"Ganz große Pause" in Don Bosco

Im Interview: Pater Otto Nosbisch SDB

0 07.04.2020

BORBECK. Gähnende Leere auf dem Schulhof, ein paar Vögel pfeifen verlassen im Schatten. Er steht am Fenster und schnauft durch: „Eine Geisterschule, stimmt, völlig unwirklich, fast gespenstisch.“ Pater Otto Nosbisch (61), Direktor des St. Johannesstifts der Salesianer Don Boscos, ist sonst ganz anderes gewöhnt. Von seinem Zimmer hat er hier in normalen Zeiten den Blick auf das quirlige Treiben von gut Tausend Schülerinnen und Schülern. „Wenn ich daran denke, dass die jetzt den Hof belagern, dass die über die Flure strömen, dass es laut, überall Leben ist und jetzt plötzlich nichts - wirklich null. Das ist wirklich ja dann ist das schon irgendwo auch bedrückend, wo man einfach spürt: Da fehlt was, die jungen Menschen fehlen, die sind nicht da.“ Aber die Zeiten sind nicht normal. Und doch muss es weitergehen am Don Bosco-Gymnasium (DBG), im Don Bosco-Club, in der Gemeinde und in der Ordensgemeinschaft. Gerade jetzt in der Karwoche werde jetzt besonders spürbar, was trägt, sagt Pater Otto.

„Große Pause“ - ganz ohne Klingelzeichen

Das Netzwerk ist jedenfalls nach dem Ende der „normalen“ Schulzeit sofort angesprungen: „Pater, wie geht’s Ihnen und alles klar bei Ihnen?“ Natürlich freue er sich über Nachfragen wie diese. „Ja, es geht mir gut“, lacht er. Aber was ihn schmerzt: Dass der Abi-Jahrgang in diesem Jahr fast lautlos und von jetzt auf gleich aus der Schule verschwindet, kaum Abschied nehmen kann. Mottowoche, Abi-Feier, Abitur-Gottesdienst und offizielle Verabschiedung – ja sicher, sie arbeiten dran. Aber alle bisherigen Planungen sind dahin und sie finden es schade - das hätten ihm die Oberstufenschüler auch gesagt. Und seien dann zum Blutspenden in die Stadt, weil sie gehört hätten, dass man so wenigstens etwas Vernünftiges tun kann: „Fand ich faszinierend. Super. Natürlich sollen sie alle auch die von den Lehrern verteilten Aufgaben erledigen - wir tun es auch.“ Zwar stehe die Schule still, doch seien mit einigen Baustellen schnell die Arbeiten vorgezogen worden, die sie sonst auf die Sommerferien verschoben hätten: Das Lehrerzimmer bekommt einen neuen Fußboden, das Wohnhaus der syrischen Studenten bekommt eine neue Küche und manches andere mehr sei zu tun.


Gähnende Leere: Stiller Schulhof im Don Bosco-Gymnasium

Wegstecken: Planungen zunichte

Was zuletzt alle im Haus besonders getroffen habe, sei die Absage der Internationalen Salesianischen Sportspiele gewesen. Ende April sollte das von Don Bosco in Borbeck organisierte Riesenevent in Duisburg fast 1.500 Jugendliche aus 13 Nationen zusammenführen. Doch am 10. März war klar: Unter diesen Umständen war alles Planen umsonst. Dreieinhalb Jahre Vorarbeiten waren damit „für die Tonne“, eine Riesenenttäuschung für die vielen Ehrenamtlichen und Freiwilligen aus Schüler- und Elternschaft, die Sponsoren und das ganze Orga-Team: „Im Prinzip waren wir durch mit allem, das Programm, die Unterkünfte, die Verpflegung, die Eröffnungs- und Abschlussfeier, alles, was eben dazugehört - das stand ja. Und als uns klar war, dass wir absagen müssen, da herrschte bei uns erst mal Stille, weil wir auch wirklich mit uns kämpfen mussten.“ Schlimm, sagt Pater Otto, vor allem für die Jugendlichen aus den salesianischen Jugendeinrichtungen in vielen Ländern Europas, die sich auf ein großes Erlebnis gefreut hatten, das für sie sonst kaum möglich gewesen wäre: „Das muss ich sagen, das tut mir persönlich sehr weh.“

