Otto Doppelfeld: Borbecker grub sich ins Herz von Köln

Entdecker wird derzeit oft genannt

0 19.01.2021

BORBECK. Als er vor 95 Jahren sein Abitur auf dem Borbecker Gymnasium ablegte, hatte er einen Traum - Otto Doppelfeld, den wir auch in unserem „Borbeck-Lexikon“ vorstellen: Geboren 1907 als Sohn des Volksschulrektors Johannes Doppelfeld und dessen Ehefrau Johanna in Borbeck, zog er von Tübingen über Berlin und Köln nach Wien und hatte nur vier Jahre nach seinem Abi den Doktor in der Tasche. Seine Welt war die Ur- und Frühgeschichte, Archäologie, Geschichte, Bau- und Kunstgeschichte und Germanistik. Und er fand in Köln 1939 die Berufung seines Lebens: Er ging der fast vergessenen Antike auf die Spur. Eine seiner Grabungen ist derzeit immer wieder im Gespräch. Auf sie verweisen alle Texte, die zum Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ ein bedeutendes historisches Jubiläum in den Mittelpunkt stellen. Doch auch ein Fund aus Essen mit jüdischem Bezug gibt nach wie vor spannende Rätsel auf.

Große Entdeckungen in Köln

Schon während des Zweiten Weltkriegs hatte Otto Doppelfeld erste große Entdeckungen unter dem Kölner Dom gemacht. Er stieß nicht nur auf den ursprünglichen alten Dom, sondern nutzte nun die Gelegenheit, das römische und fränkische Köln wie kein anderer vor ihm zu erforschen. Dabei wusste er nur zu gut, dass ihm in der Zeit des stürmischen Wiederaufbaus für seine Projekte immer nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung stand. Die Thermen, die Stadtmauer und die Fundamente des lange gesuchten monumentalen Praetoriums des Statthalters unter dem Rathaus kamen ans Licht. Spürsinn und Forscherglück vereinten sich, als er mit neuen wissenschaftliche Grabungsmethoden und Aufnahmetechniken ganze Stadtviertel und königliche Gräber der fränkischen Merowinger freilegte. Und um direkt vor Ort zu sein, setzte der für sein „Adlerauge“ gerühmte populäre Forscher seinen eigenen Bauwagen gleich neben die Grabungen.

Direktor des Römisch-Germanischen Museums

Weitere Aufgaben blieben nicht aus: Ab 1959 bis zu seiner Pensionierung 1972 war Otto Doppelfeld Direktor des Römisch-Germanischen Museums, er wurde 1963 Lehrbeauftragter und 1967 Honorarprofessor an der Universität Köln. Er startete er mehrere große Ausstellungen, schrieb zahllose Artikel und auch populärwissenschaftliche Bücher, starb am 15. Mai 1979 in Köln und hinterließ ein stolzes Erbe: Seine Funde legten große Schätze der Kultur in unseren Breiten frei, er lieferte Beweise, machte trockene Historie im wahrsten Sinne des Wortes lebendig, „begreifbar“ und anfassbar. Viele Hunderttausende stiegen seitdem in die Kölner Unterwelt und begeisterten sich überall neu für die Fundamente unserer Geschichte und Kultur. Otto Doppelfelds Kölner Grabungen, seine Arbeit als Wissenschaftler, Museumsmann, Buchautor und Ausstellungsmacher inspirierte auch die historische Forschung wieder neu.

Blick auf die MiQua-Baustelle mit dem zentralen, teilweise abgedeckten Bereich der mittelalterlichen jüdischen Synagoge (Stand: August 2020). © Sharon Nathan / MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln

Herausragender Fund

Unter den von ihm begonnenen Ausgrabungen findet in jüngster Zeit ein prominentes Areal besonders großes Interesse. Denn auf dem Rathausvorplatz stieß der damals 47-jährige auf einen herausragenden Schatz: Bei Grabungskampagnen 1953 und 1956 legte er das ehemalige jüdische Viertel der Stadt und die älteste bekannte Synagoge nördlich der Alpen frei. Dazu wurde 1957 eine „Mikwe“ ergraben, ein rituelles Bad, das 16 Meter tief bis zum Grundwasser in die Erde führte und seit 1990 eine silberne Stahl-Glas-Pyramide als Oberlicht trägt. Bis auf die 1270 erstmals als „Puteus Judaerorum“ (Judenpütz) auch schriftlich erwähnte Mikwe wurde alles zunächst wieder zugeschüttet. Doch schon damals wurde diskutiert, die Ausgrabungen im Praetorium mit den Ausgrabungen auf dem Rathausplatz zu einer Museumslandschaft zu verbinden. Doppelfeld sorgte gegen viele Widerstände zu seiner Zeit dafür, dass die gesamte Zone einer neuen modernen Bebauung entzogen wurde. Eine weise Entscheidung, denn heute lässt sich dort mühelos „mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“ gleiten: Hier, in einer der bedeutendsten archäologischen Fundstätten Deutschlands, wurde seit dem August 2007 Schicht für Schicht weiter ausgegraben – von der Neuzeit zurück ins Mittelalter und bis in die Römerzeit. Ein gigantisches Puzzle, bei dem seine Nachfolger inzwischen mehr als eine Viertelmillion Artefakte, Schmuck, Schrifttafeln, Ornamente und andere Funde, freigelegt wurden, die wichtige Auskunft über das Leben in der Stadt über die Jahrhunderte geben.Blick von Obenmarspforten auf das MiQua (Simulation). © Wandel Lorch Architekten

