Vor 75 Jahren: Priesterweihe im KZ

Kirchenfenster in St. Dionysius erinnert an Karl Leisner

0 09.12.2019

BORBECK. „Das habe ich ja noch gar nicht gesehen“, meinte ein Messbesucher aus Essen am Sonntag in St. Dionysius. Staunend standen sie vor einem der Kirchenfenster der Borbecker Muttergemeinde: „Wie kommen denn ausgerechnet diese Heiligen in das Fenster?“ Gemeint war das so genannte „Auferstehungsfenster“ gleich rechts vom Eingang - ein besonderes Fenster, das man jetzt tatsächlich einmal intensiver anschauen kann. Denn dort ist unter anderen Portraits eine Person abgebildet, deren Spuren auch bis nach Borbeck verweisen: Zu sehen ist Karl Leisner, der als junger Mann in das tödliche Getriebe des Nazi-Staates geriet. Aus besonderem Anlass wird just in diesen Tagen an ein außergewöhnliches Ereignis vor 75 Jahren erinnert – an eine Priesterweihe im KZ.

Außergewöhnliche Fensterbilder

Selbst wenn es wie in dieser Zeit nur bedecktes Wetter gibt, strahlt das Borbecker Auferstehungsfenster in intensivem Goldgelb. Wie alle anderen zehn Fenster, die sich hier im Uhrzeigersinn erwandern lassen, ist es in einem einzigen Grundton gehalten – einzigartig, ungewohnt und ganz anders als bei bunten Kirchenfenstern sonst üblich. Entworfen von dem Bottroper Glaskünstler Nikolaus Bette, folgen alle großen Fenster in St. Dioynsius einem klaren Bildprogramm. Sie zeigen die Sätze des christlichen Glaubensbekenntnisses: Es sind Motive aus der Schöpfung, zentrale Symbole zu Jesus Christus, zum heiligen Geist, zur Passion, zum Tod, zur Himmelfahrt, zu den Hauptsünden, zu Pfingsten, zur Kirche und den Werken der Barmherzigkeit.

Im sogenannten „Auferstehungsfenster“ zum letzten Satz des Glaubensbekenntnisses werden Personen vorgestellt, „die für sich die Bergpredigt, das „Programm Jesu“ verwirklicht haben“, wie es in der Broschüre der Pfarrei zu den Fenstern heißt. Sie stehen mit ihren Namen beispielhaft als vorbildliche Verkörperungen der acht Seligpreisungen: In jeweils einem eigenen Medaillon abgebildet sind die Essener Stadtpatrone Cosmas und Damian, die Ordensschwester Franziska Schervier, der Hl. Liudger, Bischof Clemens August von Galen, der Hl. Johannes Bosco, die Hl. Ida von Herzfeld, Bischof Altfrid von Hildesheim und zuletzt - Karl Leisner.

Blick in die Kirchengeschichte

Was Besuchern der Kirche hier nun beim Betrachten dieses Fensters aufgefallen ist, illustriert nicht nur die christliche Botschaft in einzigartiger Weise. Es führt mit den dargestellten Personen auch in die Kirchengeschichte der Region – von den frühen Anfängen bis in die jüngere Zeitgeschichte. Als die am 25. Oktober 1944 durch Bomben fast vollständig zerstörte Kirche (Vor 75 Jahren: Borbeck in Trümmern. Der Krieg geht zu Ende) auf Initiative von Dechant Ludwig Theben 1984-88 endlich neue Fenster erhielt, sollte diesen Namen eine dauerhafte Erinnerung gewidmet werden. Dabei kam auch Karl Leisner in die Auswahl für das große goldgelb-schwarze Glasbild - möglicherweise auf Vorschlag von Ferdinand Gepp, der die Gestaltung der Fenster mitbetreute und vielen in Borbeck durch seine zahlreichen Vorträge noch vertraut sein wird. Gepp war in seiner Jugendzeit im Bistum Münster beim Aufbau des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BdkJ) leitend beteiligt gewesen - eine Aufgabe, die ihn persönlich mit dem vom Niederrhein stammenden Karl Leisner verband.

Schicksal im Nazi-Staat

Karl Leisners Portrait auf dem Fenster steht für die letzte Seligpreisung: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich“. Rechts daneben findet sich ein dreifaches „Amen“ als Abschluss des Glaubensbekenntnisses, in dessen Zeichen Leisner in Konfrontation mit dem totalitären Nazi-Staat geriet. Am 28. Februar 1915 in Rees geboren und in Kleve aufgewachsen, ging der begeisterte Jugendleiter zum Studium nach Münster. Er wollte Priester werden, übernahm die Aufgabe des Diözesan-Jungscharführers für das Bistum Münster und geriet schnell in das Visier der Gestapo. 1939 wurde er noch zum Diakon geweiht und stand mit 25 Jahren kurz vor der Priesterweihe, als der Nazi-Staat zuschlug: Eine Äußerung zum Attentat Georg Elsers auf Adolf Hitler führte am 9. November 1939 zur Verhaftung, die fast sechs Jahre dauern sollte. Er kam über Gefängnisse in Freiburg, Mannheim und das KZ Sachsenhausen im Dezember 1940 ins KZ Dachau. Dort waren im „Pfarrerblock“ mehr als 2700 überwiegend katholische Geistliche aus vielen Nationen inhaftiert, von denen über 1000 starben.

