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0 11.11.2020
BORBECK. 11.11.2020 – so ein schönes Zahlenspiel, so ein einprägsamer Termin! Und mancher hat sich vielleicht schon lange darauf gefreut, zum schrägen Datum heute das Karnevals-Trömmelchen auszupacken. Oder eben auch darauf, die Laterne zu entzünden, dem stolzen Reitersmann zu folgen und in der Dunkelheit die vielen Lichter zu besingen. „Martin leuchtet – trotz allem. Statt Martinszug: Laternen in die Fenster stellen“, das haben wir hier am 6. November geschrieben, zum Aufhängen der Laternen aufgerufen und den Heiligen Martin ein bisschen ausführlicher vorgestellt.
Sicher haben sich viele in diesen Tagen daran erinnert, wie das war - damals, als es noch kein Internet gab, keine Smart-Phones, nicht mal Computer: An die schon tagelang dauernde ganze Aufregung, die vielen Leute, die leuchtenden Laternen in der Dunkelheit, die Blasmusik, die singenden Menschen. Nicht wenige hatten ihre zuvor gekauften Martinslose in der Tasche und hofften, bei der Ziehung zu den Gewinnern zu gehören. Ein kleiner Wagen mit schnatternden Gänsen war auch dabei, vor allem aber der schweigende Reiter mit Mantel und Schwert, mit seinem geduldigen Zossen sorgsam abgeschirmt von Ordnern. Kalt war es, dem Pferd dampfte es aus der Nase. Alles in allem aber war er eine Erscheinung, dieser freundlich ins Volk grüßende Mantelträger. Immer wieder stockte der Zug, immer wieder trat man sich in die Hacken. Wenn der Musik die Lieder ausgingen, fingen sie einfach wieder von vorne an. Und irgendwann hatte man eben alle Strophen auch mit dem Text drauf.
Über die Ladentheken mussten zuvor massenhaft Camemberts gegangen sein – die Deckel der Verpackungen galten überall als ideale Grundbausteine für die bunten Lampen, die jetzt leuchtend aus der Menge geschwenkt wurden. Die Geschäfte hatten sich eingedeckt mit Kreide- und Transparentpapier. Unzählige Klebetuben gingen drauf, um nach tagelanger Bastelei und Vorfreude besonders attraktive Motive tragen zu können. Andere hielten sich nicht lange damit auf: Sie trugen ausgehöhlte Steckrüben mit mehr oder weniger gelungen hineingeschnitzten Gesichtern, die mit Kerzen von Innen erleuchtet wurden. Von Halloween war damals noch nirgendwo die Rede. Als besonders cool galt, wer richtige Fackeln tragen durfte – alle waren bei den Halbwüchsigen von der uniformierten Freiwilligen Feuerwehr, die mit ihren dicken Schuhen die Fackelreste austreten durften und nicht nur deswegen ziemlich respektiert waren. Aus dem Fernsehen wussten wir, was eine „Demo“ war. Dies sei eben auch eine „Demo“, erklärten sie uns, eine gute „Demo“, weil es einfach um eine gute Sache ging.
Nicht wenige haben das Martinsspiel auf dem Schulhof allerdings wohl ihr Leben lang nur aus großer Entfernung gehört. Im allgemeinen Gemurmel ging die fromme Geschichte meist unter, die das Beispiel der guten Tat illustrieren sollte. Lautsprecher gab es nicht. Der so lange besungene frierende Arme saß meist auf dem Boden und wurde kaum gesichtet. Wie der Mantel mit dem Holzschwert geteilt wurde, hätte ja zumindest mal technisch interessiert. Aber es war einfach zu viel Volk da. Wenn dann die Blasmusik aber wieder anfing, war sie vorbei, die Geschichte. Immerhin kannte man sie ja. Alle plärrten mit dem Martinslied los und mindestens sechs Strophen später ging es ans Verteilen der Martinswecken und Martinsbrote. Klassenweise, mit Aufrufen der Namen. Wer mehrere Geschwister hatte, wurde gefragt, ob er nicht schon vorher schon mal da war. Einmal hat es sogar geklappt mit dem zweimal Hingehen.
„Licht aus!“, hieß es auf dem anschließenden Heimweg: Spart die Kerze, spart die Batterie - und die hielten tatsächlich nicht besonders lange, so teuer sie waren. Zuhause kam die ganze empfindliche Laternenpracht dann an die Küchenfenster, eine ziemliche Aktion. Und die süße Beute auf den Küchentisch. Alles wurde gerecht verteilt und dann kam das Beste: Es wurde Löffel für Löffel echter Kakao in die heiße Milch gekippt. Van Houten aus Holland – wo immer der Vater die herhatte, der extra früh von der Arbeit gekommen war. Echter Kakao. Nicht so ein Pulverzeug wie sonst. Echte Butter gab es auch noch und keine Margarine fürs bröselige Gebäck. Manchmal sogar Schokostreusel, die man nur aus den Ferien kannte. Es war eine Zeremonie, die es nur einmal im Jahr gab. Ein Lied zwo drei, es war St. Martin.
Eine seltsam gelöste Stimmung machte sich jetzt breit. Und das machte es eben auch so wichtig, dieses Fest: Es begann eine geheimnisvolle Zeit. Das Freuen auf den Adventskranz mit seinen vier Kerzen, auf die Barbarazweige, auf die vollgefüllten Gummistiefel an St. Nikolaus, auf die selbstgebastelten Sterne, mit denen die Tage der Adventszeit abgezählt wurde. Jeden Morgen gab es einen mehr auf die Gardinenstange. Und die Gewissheit: Wenn sie voll ist, würde diese Zeit vorbei sein, es würde klingeln, die Türe würde sich öffnen, der Baum würde da stehen in seiner ganzen Lichterpracht. Und es würde etwas drunterliegen. Bücher, Zootiere, Socken und ein neuer Schlafanzug. Das war immer drin. Endlich gäbe es aber auch die Plätzchen, deren Backerei wochenlang die Küche blockiert hatte.
Während schon die zerbrechlichen Laternen von St. Martin in der Küche ziemlich abgewrackt aussehen, würden wir jetzt die neuen dicken Socken anziehen und rodeln gehen, mit roten Ohren und triefenden Nasen auf vereisten Pfützen schliddern und zuhause die Hände wieder auftauen. Zu Dreikönige würden wir der Nachbarschaft im ganzen Dorf den Flur vollschallern und unsere schiefen Sternsinger-Lieder zum Besten geben, anschließend die süße Beute verteilen. Und irgendjemand würde sagen: Sehr ihr, die Tage werden jetzt wieder länger, die Schneeglöckchen kommen raus und die Christrosen. Bald ist Frühling. Und dann würde er kommen, ein Sommer und ein Herbst. Und dann ritt er bestimmt wieder durch die Straßen, der Heilige Martin, begleitet von Hunderten Kindern, es würde wieder Camembert verkauft und viel gebastelt werden. Und dann würden wieder die Laternen an den Fenstern hängen ...
In diesem Jahr muss es ohne Martinszug gehen. Die Laternen aber kann man immer aufhängen – und viele tun es in diesen Tagen, wie diese Impressionen zeigen, die Leser und Leserinnen uns spontan geschickt haben.
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