„Jüdisches Museum MiQua“ in Köln

Die von Doppelfeld begonnenen Grabungen im ehemaligen jüdischen Viertel der Stadt stehen jedoch nicht nur in Köln neu im Mittelpunkt des Interesses: Denn über dem Grabungsplatz entsteht unter einem hallenartige Bau das Jüdische Museum MiQua. Das Bauensemble um die älteste und wichtigste jüdische Synagoge nördlich der Alpen soll dort ab Ende 2024 auf einer rund 6.000 Quadratmeter großen unterirdischen Ebene als archäologischen Rundgang begangen werden können. Der Landschaftsverband Rheinland und die Stadt Köln haben beim Land Nordrhein-Westfalen den Antrag eingereicht, das jüdisch-mittelalterliche Viertel Kölns auf die Vorschlagsliste für Welterbestätten zu setzen. Erste Veranstaltungen wird es aber schon in Teilbereichen des künftigen Museums geben: Denn der Ort ist ein Vorzeigeprojekt im beginnenden Festjahr „321-2021. 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ und plant eigens zum deutsch-jüdische Jahr 2021 eine Ausstellung, die der Geschichte jüdischen Lebens in Köln und ganz Deutschland gewidmet ist.

Archäologischer Rundgang im Jüdischen Viertel, Gang zwischen Synagoge und Goldschmiedehäusern (Simulation). © Wandel Lorch Architekten

Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“

Die Ausgrabungen an der Augustinerstraße im Gürzenich-Quartier ergänzen eine schriftliche Quelle, die im Codex Theodosianus erhalten ist. Nach der im Vatikan aufbewahrten spätantiken Gesetzessammlung aus dem frühen 5. Jahrhundert erließ Kaiser Konstantin im Jahr 321 das reichsweit gültige Gesetz, dass von nun an auch Juden als Decurionen in den Stadtrat der „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ und Hauptstadt der Provinz Niedergermanien berufen werden konnten. Die Urkunde richtet sich als Antwortschreiben ausdrücklich an den Kölner Stadtrat und gilt damit als älteste erhaltene Quelle für das Vorhandensein von Jüdinnen und Juden im deutschsprachigen Raum.
Jetzt ist das kaiserliche Edikt Anlass für ein bundesweites Festjahr unter Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der in Köln gegründete Jubiläumsverein „321 - 2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ koordiniert mit finanzieller Unterstützung des Bundes, des Landes NRW und der Stadt Köln für das Jahr 2021 bundesweite Veranstaltungen und Projekte. Der ehemalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sitzt dem Kuratorium vor und die frühere Stv. Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann ist Generalsekretärin. Das Festjahr will jüdisches Leben und Kultur sichtbar und erlebbar machen, aber auch vor erstarkendem Antisemitismus heute warnen. Auftakt für die Feiern ist ein zentraler Festakt am 21. Februar 2021, der online begangen wird. Bundesweit werden unter dem Namen #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland rund tausend Veranstaltungen ausgerichtet - darunter Konzerte, Ausstellungen, Musik, ein Podcast, Video-Projekte, Theater, Filme und mehr.

Römische Kaiserzeit in Essen

Spuren der kulturellen und wirtschaftlichen Strahlkraft der Legionslager und Römerstädte am Rhein verweisen aber auch in unsere Region. Denn über den „nassen Limes“ stieß das Imperium über Lippe, Emscher und Ruhr nach Osten bis zur Weser und in den Norden vor. Selbst wenn die römische Geschichtsschreibung über die misslungenen militärischen Abenteuer im rechtsrheinischen Germanien weitgehend schweigt, zeigen Grabungsfunde zur römischen Kaiserzeit auch im Ruhrgebiet „Fließende Grenzen“ (Manuela Mirschenz) zwischen den benachbarten Kulturen - auch auf dem heutigen Essener Stadtgebiet: Pfostenlöcher, Keramikfragmente, Amphoren, Münzen, Spinnwirtel, Eisenteile, Knochensplitter, Spielsteine, Schmuck und Waffenteile belegen engere Beziehungen zum römischen Rheinland. Hier gehören die germanischen Siedlungen Überruhr-Hinsel, Burgaltendorf und Freisenbruch im Essener Süden zu den wichtigen kaiserzeitlichen Fundplätzen an der Ruhr.

