Die Jugendhalle an der Germaniastraße

Bald wird nichts mehr an sie erinnern …

0 16.02.2024

BERGEBORBECK. Wenn Sport, dann hier: Schon 1922 posierte Georg Melches (Bild unten) mit Leichtathleten von SuS 1912 (Spiel und Sport-Verein Emscher 1912) beim zweiten Jugendwerbetag am 1. und 2. Juli 1922 vor der Jugendhalle an der Germaniastraße. Und jetzt ist das Gelände seit Monaten eine Baustelle. Denn der Abriss des historischen Gebäudes ist lange beschlossen: Mit dem dazu gehörenden Platz ist es für den Neubau des Borbecker Schwimmbads vorgesehen.

Bevor nun alles weg ist und nichts mehr an die Stätten heißer Wettkämpfe, froher Feste, aber auch großer Verbrechen erinnern wird, darf man in die immer wieder lesenswerten BORBECKER BEITRÄGE des Kulturhistorischen Vereins Borbeck schauen, die viele Jahre lang von dem verstorbenen ehemaligen Leiter der Stadtbibliothek Borbeck, Andreas Koerner, betreut wurden. Er ging unter anderem auch der Geschichte der 1915 fertiggestellten „Jugendhalle“ an der Germaniastraße nach – nachzulesen in der 3. Ausgabe 1999 – die wir im Folgenden abdrucken:

Der Platz an der Germaniastraße wurde in den Jahren 1946/47 von der Handballabteilung des TuS 84/10 saniert. Auf dem Spielfeld waren Baracken für polnische und russische Fremdarbeiter, die in der Borbecker Zinkhütte (im Hintergrund) arbeiten mussten. Die Jugendhalle konnte Anfang der 50-er Jahre wieder benutzt werden. Bild unten: Der erste Vergleichskampf auf dem 1947 wieder aufgebauten Sportplatz an der Germaniastraße – zu erkennen ist das Banner der DJK (Deutsche Jugendkraft).

DIE JUGENDHALLE AN DER GERMANIASTRASSE

von Andreas Koerner

An der Germaniastraße/Ecke Jahnstraße befindet sich nicht nur ein Sportplatz, sondern auch ein älteres Gebäude, das den Namen Jugendhalle trägt. Um die Jahrhundertwende gab es nicht nur einen Jugendstil und begann nicht nur die Jugendbewegung, es gab auch Jugend, die sich in Jugendvereinen traf. Für diese Jugend Räume zu schaffen, war der Grundgedanke der Jugendhallen.

Eine Stimme dazu von 1914: „Der Gedanke, Jugendhallen zu bauen, entsprang dem allenthalben aufs lebhafteste hervortretenden Bedürfnis, den auf nationalem Boden stehenden Jugendvereinen für ihre verschiedenartigen Veranstaltungen in einem schönen Heime unentgeltliche Aufnahme und die notwendigen Einrichtungen zu bieten." (1) Sozialistische Jugendvereine waren damit nicht gemeint.

Bei der Errichtung eines öffentlichen Parks, einer kommunalen Bücherei, eines öffentlichen Schlachthofs hatten sich die Mitglieder des Borbecker Gemeinderats im Gegensatz zu dem des Altenessener ablehnend verhalten. Da war in Hinblick auf eine Jugendhalle auch keine Begeisterung zu erwarten, zumal dringend notwendige Schulbauten sowieso schon den Etat sehr strapazierten.

Die Lage der Gemeinden war bekannt, deshalb kam die Initiative von oben: „Der Landkreis Essen hat daher anläßlich des 25jährigen Regierungsjubiläums Sr. Majestät des regierenden Kaisers und Königs zum Zwecke der Errichtung von Jugendhallen im Landkreise Essen einen Betrag von 350 000 Mk. bewilligt. Dazu hat der Herr Kultusminister für die einzelnen Bauten Beihilfen im Gesamtbetrage bis zu 60 000 Mk. in Aussicht gestellt. Als Anhaltspunkt für die Ausführung der Bauten dienten die vom Landkreise angekauften Entwürfe der Herren Architekten Professor Georg Metzendorf und Direktor der Kunst-Gewerbeschule, Regierungsbaumeister Fischer, beide in Essen."

