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0 12.08.2020
BORBECK. „Wie kommen denn ausgerechnet diese Heiligen in das Fenster?“ – das haben sich in St. Dionysius sicher schon manche gefragt. Eines der Kirchenfenster der Borbecker Muttergemeinde gibt immer wieder Rätsel auf: Das so genannte „Auferstehungsfenster“ gleich rechts vom Eingang. Tatsächlich ist es ein besonderes Fenster, das man einmal intensiver anschauen kann. Dort ist unter anderen Portraits eine Person abgebildet, zu der Spuren auch direkt nach Borbeck verweisen: Karl Leisner, der als junger Mann in das tödliche Getriebe des Nazi-Staates geriet. Heute, am 12. August vor 75 Jahren, ist er gestorben.
Gerade in diesen Tagen strahlt das Auferstehungsfenster in intensivem Goldgelb. Wie alle anderen zehn Fenster der Kirche ist es in einem einzigen Grundton gehalten – einzigartig, ungewohnt und ganz anders als bei bunten Kirchenfenstern sonst üblich. Es ist das letzte der von dem Bottroper Glaskünstler Nikolaus Bette hergestellten Fenster, die sich im Uhrzeigersinn erwandern lassen. Sie alle folgen einem komplexen Bildprogramm und zeigen die Sätze des christlichen Glaubensbekenntnisses: Es sind Motive aus der Schöpfung, zentrale Symbole zu Jesus Christus, zum heiligen Geist, zur Passion, zum Tod, zur Himmelfahrt, zu den Hauptsünden, zu Pfingsten, zur Kirche und den Werken der Barmherzigkeit.
Im sogenannten „Auferstehungsfenster“ zum letzten Satz des Glaubensbekenntnisses werden wichtige Personen vorgestellt, „die für sich die Bergpredigt, das „Programm Jesu“ verwirklicht haben“, wie es in der Broschüre der Pfarrei zu den Fenstern heißt. Sie sind im als vorbildliche Verkörperungen der acht Seligpreisungen beispielhaft dargestellt: In jeweils einem eigenen Medaillon abgebildet sind die Stadtpatrone Cosmas und Damian, die Ordensschwester Franziska Schervier, der Hl. Liudger, Bischof August von Galen, Don Johannes Bosco, Ida von Herzfeld, Bischof Altfrid von Hildesheim und – nicht zuletzt - Karl Leisner.
Was Besuchern der Kirche hier nun beim Betrachten dieses Fensters aufgefallen ist, illustriert nicht nur die christliche Botschaft in einzigartiger Weise. Es führt auch in die Kirchengeschichte der Region. Als die am 25. Oktober 1944 durch Bomben fast vollständig zerstörte Kirche (Vor 75 Jahren: Borbeck in Trümmern. Der Krieg geht zu Ende) auf Initiative von Dechant Ludwig Theben 1984-88 endlich neue Fenster erhielt, sollte den dargestellten Personen im letzten der Fenster eine dauerhafte Erinnerung gewidmet werden. Sicher auch auf Vorschlag von Ferdinand Gepp, der vielen in Borbeck durch seine zahlreichen Vorträge noch vertraut sein wird und der die Gestaltung der Fenster mitbetreute, kam dabei auch Karl Leisner in die Auswahl für das Glasbild: Gepp war in seiner Jugendzeit im Bistum Münster beim Aufbau des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BdkJ) leitend beteiligt gewesen - eine Aufgabe, die ihn mit dem aus Rees am Niederrhein stammenden Karl Leisner verband.
Karl Leisners Portrait bildet mit der letzten Seligpreisung „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich“ den Abschluss der Darstellungen. Rechts daneben steht ein dreifaches „Amen“ als Abschluss des Glaubensbekenntnisses, in dessen Zeichen Leisner in Konfrontation mit dem totalitären Nazi-Staat geriet. Am 28. Februar 1915 geboren, war Leisner in Kleve aufgewachsen, begeisterte Jugendleiter und studierte in Münster, um Priester zu werden. Der Diözesan-Jungscharführer geriet schnell in das Visier der Gestapo, wurde noch 1939 zum Diakon geweiht und stand mit 25 Jahren kurz vor der Priesterweihe, als der Nazi-Staat zuschlug: Eine Äußerung zum Attentat Georg Elsers auf Adolf Hitler führte am 9. November 1939 zur Verhaftung, die fast sechs Jahre dauern sollte. Er kam über Gefängnisse in Freiburg, Mannheim und das KZ Sachsenhausen im Dezember 1940 ins KZ Dachau. Dort waren im „Pfarrerblock“ mehr als 2700 überwiegend katholische Geistliche aus vielen Nationen inhaftiert, von denen über 1000 starben.