Vor 75 Jahren: Heimliche Priesterweihe im KZ

Das Außergewöhnliche: Mitten im Konzentrationslager gelang es in aller Heimlichkeit und unter großer Gefahr für alle Beteiligten, alles für Leisners Priesterweihe vorzubereiten. Gespendet wurde sie durch einen dort ebenfalls inhaftierten französischen Bischof am 17. Dezember 1944. Die Primiz, seine erste und einzige Messe, zelebrierte Karl Leisner am 26. Dezember. Er wird von US-amerikanischen Soldaten noch aus dem KZ befreit, stirbt jedoch völlig entkräftet wenig später, am 12. August 1945, im Alter von nur 30 Jahren an seiner schweren Lungenerkrankung und den sechsjährigen Entbehrungen. Sein letzter Tagebucheintrag lautete: „Segne auch, Höchster, meine Feinde!“ - ein Lebensschicksal und ein Glaubenszeugnis, die in seiner niederrheinischen Heimat früh zu einer intensiven Erinnerung führten: Am 15. März 1980 genehmigte Papst Johannes Paul II. die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses und sprach ihn beim Deutschlandbesuch am 23. Juni 1996 in Berlin selig. 2007 wurde für Karl Leisner in der Diözese Münster der Heiligsprechungsprozess eingeleitet.

Weitere Borbecker Spuren

In das mit der Jahreszahl 1987 von Nikolaus Bette signierte Borbecker Kirchenfenster kam Karl Leisner also schon neun Jahre vor seiner Seligsprechung: Dargestellt ist er in Sträflingskleidung mit der Häftlingsnummer 22356, die er im KZ Dachau erhielt. Was wenig bekannt sein wird: Seit Jugendtagen verband ihn tatsächlich manches mit jungen Borbeckern, die er durch seine Jugendarbeit als Diözesan-Jungscharführer und im Katholischen Wandervogel (KWV) kennengelernt hatte. Die Essener Gruppierungen hatten sich 1930 dem Westfalengau des Verbandes angeschlossen, wie er in seinen Tagebüchern berichtet, in denen er auch Erlebnisse auf gemeinsamen Fahrten und Seminaren schilderte. In seinen Briefen aus dem KZ erwähnt er zudem zwei aus Borbeck gebürtige priesterliche Mitbrüder, die mit ihm in Dachau inhaftiert waren und dort sein Schicksal teilten:

  • Franz Doppelfeld, geboren 1905 in Essen-Borbeck, kam wegen seiner Predigten am 22.8.1941 ins KZ Dachau. Dort wurde er in eine Liste von Soldatenanwärtern aufgenommen und trotz schriftlichem Einspruch, dass er sich als katholischer Geistlicher ohne Erlaubnis des Bischofs gar nicht freiwillig melden könnte, am 8.11.1944 der Wehrmacht zugeteilt. Mit 194 anderen Häftlingen steckte man ihn am 9.12.1944 im Lager Dachau in SS-Uniform und verlud sie am 10.12.1944 auf dem Bahnhof Dachau zur Fahrt in die Slowakei. Dort wurde aus politischen Häftlingen verschiedener Konzentrationslager ein SS-Straf-Bataillon zusammengestellt. Doppelfeld geriet 1945 in russische Kriegsgefangenschaft, kam in ein Kriegsgefangenenlager im Ural, wurde erst 1950 entlassen und starb am 24.11.1964.
  • Der zweite, mit dem Karl Leisner bereits während seines Studiums zusammentraf, war Wilhelm Meyer. Willi, geboren am 14.1.1913 in Frintrop, war nach dem Abitur am Gymnasium in Bottrop zum 1. Mai 1934 mit Leisner in das Priesterseminar Collegium Borromaeum in Münster eingetreten, war dort sein Zimmernachbar und wurde am 6.8.1939 in Münster zum Priester geweiht. Er kam wegen einer Predigt über Feindesliebe am 6.6.1941 ins KZ Dachau – dort traf er Karl Leisner wieder. Seltsam mutet an, was Leisner darüber am 14. Juni 1941 in einer Mischung von Sarkasmus und Notlüge an seine Familie schrieb: „Aber hier ist’s zur Zeit wirklich prima. Stellt Euch vor, da kommt vorige Woche Willi Meyer von meinem [Weihe-]Kurs und sagt mir als erstes: Mensch, Karl, bist du im KZ dick geworden. Ihr seht daraus, wie gut mir’s geht.“ Willi Meyer ministrierte bei der Primiz Karl Leisners am 26. Dezember 1944 in Dachau, wurde am 29.3.1945 aus dem KZ entlassen und starb am 5.4.1999 in Ibbenbüren.

Gedenken zum 75. Jahrestag

Noch heute besuchen viele Menschen das Grab von Karl Leisner in der Krypta des St.Viktor-Doms von Xanten und seinen Nachlass in der Ausstellung des benachbarten Stifts-Museums. Zum Gedenken an Leisners Weihe vor 75 Jahren wird im Dom selbst am nächsten Sonntag, 15. Dezember, um 11.30 Uhr zu einem festlichen Gottesdienst eingeladen. Gefeiert wird er von Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg aus München, dem niederrheinischen Weihbischof Rolf Lohmann und seinem Vorgänger Wilfried Theising sowie dem französischen Generalvikar Bernard Lochet aus Clermont-Ferrand. In Münster wird der Gedenktag der Primizmesse am zweiten Weihnachtstag vor 75 Jahren begangen: Bischof Dr. Felix Genn feiert am Donnerstag, 26. Dezember, den Gottesdienst im St.-Paulus-Dom, wo Karl Leisner vor seiner Verhaftung zum Diakon geweiht worden war.

Quellen und mehr: Internationaler Karl-Leisner-Kreis, zu Karl Leisner in Borbeck

C. Beckmann

Fotos: Auferstehungsfenster in St. Dionysius, Essen-Borbeck

Unten: Karl Leisner in dem Primizgewand, das er nur einmal trug: Installation im St.Viktor-Dom von Xanten. Im benachbarten Stifts-Museum ist dies alles im Original zu sehen.

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