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0 23.05.2022
BERGEBORBECK. „Es war ein langer Abschied vom Georg-Melches-Stadion“, erinnerte unser Autor Georg Schrepper an bewegte Zeiten. Die kurz „GMS“ genannte Spielstätte, an deren fast identischem Ort man seit 1920 spielte, ist seit 1991 zwar nur noch von drei Tribünen begrenzt: Die Westkurve war zunächst wegen Baufälligkeit von der Stadt geschlossen und 1994 schließlich gänzlich abgerissen worden, so der engagierte Vereinshistoriker am 19. Mai 2022 auf der Homepage des RWE. Hier sein folgender Bericht, den er uns mit Flesch-Fotos zur Verfügung stellte.
Bild oben: Eine letzte Choreo. Mit den Worten „Bilder sagen mehr als 1.000 Worte – Tschüss Georg-Melches-Stadion“ verabschiedete die Fanszene ihre alte Heimat. Unten: Gegenwart und Vergangenheit: Im Hintergrund das „Stadion an der Hafenstraße“ in der Bauphase, im Vordergrund das „Georg-Melches-Stadion“. (Foto: Flesch)
„Einen symbolischen Spatenstich für ein neues Stadion hatte es 2009 gegeben. Damit verbunden war ein Teilabriss der an die ehemalige Westkurve angrenzenden Stehtribüne Nord. In diesem zunehmenden Trümmermeer gelang 2011 nach der Insolvenz der Aufstieg in und aus Ruinen. Ein Jahr später hieß es endgültig Abschied nehmen vom Georg-Melches-Stadion.
Entsprechend emotional ging es dann auch eine Woche lang im Mai 2012 an der Hafenstraße zu. Dazu erschien ein Sonderheft der kurzen fuffzehn mit dem Vorwort „Mach‘s gut, geliebtes GMS“. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Michael Welling schrieb darin: „Du bist der Ort der Fußballsozialisation aller RWE-Fans. (…) Mit Dir geht – zumindest physisch – auch ein Stück Rot-Weiss von uns. (…) Mit Dir wurde der viel zitierte `Mythos Hafenstraße´ zum Leben erweckt und mit immer neuen Inhalten gefüllt.“
Zum Auftakt der Abschiedswoche spielten die Café Nova Staudertrinkers ein Unplugged-Konzert in der Heimkabine. Am Dienstag und Donnerstag konnten Partner sowie Fans bei Turnieren selbst einmal auf dem Stadionrasen gegen den Ball treten. Zur Wochenmitte fand das letzte Flutlichtspiel beim Niederrheinpokalfinale gegen den SV Hönnepel-Niedermörmter statt, das RWE mit 3:2 gewann. Am Freitag verwandelten die Fans das GMS in ein kleines Museum und präsentierten ihre ganz persönlichen Erinnerungsstücke.
Für das letzte Pflichtspiel am Samstag, dem 19. Mai 2012, hatte die Fan-Gruppierung Ultras Essen seit Monaten Spenden gesammelt und eine große Abschiedschoreographie im ganzen Stadion vorbereitet. Rot-Weiss Essen spielte sein letztes Heimspiel in der Regionalliga West gegen Fortuna Köln 2:2 unentschieden und beendete die Saison auf dem 3. Tabellenplatz.
Der letzte Anstoß an alter Stelle erfolgte dann einen Tag später beim „Abschied mit Legenden“ zwischen der „RWE-Traditionself“ und den „Hafenstraßen-Fußballern“. Mit einer großen Party endete anschließend endgültig die Zeit im Georg-Melches-Stadion. So mancher Fan nahm sich anschließend noch ein Stück Rasen und in einer der nächsten Nächte eine Sitzschale zur Erinnerung mit.