Das Außergewöhnliche: Mitten im Konzentrationslager gelang es in aller Heimlichkeit und unter großer Gefahr für alle Beteiligten, alles für Leisners Priesterweihe vorzubereiten. Sie geschah durch einen ebenfalls inhaftierten französischen Bischof am 17. Dezember 1944. Die Primiz, seine erste und einzige Messe, kann Karl Leisner am 26. Dezember zelebrieren. Er wird von US-amerikanischen Soldaten noch aus dem KZ befreit, stirbt jedoch völlig entkräftet wenig später, am 12. August 1945, - vor 75 Jahren - im Alter von nur 30 Jahren an seiner schweren Lungenerkrankung und den sechsjährigen Entbehrungen.
Sein letzter Tagebucheintrag lautete: „Segne auch, Höchster, meine Feinde!“ - ein Lebensschicksal und ein Glaubenszeugnis, die früh zu einer intensiven Erinnerung führten: Am 15. März 1980 genehmigte Papst Johannes Paul II. die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses und sprach ihn beim Deutschlandbesuch am 23. Juni 1996 in Berlin selig. 2007 wurde für Karl Leisner in der Diözese Münster der Heiligsprechungsprozess eingeleitet. Noch heute besuchen viele Menschen das Grab von Karl Leisner in der Krypta des St.Viktor-Doms von Xanten und seinen Nachlass in der Ausstellung des benachbarten Stifts-Museums.
In das Kirchenfenster in Borbeck kam Karl Leisner also schon viele Jahre vor seiner Seligsprechung: Dargestellt in St. Dionysius ist er in Sträflingskleidung mit der Häftlingsnummer 22356, die er im KZ Dachau erhielt. Was wenig bekannt sein wird: Seit Jugendtagen verband ihn tatsächlich manches mit jungen Borbeckern, die er durch seine Jugendarbeit als Diözesanjungscharführer und im Katholischen Wandervogel (KWV) kennengelernt hatte. Die Essener Gruppierungen hatten sich 1930 dem Westfalengau des Verbandes angeschlossen, wie er in seinen Tagebüchern berichtete, in denen er auch Erlebnisse auf gemeinsamen Fahrten und Seminaren schilderte.
In seinen Briefen aus dem KZ Dachau erwähnt werden zudem auch zwei Borbecker Mitbrüder, die mit ihm dort inhaftiert waren: Franz Doppelfeld, geboren 1905 in Essen-Borbeck, kam wegen seiner Predigten am 22.8.1941 ins KZ Dachau und von dort am 8.11.1944 zur Wehrmacht. Er wurde in eine SS-Brigade gesteckt, kam 1950 aus der Kriegsgefangenschaft und starb am 24.11.1964. Wilhelm (Willi) Meyer, geboren am 14.1.1913 in Frintrop, war nach dem Abitur am Gymnasium in Bottrop mit Karl Leisner zum 1. Mai 1934 in das Priesterseminar Collegium Borromaeum in Münster eingetreten und dort sein Zimmernachbar. Meyer wurde am 6.8.1939 in Münster zum Priester geweiht, kam wegen einer Predigt über Feindesliebe am 6.6.1941 ins KZ Dachau und traf Karl Leisner dort wieder. Seltsam mutet an, was Leisner darüber am 14. Juni 1941 an seine Familie schrieb: „Aber hier ist’s zur Zeit wirklich prima. Stellt Euch vor, da kommt vorige Woche Willi Meyer von meinem [Weihe-]Kurs und sagt mir als erstes: Mensch, Karl, bist du im KZ dick geworden. Ihr seht daraus, wie gut mir’s geht.“ Willi Meyer ministrierte bei der Primiz Karl Leisners am 26. Dezember 1944, wurde am 29.3.1945 aus dem KZ entlassen und starb am 5.4.1999 in Ibbenbüren.
CB
Mehr: Internationaler Karl-Leisner-Kreis, zu Karl Leisner in Borbeck. Unten: Installation im Viktor-Dom in Xanten.
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