Sehr grundsätzliche Fragen

So wie hier am Borbecker Don Bosco-Gymnasium traf es in den letzten Wochen auch Millionen andere: Alles menschliche Planen, Organisieren, die Vorfreude, der Einsatz und die ausgeklügelten Projekte – alles fiel in Staub zusammen. Der Traum vom „Alles machbar“ stoße eben auch auf Grenzen, meint Pater Otto Nosbisch. Es sei aber ein Gedanke, den man wirklich auch zulassen müsse – zumal, wenn nun jeder Mensch in oft ungewohnter Weise auf sich zurückgeworfen werde: „Ja ich denk auch manchmal: Wo kann diese Krise uns hinführen? Vielleicht auch zu einem neuen Nachdenken darüber, dass der Mensch mit all seinen Fähigkeiten, mit all seinem Können, Wissen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auch begrenzt ist.“ Aufgerufen seien damit sehr grundsätzliche Fragen: „Mensch, wer bist du? Woher kommst du? Wer bist du und wohin gehst du?“, meint Pater Otto, „diesen Fragen muss man sich früher oder später ja stellen: Wie stehe ich in meinem Verhältnis zur Welt, zu Natur, in meinem Verhältnis zu Gott, zu mir selbst? Und wo muss ich auch Grenzen anerkennen?“


Pater Otto Nosbisch SDB, Jahrgang 1959, stammt aus der Eifel und machte nach der Hauptschule zuerst eine Lehre bei der Post, bevor er 1977 die Beamtenlaufbahn aufgab und zu den Kölner Salesianern im Stadtteil Mülheim ging. Nach der Priesterweihe 1991 wurde er Leiter der dortigen Offenen Tür, wechselte dann an das St. Johannes-Stift in Essen-Borbeck. Seit 2008 leitete er das Haus Don Bosco in Calhorn und kehrte 2015 als Direktor nach Essen zurück.

Wunderbare Gesten

Der Glaube, sagt er, gebe da keinen „billigen Trost“. Doch dass viele auf die christliche Botschaft längst gar nichts mehr geben, wisse er nur zu gut. Und das sei nur allzu verständlich, führt er an: Volle Terminkalender, andere Prioritäten, der umtriebige Alltag – all das blockiere solche grundsätzlichen Fragen. Nach seiner Beobachtung aber ändere sich das in der aktuellen Ausnahmezeit: „Diese Fragen kommen jetzt. Es fällt vielen auf, dass da jetzt um 19 Uhr die Glocken bimmeln, andere eine Kerze ins Fenster stellen. Natürlich sagen manche: Alles völliger Hokuspokus. Aber wer jetzt mal die sozialen Netzwerke verfolgt: Was da plötzlich an Ideen auftaucht – das ist doch erstaunlich!“ Klatschen für Pflegekräfte, gemeinsam Musik machen, Teilen und Spenden – das seien ja nicht nur „Zeichen der praktischen Solidarität und wunderbare Gesten“, meint er. So habe er das zuvor noch nicht wahrgenommen: „Das geschieht in der Krise, wenn Fragen existenziell werden, wenn sie wirklich an mein Leben herantreten.“

Gefüllte Leere

Auch er persönlich erlebt selbst in diesen Wochen ganz massive Veränderungen in seinem Alltag. Sein dicker Managerkalender habe sich dramatisch geleert, erklärt Pater Otto – alles sei anders. Keine Termine, Sitzungen, kein Hamsterrad mehr, kein Betrieb wie sonst. „Du bist mit einem Schlag einfach aus dieser Dynamik raus. Das ist für niemanden einfach.“ Und die plötzliche Leere habe auch er gespürt, gibt er zu. Doch habe sie sich sofort wieder angefüllt - mit einer großen Intensität. An die Kranken zu denken, an die Gestorbenen, die positiv Getesteten, an die Arbeit der Verantwortlichen in Politik, bei Feuerwehr und Polizei, in allen medizinischen Diensten – das habe sich jetzt auch in sein Gebetsleben eingeprägt: „Ja, ich bin dankbar für diese Zeit mit den Mitbrüdern, wo wir zusammen für all diese Menschen beten, für diese Zeit um 19 Uhr, wo ich die Kerze anzünde, und wo die Glocken schlagen. Das ist das, was mich momentan zutiefst bewegt.“

Persönliche Seelsorge, Besuche und öffentliche Gottesdienste – all das sei ja jetzt nicht möglich. „Das, was Menschen jetzt notwendig haben wie Nähe, wie Zuwendung, bei Ihnen sein - das können wir ihnen nicht in der üblichen Weise geben“, sagt der Salesianer. „Aber wir haben uns gefragt: Was ist das, was wir tun können? Als geistliche Gemeinschaft sind wir ja auch eine betende Gemeinschaft. Und so nehmen wir diese Anliegen ganz besonders in unser Gebet.“ Regelmäßig treffen sie sich jeden Abend um 17.30 Uhr rund um einen Tisch in der Bibliothek zum Rosenkranz, lassen um 19 Uhr mit allen anderen Glocken auch die von Sankt Johannes Bosco läuten und beten ein Vater Unser. „Und die Menschen sollen wissen, dass wir für Sie beten! Und ich halte das auch für eine ganz wichtige Form der Solidarität. Das Gebet ist etwas, das uns Kraft und Stärke und Hoffnung geben soll. Deswegen tun wir das.“

