BRAUK/BERGEBORBECK. Herbert Knebel hätte bestimmt seine helle Freude an der Einkaufszettel-Sammlung aus dem Zweiradgeschäft Großmann-Kriewel an der Bottroper Straße (heute Alte Bottroper Straße). Wer weiß, vielleicht lebte Gustes Großvater gar im Brauk?
Eines ist klar: Herbert Knebel hat die Sprache der einfachen Leute der Sechzigerjahre salonfähig gemacht. Er widmet sich ihr liebevoll und behutsam, macht sich, trotz allem Spökes, den er treibt, nicht lustig über sie.
Einen ebenfalls liebevollen Blick auf die „Braukschen“ wirft Franz-Josef Gründges in seinen Betrachtungen über die Sonderschriftsprache der Menschen, so wie sie auf alten Einkaufszetteln in der Firma Großmann erhalten blieben. Sie schreiben wie sie sprechen.
„Handfeger – kein teuren“ steht in Sütterlin auf einen klitzekleinen Zettel gekritzelt „30 Nähgels“ begehrt ein anderer. „5 Dichtungsringe für am Wasserschlauch“ sollten für Herrn Großmann auch kein Problem dargestellt haben. „Stechdose schwarz auf den Putz“ wird der Laden ebenfalls im Sortiment gehabt haben. Was ist mit der „Kuchen vorm für 2 Pfd?“ Damals wurden noch ganz schöne Brocken gebacken.
Hier also die Betrachtungen über „Sprache im Brauk“ von Franz Josef Gründges:
„Die Belegbeispiele für die Sonderschriftsprache stammen von Bewohnerinnen und Bewohnern aus Zechenhäusern der Wohnsiedlung Brauk im Essener Nordwesten. Der Brauk war in den 1960er-Jahren ein stark vernachlässigter Raum mit starken infrastrukturellen Defiziten, überwiegend bewohnt von polnischen und anderen ausländischen Bergarbeiter- und Fabrikarbeiterfamilien in heruntergekommenen Wohnungen.
Dieser sozial, kulturell und sprachlich benachteiligten Mehrheit in der Bevölkerung stand eine bürgerliche Minderheit aus Handwerkern, Beamten und Geschäftsleuten gegenüber. Zu ihr gehörten die Inhaber des Zweiradgeschäfts Großmann-Kriewel an der Bottroper Straße (heute Alte Bottroper Straße). Zusätzlich gab es hier ein vielfältiges Angebot an Haushaltswaren und Gegenständen des täglichen Gebrauchs.
Oft herrschte Ebbe in der Kasse
Oft sahen sich die Käuferinnen und Käufer außerstande, die Waren bar an Ort und Stelle zu bezahlen. Man bat daher auf Zetteln in schriftlicher Form um Stundung. Dafür gab es einen eigenen Karteikasten. Das war damals ein durchaus übliches Verfahren, auf das sich auch die Inhaber von Großmann-Kriewel einließen. Aus bestimmten Gründen sind die Zetteln mit den Bestellungen und den Bitten um Stundung aufbewahrt worden und bis heute erhalten geblieben. Die Übergabe der gesammelten Dokumente durch Ursula Kiewel, geb. Großmann, im November 2011 im Stift Urbana in Bottrop. Ursula Kriewel war damals 85 Jahre alt. Sie ist vor einigen Jahren gestorben.
Der Vater Artur Großmann (gestorben 1943) führte seit 1927 in der Bottroper Straße 500 einen Fachhandel für Fahrräder und Kraftmaschinen mit Reparaturservice. Der Ehemann Michael Kriewel (gestorben 2010) hatte sich auf den Verkauf und die Reparatur von Zweirädern und Büromaschinen spezialisiert. In den 1960er-Jahren wurde anstelle des alten Ladens ein neues Ladenlokal an der Bottroper Straße 532 errichtet.
Die unzumutbaren Zustände in der Wohnsiedlung Brauk und die vergeblichen Versuche einer Bürgerinitiative, der Michael Kriewel als Sprecher angehörte, die Stadt Essen zu einer grundlegenden Sanierung des Brauk zu veranlassen, bewogen das Ehepaar Kriewel, das Geschäft 1974 aufzulösen und 1975 den Wohnsitz nach Bottrop zu verlegen. Kurz darauf wurde das Gebäude abgerissen. Die ehemalige Wohnsiedlung wurde nach und nach zu einem Gewerbegebiet.
