Maria Rosenkranz: Kirche ist außer Dienst gestellt

Letzte Messe am Sonntag in überfüllter Kirche

0 07.10.2025

BORBECK / BERGEBORBECK. Es fiel zuletzt nicht leicht: Die ganze Pfarrei St. Dionysius Borbeck nahm am Sonntag, 5. Oktober 2025, Abschied von der Kirche St. Maria Rosenkranz. So endete Im Rosenkranzmonat 2025, was hier in den 1860er Jahre mit einer Scheune begann. Der Bergeborbecker Arbeiterdom mit seinen beiden mächtigen Türmen entstand in einer Zeit, die von ganz besonderen Erfordernissen und Motivationen geprägt war, erinnerte Bischof Franz-Josef Overbeck, der in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche die letzte Messe feierte.

Das wilde Bergeborbeck

Bergeborbeck war der erste große schwerindustrielle Mittelpunkt der preußischen Landgemeinde Borbeck: Dort entstand der erste Bahnhof der späteren Stadt Essen überhaupt, hier kamen Unmengen Stempelholz für den Strebausbau und vielfältige Waren an, Kohle und Metallerzeugnisse rollten von hier in alle Himmelsrichtungen. Kneipen und Geschäfte, das Transportgewerbe, die große Zinkhütte und rauchende Schlote verpassten den verschlafenen Feldern und Weiden rund um das jahrhundertealte Wasserschloss Haus Berge ein völlig neues Gesicht. Und nicht zuletzt: Mit der Eisenbahn kamen Menschen - so viele in so kurzer Zeit, wie man es sich selbst heute kaum vorstellen kann. Abertausende suchten zwischen Lärm und Dreck Arbeit, Heimat und neue Zukunft. Die Prägung ihrer ursprünglichen Heimat aber hatten sie auch im übersichtlichen Gepäck: Postkarten in alle Herkunftsregionen sollten beweisen, dass es ihnen gut geht, dass sie Fuß gefasst und ihr Glück gemacht hatten.

Kirche im Einsatz

Ihnen zur Seite standen seit Beginn der boomenden Industrialisierung vor allem starke Frauen: Die schon im Mittelalter in Essen tätigen frommen Elisabethschwestern sahen hier eine ganz aktuelle Aufgabe. Sie gründeten auf Haus Berge das erste Krankenhaus, um bei den häufigen Arbeitsunfällen und immer wieder auftretenden Seuchen da zu sein, Kindern auf die Welt zu helfen und Sterbenden beizustehen. Und nicht nur sie werden in diesen wilden Zeiten dabei sicher auch manchem über die Stränge schlagenden Jüngling ordentlich die Meinung gesagt haben.

Denn auch die Kapläne an der Pfarre St. Dionysius wurden hier mit neuem Schwerpunkt eingesetzt, um nach und nach eine Gemeinde aufzubauen. Davon, dass sie dabei nicht jedem bequem waren, zeugt in der ganzen Region verbreitete Begriff der „Roten Ruhrkapläne”, die auf den Zechen und in den Hütten unterwegs waren und oft verdächtig waren, Streiks angezettelt und die Arbeiter aufgewiegelt zu haben. Doch die neu angekommenen Menschen zogen mit. Sie begannen ihre Gottesdienste in einer Scheune und wollten schließlich mehr – bis hier endlich in der unmittelbaren Nähe zur Zinkhütte eine große Kirche entstand, für die sich viele von ihrem Lohn ihren Beitrag absparten.

Glaube prägt

Ihre Schutzpatronin sollte damals „Maria vom Rosenkranz” sein, demonstrativer Ausdruck eines ganz besonderen Frömmigkeitsstils, der gerade im 19. Jahrhundert wieder äußerst populär geworden war. Darin erinnerte Bischof Franz-Josef Overbeck in seiner Predigt. Die lange Geschichte des alten Mariengebets wurde hier zum lebendigen Teil der neu entstehenden Industriekultur, die den Menschen einen völlig neuen Blick auf die Welt und das Leben vermittelte, so Overbeck. Die spezielle Glaubenspraxis der Versenkung aber, der Meditation und Innerlichkeit schwand im Lauf der Jahrzehnte zunehmend, auch Kirche und Glaube selbst traten immer mehr in den Hintergrund. So wie das erst kürzlich offiziell Ende des Bergbaus den Abschied von einer längst zuvor versunkenen Welt markierte, sei auch die Schließung der Bergeborbecker Kirche zuletzt nicht vermeidbar gewesen, erklärte der Bischof.

Die Welt gestalten

Am bleibenden Auftrag der Kirche und der Gläubigen ändere das jedoch nichts: „Es gibt keinen Königsweg. Doch sehen wir auch neue Freiräume. Neues kommt und wir leben nicht in einer Welt von vorgestern, wir sind Menschen von heute und diese Welt ist in unsere Hände gelegt, um sie tatkräftig zu gestalten.” Dazu ermuntere gerade das laufende Heilige Jahr 2025 und das Wort von den „Pilgern der Hoffnung”, unterstrich er: „Pilgern geht nach vorne, nicht im Zurückschauen!” Hoffnung selbst sei untrennbar verbunden mit „Glaube” und „Liebe”, die sich in einer tätigen Haltung der Solidarität und Gerechtigkeit bewährten. „Glaube trägt und öffnet Leben”, so Bischof Overbeck und machte Mut zu einem inneren geistlichen Weg nach dem Beispiel der Kirchenpatronin Maria.

Als die zwölf Apostelleuchter nach und nach reihum in der Kirche gelöscht wurden, war die starke innere Bewegung in vielen Gesichtern nicht zu übersehen. Das Allerheiligste wurde zuletzt in die Kapelle von Haus Berge getragen. Und viele saßen still oder wanderten in der Kirche noch lange umher und nutzten die letzte Möglichkeit, sich von ihrem Gotteshaus zu verabschieden, die in den letzten fast 150 Jahren so viele Taufen, Erstkommunionen, Firmungen, Hochzeiten und Trauermessen gesehen hat.

Orgel geht nach Italien

Die Orgel von St. Maria Rosenkranz ist nun auch verstummt. Doch am Montag stand bereits ein Termin auf dem Kalender: Eine Firma sorgt dafür, dass alle Pfeifen ein neues Zuhause bekommen. Das von der berühmten Bonner Firma Hans Klais 1926 erbaute Instrument, das 1945 zerstört und in den Fünfziger Jahren durch einen Neubau der Firma Seifert ersetzt wurde, geht an die Kathedrale Mariä Himmelfahrt und St. Erasmus in Gaeta in der italienischen Region Latium. Die 1000-jährige Basilika wurde 1943 völlig verwüstet und wird seit Jahren renoviert. Wer die Orgel also noch einmal hören will, wird einen Urlaub am tiefblauen Thyrrenischen Meer in der rund 20.000-Einwohner-Stadt auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel damit gut verbinden können.

Fotos: Hermann Bovens / Christof Beckmann

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