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0 17.05.2025
BORBECK. Zahlen und Fakten sind wichtig, wenn man Geschichtswissenschaft betreibt – und natürlich wissen die GymBo-Schüler/innen, wann der Zweite Weltkrieg begann und endete, sie wissen um die Verbrechen der Nationalsozialisten, sie wissen, dass die Alliierten Nazi-Deutschland besiegten und damit den Krieg in Europa beendeten. Doch Wissen wird ziemlich hohl und phrasenhaft, wenn seine Relevanz für das Hier und Heute nicht einsichtig wird.
Nils Nadolny und Mika Eimer aus der Stolperstein-AG haben genau das erkannt, als sie in den letzten zwei Jahren zusammen mit Geschichtslehrer Dr. Lars-Christopher Hüning die Schicksale jüdischer GymBo-Schüler aufgearbeitet haben. Einer beeindruckte sie dabei besonders: Walter Rohr, der 1917 geborene Borbecker Kaufmannssohn. Sie vertieften sich in die Geschichte des ehemaligen GymBo-Schülers und entwickelten die Idee eines Stolpersteins vor Walter Rohrs ehemaliger Lernstätte.
Lars Schnor mit Nils Nadolny (li.) und Mika Eimer (re.)
Zwei Jahre später stehen Mika und Nils zusammen mit ihrem Lehrer auf der Bühne. Vor dem gut gefüllten Auditorium der neuen Aula zeichnen sie ein außergewöhnliches Leben eindrücklich nach: Rohr, ein jüdischer Schüler, der zunehmend diskriminiert wurde, die schreckliche Pogromnacht in Essen erlebte und in die USA floh, um Deutschland schließlich als amerikanischer Soldat zu befreien. Walter Rohrs Geschichte ist die eines Opfers – aber es ist auch die eines Befreiers, eines aktiv Handelnden; sie dokumentiert die Botschaft, die im Nachvollzug dieses Lebens mitschwingt. „Uns als multikulturelle Schule erinnert der Stolperstein für Walter Rohr daran, dass es wichtig ist, aktiv gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vorzugehen“, sagt Dr. Hüning, der zusammen mit dem Haus der Essener Geschichte Dokumente und Briefe über und von Rohr studierte, dessen in den USA lebende Tochter ausfindig machte und die Verlegung des Stolpersteins vor dem GymBo durch alle Phasen der Planung begleitete.
Mika und Nils beim Vortrag
Bei der GymBo-Schulgemeinschaft fand diese Idee dann so viel Anklang, dass alle am Event teilhaben wollten: Schülerinnen und Schüler sowie Eltern aus allen Jahrgangsstufen, das GymBo-Kollegium, die SV, der Förderverein und die Böning-Stiftung. Mit Takt und Feingefühl moderierten Sharon und Arthur aus der Stufe Q1 die Veranstaltung, während die Musikfachschaft, der Chor und das Orchester das Programm mit stimmungsvoller Musik gestalteten; Schulleiter Lars Schnor und die Schülersprecherinnen Anna und Dejsa trugen Gedanken zur Bedeutung des Stolpersteins für uns Heutige und die GymBo-Schulgemeinschaft bei, während Hosanna und Ema aus der Klasse 9 zweisprachig eine Grußbotschaft vortrugen, die Rohrs Tochter Nancy Rohr Schwartz aus den Staaten extra für die Stolpersteinverlegung geschickt hatte. So spiegelte die Veranstaltung auch den Charakter von Gemeinschaftlichkeit und Geschlossenheit. „Wir wollen eine Gemeinschaft fördern, die auf den Werten unseres Grundgesetzes basiert und in der Freiheit und Gleichberechtigung gelebt werden können“, betont auch Lars-Christopher Hüning.
Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig
Doch die Veranstaltung zog auch noch größere Kreise über die unmittelbare Schulgemeinschaft hinaus. So erschienen stadtbekannte Essenerinnen und Essener mit Sinn für Kultur und Geschichte: Von Altschulleiter Dr. Wolfgang Sykorra – der wie die GymBo-Klasse 10c und das Haus der Essener Geschichte an der anknüpfenden Ausstellung im Zeichensaal mitgearbeitet hatte – über Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig, die Ratsherren Jan Flügel und Torben Münning bis hin zum Altschüler und Landtagsabgeordneten Thomas Kutschaty. Auch Dr. Claudia Kauertz, Merlin Goriß und Dr. Jonas Hübner vom Haus der Essener Geschichte – mit dem das GymBo seit diesem Schuljahr eine Bildungspartnerschaft unterhält – sowie Birgit Hartings, die Stolpersteinbeauftragte der Stadt Essen, kamen der GymBo-Einladung nach.
Per Videoübertragung sah das Publikum in der Aula dann zu, wie die Teilnehmer der Stolperstein-AG zusammen mit Schulleiter Lars Schnor den Stolperstein vor dem Haupteingang platzierten. Dass plötzlich Applaus aufkam, spiegelte die vielen Gedanken und Emotionen, die im Raum standen: Respekt für den Menschen Walter Rohr, Anerkennung für die gelebte Erinnerungskultur und das Engagement der Beteiligten sowie Wertschätzung der GymBo-Schulgemeinschaft. „Der Stolperstein zeigt uns, dass Geschichte nicht irgendwo passiert – sondern hier“, sagt Lars Schnor mit Blick auf das kleine Messingplättchen, das jenes dunkle Kapitel der Geschichte zurück in unser heutiges Sichtfeld bringt. „Als Schule tragen wir die Verantwortung für das Bewahren der Erinnerung, für ein tolerantes Zusammenleben und für die Erhaltung von Demokratie und Menschlichkeit.“
Sonja Klever
HINWEIS: 75 Jahre „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland": Am 23. Mai 1949 trat die bis heute gültige deutsche Verfassung in Kraft. Anlässlich des Jubiläums im vergangenen Jahr hat das Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv (HdEG) eine Ausstellung erarbeitet, die erstmals die bislang unbekannten stadtgeschichtlichen Bezüge bei der Entstehung der Bundesrepublik vermittelt. Die Ausstellung wird an folgenden Terminen für alle Interessierten erneut in der Aula des Gymnasiums Borbeck an der Prinzenstraße 46 in 45355 Essen zugänglich sein:
Altschüler Thomas Kutschaty MdL und Merlin Goriß vom Essener Haus der Geschichte in der Ausstellung im Gymnasium Borbeck
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