Erstaunlicher Fund gibt weiter Rätsel auf

So förderten zwischen 1991-95 Grabungen auf einer Anhöhe des südlichen Ruhrufers in Burgaltendorf eine Siedlung mit Funden aus der frührömischen Zeit um Augustus bis ins 6. Jahrhundert zutage. Neben fast 400 römischen Keramikfunden und Münzen aus der Zeit um 276-282 n. Chr., die im Ruhr Museum verwahrt werden, fand sich dabei auch ein außergewöhnliches Blechfragment, dem derzeit ein besonderes Interesse zukommt: Das Bodenstück einer flachen Bronzeschale trägt eine Einritzung, die als „IUDAEA“ identifiziert wurde. Damit weisen die Schlussbestandteil eines Eigennamens auf eine jüdische Besitzerin hin, doch „wie das Fragment dorthin kam und wo sich die Besitzerin der Schale aufgehalten hatte, kann nur vermutungsweise beantwortet werden“, erklärte Ludwig Berger 2005. Er meinte, man müsse den Standort der jüdischen Besitzerin im linksrheinischen Gebiet innerhalb der Reichsgrenze suchen, vielleicht im 75 km entfernten Köln, „wo es höchstwahrscheinlich eine jüdische Gemeinde gab“. Essens Stadtarchäologe Detlef Hopp, der das Bronzefragment 1992 neben anderen römerzeitlichen Streufunden aufgelesen hat, vermutete 1999, es könne sich um Plünderungsgut handeln. Oder war die Besitzerin etwa doch die Frau, Freigelassene oder Sklavin eines Fernhändlers, den sie auf einer Handelsreise in die Germania Magna begleitete, wo sie ihren Teller verlor?

Vortrag am 4. März in der Alten Synagoge Essen

Zu dem rätselhaften Fund wird Dr. Hans-Ulrich Voß (Frankfurt) am 4. März in Kooperation mit der „Alten Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur“ einen Vortrag halten. Er steht unter dem Titel „Eine geheimnisvolle Bronzescherbe aus Burgaltendorf. Zum Kontext von Funden mit jüdischem Bezug in der Antike in Europa.“ Beginn um 19 Uhr im Hauptraum Alte Synagoge Essen– Haus jüdischer Kultur, Edmund-Körner Platz 1, 45127 Essen. Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung erforderlich.

CB

Literatur:

Berger, Ludwig: Der Menora-Ring von Kaiseraugst. Jüdische Zeugnisse römischer Zeit zwischen Britannien und Pannonien Jewish Evidence from the Roman Period in the Northern Provinces, Forschungen in Augst Band 36, Römerstadt Augusta Raurica, Augst 2005, 101-102, ISBN 3-7151-0036-2

Brand C. / Hopp D.: Ein römischer Tellerboden mit Inschrift aus Essen-Burgaltendorf, in: H. Koschik, Archäologie im Rheinland 1999 (Köln 2000), 108-109.

Hopp, Detlef: Kat. 204 Tellerfragment aus Essen. In: Badisches Landesmuseum (Hrsg.), Imperium der Götter: Isis-Mithras-Christus. Kulte und Religionen im Römischen Reich (Stuttgart 2013), 318–319.

Gründges, Franz Josef: Doppelfeld, Otto. Altertumswissenschaftler, Eintrag im „Borbecker Lexikon“, https://www.borbeck.de/lexikon-details/doppelfeld-otto.html, Quellen: Wolfgang Sykorra: Von der Penne in die Welt. Borbecker Porträts, hg. v. Lothar Böning. Essen 2013. – Erwin Dickhoff: Essener Köpfe. Essen 2015.

Ristow, Sebastian: Judentum und Christentum in Spätantike und Frühmittelalter im deutschsprachigen Raum aus archäologischer Sicht, Das Altertum, 2014, Band 59, Seiten 241-262

Mirschenz, Manuela: Fließende Grenzen. Studien zur römischen Kaiserzeit im Ruhrgebiet (Bochumer Forschungen zur Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie; Bd. 6, Hg. für das Institut für Archäologische Wissenschaften der Ruhr-Universität Bochum von Wolfgang Ebel-Zepezauer und Thomas Stöllner), zugl.: Bochum, Univ. Diss. 2013, ISBN 978-3-86757-286-6

Links:

MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln, Gürzenich-Quartier, Augustinerstr. 10–12, 50667 Köln, Internet: https://miqua.lvr.de.

Festjahr und Veranstaltungen: www.2021jlid.de, Flyer, Broschuere 1700 Jahre Judentum, LVR-Veranstaltungen im Jubiläumsjahr, das Förderprogramm der LWL-Kulturstiftung zum Themenjahr „2021: Jüdisches Leben in Deutschland“, 1700 Jahre jüdisches Leben in Rheinland-Pfalz

Broschürencover „Das Dekret von 321. Köln, der Kaiser und die jüdische Geschichte"

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