Der Essener Lokal- und Sportteil berichtete ausführlich über das Abschiedswochenende. Aktive und ehemalige Spieler, Funktionäre und Fans wurden nach ihrer Gefühlslage befragt. Einen sehr persönlichen Rückblick machte RWE-Legende Dieter Bast:
„Ich erinnere mich gerne an die zahlreichen Top-Spiele im GMS zurück – egal, ob ich selber gespielt oder nur auf der Tribüne gesessen habe. Es war schon etwas Besonderes, als ich mit 19 Jahren mein erstes Spiel im Georg-Melches Stadion gemacht habe. Die Stimmung in den 1970er Jahren war, um es mit den heutigen Worten zu sagen, einfach geil! Genauso wie die Freitagabend-Spiele unter Flutlicht. Auch die Fans liebten diese Spiele und haben zahlreich die Mannschaft unterstützt. Ich hoffe, dass wir diese Atmosphäre ins neue Stadion mit hinübertragen können.“
Im GMS fanden zuletzt rund 15.000 Leute Platz. (Foto: Flesch)
Gleichsam einen kleinen Liebesbrief schrieb Rudolf Weida bereits ein Jahr zuvor für das Buch „An der Hafenstraße RWE! Die Geschichte des Georg-Melches-Stadion“. Er besucht seit 1966 das GMS, infizierte seine Familie mit dem RWE-Virus und baute ein umfangreiches Saison- und Postkartenarchiv auf:
„Ich danke dem Fußballgott, dass mein Elternhaus nur etwa zwei Kilometer von der Hafenstraße entfernt stand. Als Kind durfte ich mich nicht so weit von zu Hause entfernen, doch als Jugendlicher mit 15 Jahren bekam ich von meinen Eltern endlich die Erlaubnis, ein Heimspiel von Rot-Weiss Essen zu besuchen. Das erste Spiel, das ich sah, war am 8. Juni 1966 gegen den 1. FC Saarbrücken. Vor über 35.000 Zuschauern gewann RWE mit 3:2 sein erstes Aufstiegsrundenspiel. Mein Taschengeld reichte auch noch für das nächste Heimspiel vier Tage später, das mit 3:0 gegen Schweinfurt 05 gewonnen wurde. Am Ende stieg RWE zum ersten Mal in die Bundesliga auf! Für mich stand fest, die Heimspiele so oft wie möglich zu besuchen.
Nach den Heimsiegen gegen Schalke 04 und Bayern München zu Beginn der Saison 1966/67 war ich endgültig vom RWE-Virus infiziert. Aus dem Georg-Melches-Stadion wurde sehr schnell „mein Stadion“!
Was mich immer wieder zu dir trieb, war nicht nur das Fußballspiel allein, sondern deine einzigartige Atmosphäre. Dein damals mehrheitlich männliches Publikum bestand aus Besuchern in Anzügen mit Krawatte und Hut, aber auch aus vielen skurrilen Gestalten eines jeden Alters, um die man normalerweise einen großen Bogen machen würde. Auf deinen Rängen gab es den Kaugummi-Verkäufer.
Er machte auf sich aufmerksam mit dem Spruch: „Wer auf RWE vertraut, der mein Kaugummi kaut“. Außerdem war da der Kokosnuss-Mann, der eigentlich Herbert hieß. Auf einem braunen Tablett bot er die in Streifen geschnittenen Kokosnussstücke an – die kleinen für 20, die großen für 50 Pfennig. Ich glaube, du warst das einzige Stadion in Deutschland, vielleicht in ganz Europa, in dem man Kokosnüsse kaufen konnte.
Auf deinen Werbebanden im Stadionrund standen damals Werbeslogans von Essener Firmen wie „Sport Dünker im Haus der Oper“, „Overbeck – Ihr Bekleidungshaus am Kopstadtplatz“, „Cramer und Meermann am Kennedyplatz“, „Essener Kronen Brauerei AG“, „Ten Brink Uhren und Trauringe“, „Kepa – 5x in Essen“.
Auf deinem Rasen spielten – von Beckenbauer bis Völler – die größten Spieler des deutschen Fußballs, die Welt- oder Europameister wurden. Auch viele inzwischen legendäre RWE-Spieler habe ich von deinen Zuschauerrängen aus gesehen: z. B. Lippens, Burgsmüller, Mill, Hrubesch.
Lizenzentzüge und die damit verbundenen Zwangsabstiege konnten uns ebenso wenig wie die sportlichen „Abstürze“ unseres Vereins trennen. Einmal RWE, immer RWE! Jahrzehnte stand ich auf der Gegengerade, der späteren Nordtribüne. Seit Jahren begleiten mich meine Frau und meine beiden Töchter zu den Heimspielen. Wir haben viele bekannte Gesichter gesehen und haben uns mit Besuchern gegrüßt, deren Namen wir gar nicht kannten. Nun wird hinter deiner legendären, schon lange abgerissenen Westkurve ein neues Stadion gebaut.
Der Ort, auf dem du jetzt noch stehst, wird dann Geschichte sein. Auf Fotos und in Geschichten wirst du weiterleben. Mein Stadion, ich danke dir für die vielen schönen Stunden, die ich bei dir verbringen durfte, und für die vielen unvergesslichen Spiele, die RWE und du mir geboten haben.“ – Rudolf Weida
Ein Beitrag von Georg Schrepper
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