Schreiben wie man spricht
Eine erste Sprachbetrachtung zeigt, dass häufig Wörter so geschrieben werden, wie man sie spricht. In manchen Wörtern finden sich gleich mehrere Abweichungen von der Rechtschreibnorm. Sie sind zuweilen nur schwer zu verstehen. Andere Notizen beziehen sich auf aktuelle finanzielle Schwierigkeiten. Sie geben auf diese Weise Einblick in die soziale Lage mancher Familien im Brauk.
Die Frauen hatten Probleme, das Haushaltsgeld zusammenzuhalten. Oft kam der Mann nach Zwischenaufhalten in Kneipen mit einer fast leeren Lohntüte nach Hause. Es ist wohl am besten, die Zettel für sich sprechen zu lassen. So bleibt ihre Authentizität erhalten. Man sollte sich über die Sprachabweichungen nicht lustig machen. Die Menschen aus dem Brauk konnten aus verschiedenen Gründen nichts für ihre schriftsprachlichen Defizite.“
Hier Erlesenes aus den Zetteln:
- 2 Batarin
- Fahratklebe
- 1Dreistäcker, 1 Do Gipz
- Kuchenplatte für Buttergreme Spritzer
- 40 wat Birne
- 1 Scharmot für Offen
- 2 Hacken vür Gardienen
- 1 2 Lieter Kanne, 1 3 Lieter Kanne Aber Bilige für den Täglichen Gebrauch
- Losere Steerpapen Negel für 2 DM (gemeint ist Teerpappe)
- 6 Holsschrauben
- Nägel für 2 Dm Losere. Muster Licht bei
- 30 Nähgels
- 2 Tife Teller zu 1,30, 1 Suppen Löfel und 1 Sosen Löfel
- 2 kleine Anominium Töpfe zu 3 M. und noch was, 10 DM bei!
- 1 Zilienderdichtung für Sachs 50 hinten
- Für Zündap losen Draht ohne Hülle für die Kuplung
- 10 Rilen Deckel, 3 andere Deckel one Rilen
- 1 Büksenöfner
- 1 kleines Fleschen Farat Putseug
- 1 Flickzeug für Farahd
- 1 Plastik Wäsche Einsprenkler
- Für 1 DM Gadienen Knipser
- 30 Schnuerrölchen
- 1 Tupe Gumilösung für 30 Pf.
- 2 Fahradventiele, 2 Patentventiele
- 1 Gardiene die gröste die Sie da haben
- 2 Fasungen
- 1 Fusmate
- 1 Repelchen zum spielen übern Wagen
- 2 Geflügelschrauben von Vorderrad
- 30 St. Kleine Nägel für Kabel fest machen
- 1 einfacher Stecker für ne Bügelschnur
- 1 Pächen Heftzäcken
- 1 Batterä zu 1,00 DM für in der Eisenbahn
- 1 Tachometer für einkochaperat
- Torpedo 3 Gangschaltungskätchen rote Schaltung
- 1 Maulschlüsel
- 8 Schanieren für Kanienchentüren
- 0,50 DM Filibchen
- Elecktro schrauben zihr mit Birne
- Inselirband
- Steckdose schwarz auf den Putz
- 3 bananenstecker
- 7 Meter schießdraht und 6 Aufgußbeutel für 50 Pf.
- 1 Velge 28er für Draht halb balon
- Hinten und Vorne Einen Neuen Satz Reifen Mit Schlauch Die Besten Conti
- 5 Dichtungsringe für am Wasserschlauch
- 4 Klammern für die Tischdecke zum halten, bilige.
- Maschien Öl
- 1 Handfeger (kein Besen)
- 1 Kaffee-Siep
- 1 kl. Henkelmann für 1 Person Mittagessen zum rein tun
- 1 Bautenzug für Moped Kupplung
- 4 Batarien zu 1,10 DM
- 1 Schlauch für Wasserkrahn
- Ich habe eben die rote Farbe bei Ihnen gekauft. Die Farbe ist hart. Bitte würden Sie die Farbe umtauschen.
- Ich hätte gern für die Kaffee Kanne eine Schnauze da von der Kaffee Kanne vorne zum raus gießen das kaput ist, ein weiß und ein Tropfer.
- Ich hätte gern für eine Emalie Schüssel zum dichten am Rand.
- 1 großes Brotmesser und ich hätte mal gefrackt ob sie was für die Brotmaschine haben die rutsch immer an den Füssen, 4 Füßchen sind dran.
- Die Sicherrung ist ja kaput die dräte müssen doch zusammen sein.