Georg Metzendorf (25. September 1874 - 3. August 1934) und Alfred Fischer (29. August 1881 - 10. April 1950) waren erstklassige Architekten. (2) Metzendorf hatte beispielsweise die Margarethenhöhe entworfen und Fischer das Gebäude des Siedlungsverbandes Ruhrgebiet (heute - noch - Kommunalverband Ruhrgebiet). Das wird die Gemeinderäte weniger interessiert haben als der finanzielle Anreiz. Vielleicht veranlasste auch die nahende Eingemeindung nach Essen, größere Ausgaben zu wagen.

Am 25. März 1914 jedenfalls wurden in Borbeck diverse Bauarbeiten „für den Bau einer Jugendhalle hierselbst“ ausgeschrieben. (3) Am 7. Mai schickte der Architekt Alfred Fischer „4 Blatt Zeichnungen von der Jugendhalle zur gefälligen Bedienung." Am 15. Juni 1915 kam die baupolizeiliche Meldung: „Die Arbeiten am Neubau sind so weit gestellt, daß nunmehr der Anschluß des Gebäudes an das Kabelnetz des Rh.W.E. erfolgen muß." Im gleichen Jahr wurde die Halle fertiggestellt. Aber auch in Sachen Jugendhalle waren die Altenessener schneller. Am 11. März 1914 wurde die Altenessener Jugendhalle eingeweiht. (4) Da sie ein anderes Aussehen hatte, stammt deren Entwurf vielleicht von Metzendorf.

Die Ausstattung der Jugendhalle in Borbeck entsprach wohl folgender Beschreibung: „Die Hallen umfassen durchweg einen Versammlungsraum mit Bühne; der Versammlungsraum dient gleichzeitig als Turnhalle; Lesezimmer, Ankleidezimmer und die sonst üblichen Nebenräume. In verschiedenen Hallen ist auch eine Wohnung für den Wärter vorhanden."(5) Bereits am 7. Juli 1914 hatte der Lehrerinnenverein sein Interesse bekundet, in der Halle ihre Übungen abzuhalten. (6) Am 5. Juni 1916 bittet der Wärter der Jugendhalle Joh. Handeloh um „eine Person, elektrische Lichtanlage nachsieht". (7)

Über die folgenden Jahre konnte ich bislang nichts in Erfahrung bringen. Am 23. Februar 1924 erklärte sich die Bergwerksgesellschaft König Wilhelm bereit, Bergschäden an der der Jugendhalle zu beseitigen. Es handelte sich hauptsächlich um Risse im Mauerwerk von Bühne, Brausen, kleinen Saal, Toiletten, Garderobe und oberen Sitzungszimmer. (8) Auch danach ist für mich eine Zeit ohne Informationen. Erst 1937 ist im Rahmen von Sammelaktionen von Altmaterialien „im Sammellager der Jugendhalle lagernden Altmaterialien“ die Rede. (9) Eine Tonne Eisenschrott wurde mit 35 Reichsmark bezahlt. In der Jugendhalle gesammelter Schrott ergab 139,30 RM.

Eine feuer- und sicherheitspolizeiliche Prüfung stellte im Jahre 1939 Mängel fest. Von deren Beseitigung wurde laut Schreiben der Polizei vom12. August 1940 Abstand genommen, „weil die Jugendhalle nicht mehr als öffentlicher Versammlungsraum benutzt wird. "(10) Es war Krieg. Aber als Turnhalle für Schüler fand sie noch im Dezember 1941 Verwendung. Rektor Rechenbach von der Wolfsbankschule (früher: ev. Bochold III) schrieb am 1. Dezember 1941 an das Sportamt, dass die Jugendhalle nicht ausreichend geheizt sei (Durchschnittstemperatur 10° C) und weiter: „Dazu kommt, dass viele Kinder heute nicht in der Lage sind, ausreichend warme Unterwäsche anzuziehen. Besonders aber haben die Kinder keine Turnschuhe. Sie turnen barfuß und erkälten sich bei der ungenügenden Temperatur sehr leicht, zumal sie infolge der Kriegsverhältnisse weniger fettreiche Ernährung haben."(11)

