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0 07.01.2022
BORBECK. Bei dem Wetter, bei dem man keinen Hund hinter dem Ofen hervorkriegt, heute mal was über eine Kuh. Besser gesagt: Über drei. Eine Geschichte aus Borbeck, die vor fast 180 Jahren Schlagzeilen bis nach Bayern machte und makaber genug ist. Denn wie „Der Volksbote für den Bürger und Landmann“ aus München am Dienstag, 9. November 1843 schreibt, beschäftigte damals „eine geheimnisvolle Geschichte die allgemeine Aufmerksamkeit“ in Düsseldorf. Der Bericht über einen seltsamen Kriminalfall erschien damals zwischen Meldungen aus Berlin, Österreich, Frankreich, Italien und Dänemark. Und in der Tat nahm die Sache einen dramatischen Verlauf, so die Zeitung:
„Vor einiger Zeit waren von einer Wiese zwischen Essen und Berge-Borbeck drei Kühe entwendet worden, und war einem an der Auffindung des Diebes einem dortigen Beamten viel gelegen. Nun mußte ein seit einem Jahr dort verweilender Schneider, der früher in Borbeck gewohnt, seine Reise dorthin machen, um seine Papiere zu holen, da er sich häuslich niederlassen wollte. Dies wurde benutzt, und er erhielt den Auftrag, bei einem Bürger nach den entwendeten Kühen sich zu erkundigen.
Von dieser Reise kehrte der Schneider nicht zurück, obschon schon seit seiner Abreise 14 Tage verflossen sind. Man stellte nun Nachforschungen nach ihm an und fand ihn als Leiche im Wasser wieder; diese trug aber alle Spuren der gewaltsamen Ermordung an sich, und lenkte den Verdacht auf einen Menschen, den schon mehrere als den muthmaßlichen Dieb bezeichnet hatten. Eine Haussuchung ergab, dass er ein weißes Sacktuch von dem Ermordeten besaß, und obschon der Mörder alles leugnete, gelang es doch, aus seiner Frau ein umfassendes Geständnis zu erlangen.“
Soweit „Der Volksbote“ aus München in seinem Bericht, der Fragen genug aufwirft. Ein Taschentuch, das einen Mörder überführt, kommt sicher in allen möglichen Krimis vor. Aber ein Schneider, der „von Amts wegen“ als Werkzeug herhalten musste, um einen Viehdiebstahl aufzuklären? – das wäre in unseren Zeiten absolut undenkbar. Gab es nicht genug Ordnungskräfte? War der zuständige Beamte überfordert? Oder zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt? Soll ja vorkommen. Kein Wunder also, dass sich darum auch die Regierung damit beschäftigte.
Tatsächlich ist der Raub von Vierbeinern in Zeitungen der Zeit vielfach belegt. Zwischen so manchem Einbruch, Diebstahl, Mord und Totschlag ist immer wieder von verschwundenem Vieh die Rede. So ist auch am 15. Juli 1862 der Bochumer Staatsanwalt einem Kuh-Diebstahl bei Borbeck hinterher: „Dem Oekonomen Ludwig Henken zu Vogelheim ist in der verflossenen Nach aus seiner in der Borbecker Warte belegenen Weide eine rotbunte, milchgebende Kuh mit Blesse, gestohlen worden“, heißt es im „Amtsblatt der Regierung zu Düsseldorf“ vom 29. Juli 1862. „Ich ersuche, Jeden, der über den Dieb resp. den Verbleib der Kuh Auskunft geben kann, davon mir oder der nächsten Polizeibehörde sofort Anzeige zu machen.“
Dass man in lauschiger Sommernacht ein Rindvieh von der Weide holt, kann man sich wohl vorstellen. Aber auch direkt aus einem Stall? Vier Jahre später, 1868, wird dafür ausgerechnet die Dreikönigs-Nacht genutzt. Diesmal ist Staatsanwalt Schlüter hinter einem illegalen Cowboy her. Das „Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Düsseldorf“ berichtet: „Essen, 10. Januar 1868. In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar d. J. ist dem Ackerwirth Wiefelpütz zu Borbeck aus dem Stalle mittelst Einbruchs eine Kuh von roth und weißer Farbe, ca. 4 Jahre alt, entwendet worden. Ich ersuche jeden, der über den muthmaßlichen Dieb Mitteilung zu machen vermag, hier oder bei der nächsten Polizei-Behörde Anzeige zu machen.“
Ob auch diese Diebe jeweils gefasst worden sind, geben die Quellen nicht her. Doch dass für Viehdiebstahl im „Wilden Westen“ Deutschlands in krimineller Absicht nachts die Gatter gelupft wurden, wäre immerhin Stoff genug für einen bislang ungedrehten „deutschen Western“. Heute ist Viehdiebstahl, der im 19. Jahrhundert in Borbeck Schlagzeilen machte, längst Geschichte. Der einfache Grund: Es gibt es in unseren Tagen hier schlicht keine Kühe mehr – viele werden es im Stadtbezirk IV jedenfalls nicht sein.
