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0 10.11.2020
BORBECK. „Der Einzelhandel zieht sich zurück, die mittleren Zentren in den Stadtteilen verändern sich. Was heißt das für die Stadtteilzentren? Was bleibt? Welche Funktionen haben sie und was kann man tun?“ Svenja Krämer, Leiterin Citymanagement EMG, und Andrea Wilbertz von der StadtAgentur luden heute zu einem intensiven Blick auf Essen-Borbeck: Dort liegt jetzt die erste wissenschaftlich fundierte Datengrundlage für ein Essener Stadtteilzentrum vor. Die heute bei einer Online-Pressekonferenz vorgestellten Daten dokumentieren die Rahmenbedingungen, mit denen Stadtteilentwickler, aber auch Geschäfte, Handel, Dienstleister und die Bürgerschaft rechnen können. Und erwartungsgemäß zeigen sie beides - Licht und Schatten.
Durchgeführt wurde das Projekt in Kooperation mit der Essen Marketing GmbH (EMG), der IHK zu Essen, der StadtAgentur Essen, dem Masterplan Borbeck und dem CeBo-Initiativkreis Centrum Borbeck e.V., die sich aus den Ergebnissen wertvolle Anhaltspunkte zur Entwicklung des Stadtteilzentrums erhofften. Dazu lief vom 19. Februar bis zum 4. Mai 2020 die wissenschaftliche Befragung durch das Institut für Personal & Organisationsforschung (ipo) der FOM Hochschule unter Leitung von Prof. Dr. Christian Rüttgers. Vorausgegangen waren Interviews mit verschiedenen Altersgruppen, die die angehende Wirtschaftspsychologin Tabea Hansen von Oktober bis Ende November 2019 durchführte. Ein standardisierter Fragebogen wurde entwickelt und Jil-Nadine Raulf, ehemalige MGB-Schülerin, wertete das Material im Rahmen ihres Sales Management-Studiums für ihre Masterarbeit an der FOM aus. Sie zeigte sich sehr zufrieden mit den Borbeckerinnen und Borbeckern, die sich an der Befragung beteiligten: 1.014 Rückmeldungen kamen vor allem online und wurden in übersichtliche Grafiken übertragen.
Tatsächlich kommt danach fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) mit dem Auto, 15 Prozent kommen mit dem ÖPNV, 6 Prozent mit dem Fahrrad und genau ein Drittel läuft zu Fuß. 84 von 100 besuchen das Zentrum Borbecks zum Einkaufen oder gehen auf den Markt, 73 nutzen das Angebot von Dienstleistungen (Ärzte, Banken, Friseure). Deutlich abgeschlagen zeigen sich die anderen Kategorien wie der Besuch gastronomischer Betriebe (28 Prozent), das schlichte Bummeln und Spazieren (17) oder die Nutzung von Freizeit- und Kulturangeboten (8) - ein Befund, der sich auch mit dem Angebot insgesamt deckt. Denn Freizeit und Kultur werden von den Besuchern als fast kaum existent wahrgenommen und auch zu „attraktiven gastronomischen Angeboten“ rangiert das Borbecker Zentrum bei einer Höchstpunktzahl von 5 bei einem Wert von 2,1. Nicht anders bei der Antwort auf die Frage nach einer „großen Auswahl an Einzelhandelsgeschäften“ – hier liegt der Wert bei 2,2.
Ganz anders die Einordnung des Angebots von Dienstleistungen: „Die Einschätzung von 3,7 auf der Skala ist unglaublich gut, ein wirklich starker Wert“, so Prof. Dr. Christian Rüttgers bei der Vorstellung der Ergebnisse. Vor allem Einkaufsmöglichkeiten des kurzfristigen Bedarfs - im Bereich Lebensmittel etwa - würden „als hervorragend und sehr gut“ bewertet. Ebenfalls gut rangieren die Öffnungszeiten der Geschäfte (3,5) und schnelle Erreichbarkeit durch die Struktur des Zentrums (3,4). Deutlich gewünscht aber sei ein stärkeres Angebot etwa im „periodischen Bedarf“ wie im Textileinzelhandel und ähnlichen Bereichen, äußerten die Befragten.
