so der in Köln entstandene Amsterdam Machsor, die Haggada Offenbach und die sogenannte Mischne Tora Kaufmann. Weitere Inhalte beschäftigen sich mit der Synagogenarchitektur oder der Konversion.

Kunst und Kultur werden mit Schwerpunkt auf rituellen und kulturellen Aspekten in Kubus 4 beleuchtet. Hier sind die Feiertage mit ihren Riten und Symbolen erklärt, dazu gibt es Einblicke in die Kunst, Musik und Unterhaltungskultur gegeben: Der Bogen spannt sich mit Gemälden von Felix Nussbaum, Marc Chagall und Max Liebermann über Architekturen von Erich Mendelsohn und Gottfried Semper bis hin zur Musik von Hermann Zivi, Friedrich Hollaender, Ben Salomo und Orphaned Land.

Ausstellung real und virtuell

Die Wanderausstellung „Menschen, Bilder, Orte - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ist ein Projekt des „MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier“ und der LWL-Kulturstiftung. Sie ist eines von 24 Projekten, das die LWL-Kulturstiftung im Rahmen des Förderschwerpunktes „2021 - Jüdisches Leben in Deutschland“ unterstützt und wird noch bis zum 27. April in der Alten Synagoge gezeigt.

Da die Synagoge aufgrund des Lockdowns bis einschließlich 7. März für das Publikum geschlossen bleibt und der Besuch der Ausstellung erst mit einer Änderung der Corona-Vorschriften möglich sein wird, bieten ab dem 5. März digitale Beiträge wie Interviews, Videos und Fotos auf dem MiQua-Blog (https://miqua.blog/) Eindrücke von den Inhalten der Wanderausstellung. Ob sie für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird, hängt von der Entwicklung der Corona-Pandemie ab. Das gilt auch für die weiteren Schauorte Münster (LWL-Landeshaus von 6.5. bis 25.6.), Köln (LVR-Landeshaus von 2.7. bis 12.8.), Wesel (LVR-Niederrheinmuseum von 18.8. bis 15.10.) und Dortmund (Museum für Kunst und Kulturgeschichte von 24.10. - 12.12.).

Ausstellung will Position beziehen

Anlass für das Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ist ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin von 321. Das Gesetz schrieb fest, dass von nun an Juden reichsweit in den Provinzhauptstädten im Römischen Imperium in den Stadtrat berufen werden konnten. Die Urkunde richtet sich explizit an den Kölner Stadtrat und ist die früheste Quelle, die exemplarisch für das spätantike Köln wie für die Regionen nördlich der Alpen jüdisches Leben belegt. Bundesweit werden unter dem Namen #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland rund tausend Veranstaltungen ausgerichtet - darunter Konzerte, Ausstellungen, Musik, ein Podcast, Video-Projekte, Theater, Filme und mehr.

Die in diesem Zusammenhang jetzt in Essen gezeigte Wanderaustellung möchte nicht nur informieren, sondern auch Stellung beziehen, so Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Vorstandsmitglied der LWL-Kulturstiftung und Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) bei der Eröffnung der Schau: „Aus Zusammenarbeit wird Zusammenhalt, denn nur gemeinsam mit vielen starken Partnern:innen in Städten und ländlichen Regionen können wir offenen antisemitischen Strömungen und verdecktem Antisemitismus mit gelebtem Kulturpluralismus entgegentreten. Im Förderprogramm der LWL-Kulturstiftung stehen 24 Projekte für diese Vielfalt und den Dialog. Die Ausstellung leistet als eines der Förderprojekte einen besonderen Beitrag zum geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund jüdischen Lebens in Deutschland. Ihre fünf Ausstellungsorte zeichnen eine Wanderroute durch NRW, deren Weg wir mit unserer Förderung gerne geebnet haben.“

Auch ihre rheinische Kollegin Milena Karabaic, LVR-Dezernentin Kultur und Landschaftliche Kulturpflege, bekräftigte in ihrer Ansprache das politische Statement des LVR: „Es ist unser aller Pflicht und Verantwortung, uns über jüdische Geschichte und Kultur zu informieren und das Wissen darüber zu vermitteln. Um es mit den Worten des Schriftstellers Heinrich Böll zu formulieren, der sich aktiv für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Nichtjuden einsetzte: Es ist dieselbe Unkenntnis, die heute noch die alten Vorurteile nährt. Leider ist diese Aussage immer noch aktuell. Daher beziehen wir mit unseren Projekten und mit dieser Ausstellung eindeutig Position gegen den Antisemitismus.“

CB

Mehr:
19.01.2021: Otto Doppelfeld: Borbecker grub sich ins Herz von Köln
Internet: https://miqua.blog/

Ausstellungstermine
Alte Synagoge - Haus jüdischer Kultur, Essen, 3. März - 27. April 2021
LWL-Landeshaus, Münster, 6. Mai - 25. Juni 2021
LVR-Landeshaus, Köln, 2. Juli - 12. August 2021
LVR-Niederrheinmuseum, Wesel, 18. August - 15. Oktober 2021
Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, 24. Oktober - 12. Dezember 2021


Im Bild bei der Eröffnung: (v.l.) Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger (Vorstandsmitglied der LWL-Kulturstiftung und LWL-Kulturdezernentin), Muchtar Al Ghusain (Beigeordnete für Jugend, Bildung und Kultur der Stadt Essen), Dr. Christiane Twiehaus (Leiterin der Abteilung Jüdische Geschichte und Kultur im MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln), Dr. Thomas Otten (Direktor des MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln) und Milena Karabaic (LVR-Dezernentin Kultur und Landschaftliche Kulturpflege) (von links nach rechts)

Alle Fotos: Stefan Arendt / LVR-ZMB

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