Gedenkstein für NS-Opfer Josef Bestry

Borbecker wird im Landskreis Waldshut geehrt

1 11.04.2024

BORBECK. Für den von den Nazis ermordeten Josef Bestry aus Borbeck ist im baden-württembergischen Jestetten ein Gedenkstein errichtet worden. Auf Initiative der dortigen Kolpingfamilie wird am Sonntag, 21. April 2024, um 18.00 Uhr an der Friedhofskapelle eine Gedenkfeier stattfinden, bei der das neue Denkmal vorgestellt wird. Der 1908 in Borbeck geborene Josef Bestry war am 9. Oktober 1942 von den Nationalsozialisten in der ehemaligen Kiesgrube von Jestetten an der Schweizer Grenze im Landskreis Waldshut erhängt worden.

Spuren führen nach Borbeck

Mit intensiven Recherchen ging Dipl. Mathematiker Dr. Konrad Schlude, Leiter des Bildungswerks Jestetten, als CDU-Vorsitzender Mitglied des örtlichen Gemeinderates und Kolping-Mitglied, dem Schicksal von Bestry nach. Dabei wandte er sich seit 2021 auch an die Borbecker Kolpingsfamilie, zudem wurde borbeck.de-Autor Franz Josef Gründges bei den Nachforschungen aktiv. Die Untersuchungen ergaben, dass der am 13. Mai 1908 in Borbeck geborene Josef Bestry mit seinem ebenfalls in Borbeck geborenen vier Jahre älteren Bruder Aloysius Anton (*13.6.1904) an der Schönebecker Straße 7 (früher Kronprinzenstr. 7) aufwuchs. Das Haus gehörte seinem Vater, dem Grubenarbeiter Joseph (Jozef) Bestry und seiner Frau, der Näherin Sophie Albina Kowollik.


links: Familie Bestry lebte bis wahrscheinlich 1920 in der Schönebecker Str. 7, im Bild rechts Dr. Konrad Schlude aus Jestetten

Wie der Borbecker Standesamt-Auszug Nr. 277 vom 21.9.1903 zu ihrer Eheschließung ausweist, stammte der Vater, geboren am 13. April 1875 als Sohn des Wirts Thomas Bestry und seiner Frau Elisabeth geborene Grzesiak, aus Orpischew im westpreußischen Kreis Krotoschin. Er wohnte in der Borbecker Aktienstraße 31A. Die Mutter, geboren am 31. März 1883 in Chropaczow, Kreis Beuthen, war Tochter des Bergmanns Paul Kowallik und Katharina, geborene Pietruschka. Sie war in der Aktienstraße 143A zu Hause. Trauzeugen der beiden waren der 34-jährige Bergmann Josef Bugajewski von der Kronprinzenstraße 71 in Borbeck und der Bergmann Thomas Böhm, 42, von der Kalkstraße 8.

1920 ist die Familie Bestry letztmalig in den Essener Adressbüchern verzeichnet, so die Angaben des Essener Stadtarchivs, wo Dr. Konrad Schlude ebenfalls nachfragte. Danach war das Haus 1921 in die Hände eines neuen Eigentümers übergegangen – vermutlich ist die Familie 1920 aus Essen verzogen, möglicherweise nach Polen zurückgewandert.


Auszug aus dem Standesamt Borbeck zur Eheschließung der Eltern von Josef Bestry

In deutscher Kriegsgefangenschaft

Nach weiteren Akten ist der Vater jedoch bereits 1917 gestorben, ebenfalls die Mutter, deren Name allerdings mit „Barbara, geborene Kowalik“ angegeben wird. Damit wären Josef und sein Bruder Aloysius Anton mit 9 bzw. 13 Jahren bereits Vollwaisen gewesen. Das ließe den Schluss zu, dass beide Jungen in diesem Fall in die Obhut einer Verwandten ihrer eigenen Mutter kamen. Die mit diesen Sterbedaten der Eltern zitierten Dokumente aus dem badischen Jestetten verzeichnen jedoch nun Josef Bestrys eigenen Tod. Er starb mit 34 Jahren im badischen Jestetten. Der Eintrag des örtlichen Standesamts vermerkt: „Todesursache: durch Gestapo erhängt“ - er fiel dem Grenzpolizeikommissariat Waldshut der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zum Opfer.


Die Eintragung zum Tod von Josef Bestry im Standesamt Jestetten

Den Hintergrund weisen weitere Nachforschungen von Dr. Schlude nach: Nach den Archivdokumenten der „Wehrmachtauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegsgefangene“ im Stadtarchiv von Oppeln (Archiwum, Centralne Muzeum Jeńców Wojennyc, Opole) geriet der in Deutschland aufgewachsene Josef Bestry als polnischer Staatsangehöriger und Gefreiter im 56. Infanterie-Regiment am 20.09.1939 in Moscica (wahrscheinlich Neudorf-Neubrow am Bug, Woiwodschaft Polesien, Powiat Brześć, Gemeinde Domaczewo) in deutsche Kriegsgefangenschaft. Über die Kriegsgefangenenlager Dulag A Halbau, das Stalag VIII C Sagan in Schlesien (18.05.1940) und das Stalag VIII A Görlitz wurde er in das Stalag V B Villingen (22.06.1940) verlegt, wo er am 30.07.1940 freigelassen wurde – um von dort aus Bauern in Jestetten als Zwangsarbeiter zugewiesen zu werden.