Einen Spitzenwert verzeichnet das Borbecker Zentrum in der Auswertung bei der Erreichbarkeit (4,4), auch die Parkmöglichkeiten und die Preise (3,0/3,3) wurden als gut bewertet. Grundsätzlich erreiche das Zentrum bei den Besuchszahlen damit äußerst gute Ergebnisse, so Prof. Rüttgers: „Da wachsen unglaubliche Chancen“, erklärte er mit Blick auf die Zahl der durchschnittlichen Besuche im Monat. Gleichwohl ist die Bindung und Zufriedenheit mit Borbecks Zentrum wenig ausgeprägt: Die Angaben liegen der Untersuchung zufolge deutlich unter dem Durchschnittswert. „Ich erzähle anderen Leuten Positives über Borbecks Zentrum“ (2,3) und eine Empfehlung (2,1) gehen offensichtlich nur wenigen über die Lippen, auch die Zufriedenheit und Erwartungen werden nur mäßig erfüllt (2,2).
Erwartungsgemäß problematisch sind vor allem diese Aspekte: Das Gefühl der Sicherheit im Zentrum (2,6) ist ebenso schlecht platziert wie die Sauberkeit (2,5). Der Zustand der Gebäude (2,7) und die Architektur (2,5) werden nicht viel anders eingeschätzt. Zwar sei die Infrastruktur „an sich“ – vor allem mit Blick auf die Vielzahl der „tollen Schulen“ – gut bis hervorragend, zitierten die Forscher aus ihren Interviews, doch liegt die Bewertung im Blick auf die Aufenthaltsqualität ebenfalls niedrig: Eine ansprechende Begrünung (2,1) und Dekoration (2,0) des Straßenbildes sehen die Befragten kaum.
Zusammenfassend sehen die Wissenschaftler Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken: Ihre SWOT-Analyse für das Borbecker Zentrum kennzeichnet identitätsstiftende Orte wie Schloss, Markt, Dampfe als Stärken, ebenso Infrastruktur, Erreichbarkeit und Parkmöglichkeiten, die vorhandenen Angebote zur Deckung des täglichen Bedarfs, Dienstleistungsangebote und den Komfort des Zentrums. Hohe Chancen sehen sie vor allem in der hohen Besuchsfrequenz. Deutliche Schwächen liegen ausgeprägt im Angebots- und Qualitätsmix für den periodischen Bedarf in den Bereichen Einzelhandel, Gastronomie sowie Freizeit und Kultur, auch in der Begrünung und Dekoration des Zentrums. Risiken, so machten sie deutlich, lägen im demografischen Wandel und der wachsenden Konkurrenz, u. a. durch den Onlinehandel.
„Die Stadtteile benötigen mehr Aufmerksamkeit“, so Svenja Krämer von der Essener Marketing: Borbeck sei eines der Zentren, das den mit stärksten Strukturwandel zu verkraften gehabt habe. Jetzt sei die Zusammenarbeit vieler Akteure aus allen Handlungsfeldern gefragt. Auf der Tagesordnung für Arbeitsgruppen mit Grün & GruGa, Schulen, Immobilieneigentümern, den eingesessenen Geschäften, dem Initiativkreis Essen-Borbeck (CeBo), dem Bürger- und Verkehrsverein (BBVV) und den Verantwortlichen im „Borbecker Masterplan“ stünden Themen wie der Branchenmix, die Verbesserung der Aufenthaltsqualität, die Entwicklung des Zentrums zu einem gern angenommenen sozialen Treffpunkt oder die Frage der Sauberkeit im öffentlichen Raum. All das soll nun ins Gespräch gebracht werden. Dabei gelte es in den nun zu startenden Prozessen, alle Altersgruppen – von der Jugend bis zu den Senioren – in einer breiten Bürgerbeteiligung einzubinden und sie nach ihren Wünschen und konkreten Ideen zu befragen.
Einen Zeitplan dazu gibt es allerdings noch nicht, so die Vorstellung der Daten heute. Für Walter Frosch, Koordinator des „Masterplan“ in Borbeck, ist mit der wissenschaftlichen Auswertung der Befragungen jedoch ein wichtiger Schritt getan: Er dankte dem Forscherteam und verwies darauf, dass in Borbeck nicht bei Null gestartet werde. Viele kleinere Maßnahmen seien bereits realisiert. Sicher stimmt auch: Viele weitere und größere werden nun folgen müssen.
CB
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