- Haben sie eine Laubsäge. Bitte wen es get nur eine Laubsäenbogen das andere habe ich.
- Herrn Grosmann. Bite Sein sie so kuht Bringen sie eine Flasche Gas Kartenanlage Heselbach Karten Nr. 6.
- Sehr geehrte Frau Kriewel, möchte gern mal fragen ob mein Mann bis zum Freitag 25 Meter drat zu 75 haben kann dann komme ich selber holen
- Frau Großmann wir hätten gehrne von ihn für den 25.1. Porzellan geliehn für 25 Personen für Kaffee und Mittagstisch die Sachen lasen Sie bitte nach Bottrop sagen Sie bitte dem Jung ob das geht.
- Sehr gerte Frau Großmann. Da sich mein Einkommen geändert hat ich bekomme Wöchentlich kein Geld mehr sondern jeweils am 15. und am 20. weil die alle von der Bank Geld bekommen Bitte darum das ich am 15. diesen Monat und immer am 20. meine Raten bezahlen kann dann bezahle ich ja mehr wie sonst so dass sich das ausgleicht.
- 14.2.65 Werte Frau Großmann. Entschuldigen Sie das Ich noch nichts gebracht habe mein Mann liegt schon wieder und dann habe ich den Umzug gehabt. Komm bestimmt am 30. März und bring etwas. Dank das Sie mir helfen.
- Bottrop den 27.8.64 Werte Frau Großmann. Bin die Tage von einer 3 Monatlichen Kur nach Hause gekommen und habe ihre 3 Schreiben vorgefunden. Es ist mir sehr Peinlich das ich das noch nicht erledieg habe aber ich bin jetz nicht in den Lage die Sache zu begleichen aber im Oktober bekomme ich meine Rentennachzahlung dann sind Sie sofort dran.
- Ich möchte gern den Topf für 16 DM in grün. Schreiben Sie bitte beim Friedel auf die Karte nächste Woche komme ich vorbei und bezahle etwas. Vom Radio den Garantieschein ist uns verlorengegangen.
- Schicke ihnen nächsten Monat zwei Raten aufeinmal und zwar am 5. 25. Juli. Da mein Mann erst angefangen hat zu Arbeiten nach dem Unfall.
- Bottrop 13.5.64. Werte Frau Grossmann. Sie werden sich sicher gewundert haben das ich noch nichts von mir habe hören lassen. Ich bin seid den 24.4. krank und nicht in der Lage zu kommen. Komme aber am 5.6. nach dort um das zu erledigen.
- Essen, den 11.1.65. Sehr geehrte Frau Großmann! Möchte Sie bitten, den kredit von Lampen und Serviese bis zum 15.2.65 zu erlassen. Wie versprochen konnte ich die Raten leider doch nicht einhalten. Ich werde dann den Rest von 300,- DM bezahlen.
- Bitte nicht böse sein, ich konnte es nicht ehr bezahlen, wegen dem Verkauf
- 1 Tepichdackel für unser Mama Komm die nächste Tage vorbei um zu bezahlen.
- Frau Großmann, wir bezahlen den Rest an Raten am 20. diesen Monat.
- 18.3.67 Da mein Mann neste Woche arbeit wieder hat Und im April wieder hatte. Ich klaube das sie damit einverstanden sind.
- Essen, den 30.11.63. Herr Großmann“ Ich wollte von Ihnen den Kraftfahrbrief haben. Weil der Roller bei Peter L. bezahlt ist. Herr Großmann, der Roller ist am 20.11.63 bezahlt worden. Herr Großmann, ich werde mich sehr freuen, wenn Sie so schnell dem Dieter R. den Kraftfahrbrief schicken. Herr Großmann ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie die Pfändung ein gereicht haben. Herr Großmann stimmt es, das Sie das Geld von Peter L. bekommen haben? Herr Großmann haben Sie den Roller in der Kasko Versicherung gemeldet. Weil ich, Dieter R., den schaden von ca. 700 DM bezahlt habe. Herr Großmann! Ich, Dieter R., wollte Ihnen danken, dass Sie das Geld bekommen haben. Hochachtungsvoll.
- Sehr geehrter Herr Großmann! Bitte stellen Sie Hubert sein Rad in Laden. Ich werde wohl von Ihnen im September eins kaufen weil ich noch einen Sohn habe. Die sollen beide neue Räder haben. Hochachtungsvoll. Bitte Hubert nichts sagen.
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