Eine Messe jeden Tag

Jeden Tag feiert die Ordensgemeinschaft in ihrer leeren Kapelle auch die Messe. Stellvertretend für alle, betonen sie. Und angesichts der in den letzten Wochen hochkommenden Debatten, ob das denn so möglich und sinnvoll sei, schüttelt Pater Otto den Kopf. Das sei nicht sein Verständnis von Eucharistie: „Alle sind mit dabei, es geht doch nicht nur um die, die am Altar stehen. Es geht um die ganze Menschheit“, sagt er. Ob Kommunion in der üblichen Form oder nicht – es gebe auch eine „geistliche Kommunion“, an die Papst Franziskus kürzlich wieder erinnert habe. Und das letzthin in manchen Kreisen aufgekommene Reden vom „Virus als Strafe Gottes“ habe ihn total erschüttert: „Mein Gottesbild ist, dass Gott für uns Heil und Leben will, dass er uns nicht im Chaos zurücklässt, sondern dass er uns erlöst hat. Also, wer so ein Gottesbild hat, der hat diese Liebe, die Gott uns schenkt, zutiefst nicht verstanden!“

Die Grenzen des Wachstums

Apokalyptischen Endzeitstimmungen, wie sie ebenfalls verbreitet sind, kann er gar nichts abgewinnen. Wer Ängste schüre, auch vor Fremden und anderen Kulturen, handle unverantwortlich. Sehr wohl aber zwinge die Corona-Krise zu einem neuen Nachdenken über die Art des menschlichen Miteinanders und über das Verhältnis zur Schöpfung: „Was wir in unserer ganzen Lebenshaltung, unserem Lebensstil brauchen, ist ein anderes Wachstum. Ein Wachstum auf Solidarität, Friede, Liebe und Gerechtigkeit, die alle umfasst – das sollten wir lernen. Uns sollte offenbar werden, dass wir eine Welt sind und dass wir wirklich solidarisch mit ihr und uns sind.“ Hier gebe Jesus selbst die entscheidende Wegweisung: „Wie kann ich das in Respekt und Wertschätzung und Akzeptanz leben? Da müssen wir ran.“

Blick in die Karwoche

Für Christen, die diese Tage vor ihrem höchsten Fest nicht in der gewohnten Weise feiern können, sei es „eine sehr tiefe traurige Stunde“. Aber die modernen Medien machten es sehr viel leichter, die Kartage und das Osterfest mitzufeiern, betont Pater Otto: „Ich sitze zwar nicht in der Kirchenbank und neben mir links und rechts 300 weitere Menschen. Aber wir müssen uns eben bewusst machen: Da bin ich jetzt dabei, da bin ich jetzt mittendrin. Ob am Fernsehen, am Radio - wo auch immer ich die Liturgien mitfeiere - als Christ ist mir doch klar: Ostern fällt nicht aus! Ostern und Auferstehung lebt in mir, geschieht in meinem Herzen!“ Ein Gedanke, der sich heute in vielfältiger Form auch über Telefon, über Skype oder Mails weiterverbreiten lasse – besonders jetzt in dieser Zeit, unterstreicht der Pater. „Vielleicht lernen wir in dieser Zeit tatsächlich dann noch mal etwas intensiver: Dass wir Christen sind, die Zeugnis zu geben haben.“

Achtsam werden

Ja – es bewege ihn sehr, was die Pandemie-Krise jetzt weltweit anrichte. Und er appelliert an die Solidarität, die eigene Verantwortung. Jeder sei „der Hüter seines Bruders“, wie es schon im Alten Testament heiße. Er habe achtsam auf ihn zu sein, im Umgang miteinander, im Alltag, auf der Arbeit. Das mache nicht zuletzt die Kirche in diesen Tagen deutlich, auch wenn es bitter sei: „Es ist Verantwortung, wenn jetzt die Kirchen zu bleiben, wo sich ja gerade zu den Kar- und Ostertagen Massen treffen würden. Wir alle sind jetzt in einer Zeit, wo wir Verantwortung übernehmen müssen - jeder für sich, aber jeder auch für den anderen – das ist entscheidend.“

Die Freude aufs kommende Fest lässt sich Pater Otto nicht nehmen, auch nicht auf die Messen, wenn sie wieder „ganz normal" stattfinden. Und irgendwann, ist er sicher, wird im heute noch verwaisten Don Bosco-Gymnasium sicher auch wieder die Pausenklingel läuten – gefolgt von einem lebendigen und lauten Schülerlärm. Auf den freut er sich jetzt schon ...

CB

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