Das war mal ganz anders: Denn trotz rasanter Industrialisierung waren die Rindviecher den Borbecker Bauern damals noch lieb und teuer. Das zeigen die Organisationen im landwirtschaftlichen Bereich, die sich hier einst gründeten: Den Anfang machten sie schon 1836 am Weidkamp. 33 Eingesessene riefen dort eine „Kuhlade“ ins Leben, die als erste Organisationen als Versicherungsgesellschaft den Verlust von Vieh bei Krankheit oder Unglück absichern sollte. 1851 lud in Borbeck der Vorsitzende Friedrich Freiherr von Schirp, gleichzeitig Hauptmann und Kompanieführer im Landwehrbataillon Essen, zur Versammlung eines „Landwirtschaftlichen Vereins“.
Gut drei Jahrzehnte später, 1882, wurde auf Anregung von Bürgermeister Heinrich und Landrat von Hövel als Vorsitzendem der Lokalabteilung des „Landwirtschaftlichen Vereins für die Rheinprovinz“ das „Landwirtschaftliche Casino Borbeck“ gegründet. Der vom Bürgermeister geleitete Verein zählte schon im Gründungsjahr 270 Mitglieder und beging seine Stiftungs- und Erntefeste mit Konzert, Pferderennen und der Ausstellung landwirtschaftlicher Produkte. Speziell für die Pferdeliebhaber bildete sich vor der Jahrhundertwende zudem der „Dellwiger Rennverein“, dessen Vorstand um 1900 neben zwei Kaufleuten auch ein Freiherr von Romberg und Bürgermeister Heinrich angehörten. Der Club veranstaltete jedes Jahr ein Pferderennen auf dem Gelände des Ökonomen Hoffstadt. All diese Ereignisse wurden von der Bevölkerung gerne mitfeiert, die inzwischen dramatisch angestiegen war: 1912 lebten bereits über 72.000 Einwohner in 5.919 Haushalten und 5.501 bewohnten Gehöften, auf denen man damals noch 3.929 Stück Vieh hielt.
In dieser Zeit trat die Ziege als sprichwörtlich gewordene „Bergmannskuh“ ihren Siegeszug an, die Rassegeflügel-Freunde, Kleintierzüchter und zahllose Taubenväter kamen hinzu. Und selbst für Schweine hatte man ein Herz: In Bedingrade gründeten sie 1890 die „Ferkeslad" (Schweinelade) im Vatloo (s. Straßenname „Im Fatloh") als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Sie wandelten sich allerdings zum Männergesangsverein um, der schließlich nur noch kegelte und dann Skat spielte. Offiziell soll es den Verein immer noch geben - die einst goldbestickte prächtige rote Fahne des Vereins jedenfalls hängt noch heute sicher unter Glas in der Gaststätte „Im Wulve“ (s. Bild unten). Eine eigene Geschichte, der wir bei Gelegenheit noch mal extra nachgehen.
CB
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