Diese Nutzung der Jugendhalle fand im folgenden Jahr ihr Ende. Am 10. November 1942 erfährt man, dass die Jugendhalle nebst Sportplatz in Essen-Borbeck, Germaniastr. 131, an die Wohnungsverwaltung der Firma Krupp vermietet ist und „heute mit ausländischen Arbeitern belegt worden“ ist. Die ausländischen Arbeiter mussten die zur Reichswehr eingezogenen Krupparbeiter ersetzen. Für sie waren auf dem Sportplatz an der Jugendhalle Baracken errichtet worden. Etwa 1942/1943 meldete die Stadt Essen: „Die im Kellergeschoß der Jugendhalle eingerichteten Luftschutzräume für die Lagerinsassen (Ostarbeiterinnen) reichen nicht aus. Die Belegungsstärke des Lagers, die zur Zeit 739 beträgt, wird in allernächster Zeit auf etwa 1100 ansteigen." (12) Der Aufenthalt der ausländischen Arbeiter wurde durch den Bombenkrieg beendet. Krupp meldete an die Stadtverwaltung, dass die Turnhalle am 12. März erheblich beschädigt und am 26. Juli 1943 gänzlich zerstört sei. (13) Da die Mietsache nicht mehr nutzbar war, stellte Krupp die Mietzahlung für Jugendhalle und Sportplatz ein.

Die mehr oder weniger zerstörte Jugendhalle wurde von dem Hausmeister Alfred Linden bewacht: „Besonders während des politischen Umschwungs 1945 hatte ich alle Mühe, oft auch des Nachts zu verhindern, dass etwas abhanden kam."(14) Es regte sich freiwillige Initiative, die Jugendhalle wieder nutzbar zu machen. Der Kraftsportverein Borbeck begann am 28. September 1947 mit der Instandsetzung des kleinen Saals. (15) Am 12. Februar 1949 stellte Rektor Lodenkamper von der Dionysiusschule den Antrag auf Benutzung der Halle für den Turnunterricht. (16) Pater Josef Hilprin vom St. Johannes-Stift stellte am 16. Februar 1951 den Antrag, die Jugendhalle für die „Schule für Spätberufene" nutzen zu dürfen. Am 14. Juni 1953 möchte er dort sogar ein Tennisturnier durchführen. (17)

Aus dem Jahre 1954 liegen Nutzungswünsche von verschiedenen Antragstellern vor: Alfred Kühnhold, Armstraße 25, für den „Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität, Ortsgruppe Essen-Borbeck", Felix Sykorra, Leimgardtsfeld 50, für die Sportabteilung der Zinkhütte und der Essener Boxclub Dubois 20 e.V.

Zu den Schulen, die die Halle nutzen, gehören: die Bergmühlenschule, die Haus-Berge-Schule, die Dürerschule und das Gymnasium Borbeck. Am 13. März 1956 will die Gesangsabteilung der Zinkhütte Bergeborbeck ein Konzert in der Jugendhalle durchführen. Antragsteller ist wieder Felix Sykorra. (18)

Das war ein Rückblick auf die bewegte Geschichte der Jugendhalle Borbeck. Sie steht immer noch. Man sollte sie unter Denkmalschutz stellen.“

…. Das ist wie wir wissen, nicht geschehen.

Anmerkungen:
(1) Assessor Friedrichs, Bericht über die Sammelausstellung des Landkreises Essen, in: Führer durch die Ausstellung „Unsere Jugend" Essen (Ruhr) Mai-Juli 1914. Essen 1914. 188 S., S. 163-164
(2) Erste Informationen in: Erwin Dickhoff, Essener Köpfe. Essen 1985. 298 S.
(3) Stadtarchiv Essen, Rep. 114 Nr. 420, Errichtung einer Jugendhalle. 1913-1917
(4) vgl. Essener Volkszeitung und Essener Anzeiger vom 12.3.1914 (nach Zeitungsausschnittsammlung der Heimatkundeabteilung der Stadtbibliothek
(5) Assessor Friedrichs, Bericht
(6) Stadtarchiv Essen, Rep. 114, Nr. 422, „Die Unterhaltung der Jugendhalle 1915-1929“
(7) Stadtarchiv Essen, Rep. 114, Nr. 421 „Errichtung einer Jugendhalle. 1915-1917"
(8) Stadtarchiv Essen, Rep. 114, Nr. 422
(9) Ebenda
(10) Stadtarchiv Essen, Sportamt, Akte 9
(11) Stadtarchiv Essen, Sportamt, Akte 205, Bl. 20)
(12) Ebenda Bl. 31
(13) Ebenda Bl. 47
(14) Ebenda Bl. 49 und 50
(15) Ebenda BI. 55
(16) Ebenda Bl. 58
(17) Sportamt, Akte 8
(18) Ebenda

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