Wegen „Sabotage“ zum Tod verurteilt

Wie Konrad Schlude herausfand, muss Josef Bestrys erster Arbeitgeber Reinhard Sigg ein sehr cholerischer Mann gewesen zu sein, mit dem sich Bestry nicht verstanden hat - er wechselte zu dem Bauern Benedikt Danner. Doch scheint der erste nachtragend gewesen zu sein: Er warf Josef Bestry vor, er habe ihm „eine Metallstange ins Gras gesteckt" – ein lächerlicher Vorwurf, der als Sabotage gewertet wurde. Am 25. Juli 1942 ist Josef Bestry der Gestapo in Waldshut übergeben worden, am 9. Oktober 1942 wurde er um 8 Uhr morgens in der Kiesgrube von Jestetten erhängt. Am nächsten Tag folgte „wegen einer Liebschaft mit einer Einheimischen" der Mord an dem Zwangsarbeiter Josef Stempniak im benachbarten Weizen – mit beiden Hinrichtungen wollte die NS-Justiz Hunderte völlig rechtlose polnische Zwangsarbeiter in der Region einschüchtern. Die Morde waren Teil einer Kampagne, die alle benachbarten Landkreise erfasste und allein im Zuständigkeitsbereich der Staatspolizeileitstelle in Karlsruhe fast 40 bekannte Hinrichtungen zur Folge hatten. Dafür Verantwortliche beförderten so ihre Karriere, wurden in den Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft und erhielten später sogar Sozialleistungen.

Untersuchungen wurden eingestellt

In den 1960er Jahren untersuchte die Staatsanwaltschaft die Hinrichtung, fand Konrad Schlude heraus. Sogar unter französischer Besatzung habe es bereits Untersuchungen gegeben, so der Lokalhistoriker aus Jestetten. Da zum Zeitpunkt der staatsanwaltlichen Untersuchung allerdings viele Beteiligte schon gestorben waren, seien diese Untersuchung eingestellt worden. Nach dem Dorfbuch von Jestetten, das sich 2001 vor allem auf Augenzeugenberichte stützte, wurde der Leichnam Josef Bestrys an Ort und Stelle verscharrt, nach anderen Vermutungen soll der Leichnam in die Anatomie nach Freiburg gekommen sein. Konrad Schlude geht davon aus, dass die sterblichen Überreste von der Gestapo aus der alten Kiesgrube mitgenommen wurden, das Grab lässt sich nicht lokalisieren. „Zwei Menschenleben wurden aus ideologischen Gründen vernichtet, und weitere Opfer des NS-Regimes wurden gedemütigt und gequält; es wurden Narben geschlagen, die mitunter noch immer nicht verheilt sind“, so Schlude im Briefwechsel nach Borbeck.

Gedenken im badischen Jestetten

Zum 80. Jahrestag der Hinrichtung von Josef Bestry 2022 luden die Kolpingsfamilie und das Bildungswerk Jestetten mit dem Gemeindeteam Weizen zu zwei Gedenkveranstaltungen. Um 8 Uhr morgens fanden sich jeweils zahlreiche Teilnehmer ein, beteten in Deutsch und Polnisch, auch die folgenden Gottesdienste in der evangelischen und der katholischen Kirche waren dem Gedenken gewidmet. Den Organisatoren sei es wichtig gewesen, nach der langen Zeit des Verdrängens „den Opfern ein Stück ihrer Würde zurückzugeben“, betonte Schlude. Die sonntägliche Messe wird seitdem am Todestag 9. Oktober für Josef Bestry gelesen. Auf Initiative der Kolpingsfamilie will auch die politische Gemeinde zukünftig für ein würdiges und dauerhaftes Gedenken sorgen, berichtete der SÜDKURIER am 28. Oktober 2022.

Am 27. März 2024 informierte Konrad Schlude in einem Schreiben nach Borbeck darüber, dass neben der Friedhofskapelle in der badischen Gemeinde ein umgearbeiteter Gedenkstein aus der Steinmetzwerkstatt von Kolpingbruder Siegfried Fricker (1907-1976) aufgestellt werden soll. Am 9. April erreichte die Kolpingsfamilie Borbeck der Hinweis, dass der Gedenkstein für Josef Bestry nunmehr steht: „Wir haben eine kleine Einweihung angesetzt, und dabei werde ich natürlich auch Essen-Borbeck als Geburtsort erwähnen“, so Konrad Schlude. Wer vor dem Gedenkstein steht, blickt in Richtung Kiesgrube, in der Bestry am 9. Oktober 1942 erhängt worden ist. Zur Einweihung am Sonntag, 21. April 2024, wird derzeit in vielen örtlichen Publikationen eingeladen.

Wer weitere Informationen zum Schicksal von Josef Bestry beitragen kann, ist herzlichen eingeladen, sich an die Redaktion von borbeck.de zu wenden.

cb / Bilder Konrad Schlude


Der Gedenkstein für Josef Bestry.

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Kommentare

Kommentar von Konrad Schlude |

Treu Kolping! Liebe Freunde aus Borbeck, es freut mich sehr, dass auch Ihr an Josef Bestry erinnert. Ich habe den Link auf diese Seite natürlich gerne übernommen.
Herzlichen Gruß aus Jestetten,
Konrad

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