Isarbelle kann leben: Borbecker Oberarzt half Erdbebenopfern auf Haiti

Dr. Thomas Rolfs aus dem Philippusstift berichtet nach I.S.A.R. Germany-Einsatz in der Karibik über die katastrophale Lage in dem Land

0 13.09.2021

HAITI/BORBECK. Das kleine Mädchen trägt einen ungewöhnlichen Vornamen: Isarbelle. Den haben die humanitären Helferinnen und Helfer von I.S.A.R. Germany kreiert. Das Frühchen verdankt ihnen aber nicht nur seinen Namen. Die freiwilligen Hilfskräfte aus Deutschland haben eine Amme gefunden, das kleine Bündel Mensch stabilisieren und so vor dem sicheren Tod bewahren können. Die Großmutter hatte Isarbelle den Ärzten, Pflegekräften und Sanitätern des I.S.A.R.-Feldkrankenhauses auf der haitianischen Insel Les Cayemites übergeben. Ihre schwerstkranke Tochter wird sich niemals selbst um ihr Baby kümmern können.

Als erstes und bislang einziges europäisches Emergency Medical Team (EMT) waren die deutschen I.S.A.R.-Helfer nach dem schweren Erdbeben im August nach Haiti geflogen, um dort medizinische Soforthilfe zu leisten. Dr. Thomas Rolfs, Oberarzt der Viszeralchirurgie am Philippusstift, war einer von ihnen. Seit Wochenbeginn ist er zurück in Borbeck. Haiti war nicht der erste Auslandseinsatz des Essener Mediziners. Schon nach dem Erdbeben und dem daraus folgenden Tsunami 2018 in Indonesien hat er dort bei der Bereitstellung von Trinkwasser geholfen, im vergangenen Jahr war er nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut im Einsatz.

Bei I.S.A.R. Germany ist er seit 2013 engagiert. „Es war schon immer ein Anliegen, etwas von dem zurückzugeben, was ich hier an Gutem erfahre“, erklärt der Oberarzt der Klinik für Allgemeine und Spezielle Viszeralchirurgie am Philippusstift seine Motivation. Der Grundstein dafür wurde bereits im Studium gelegt. „Ich war einige Zeit in Südafrika. Mein dortiger Gastvater, ein Orthopäde, hat immer wieder unentgeltlich Menschen behandelt, denen diese Hilfe ansonsten verwehrt geblieben wäre. Sein Beispiel prägte mich.“

Deshalb musste Thomas Rolfs auch nicht lange überlegen, als die I.S.A.R.-App die bundesweit ca. 150 registrierten und ausgebildeten ehrenamtlichen Helfer über die Katastrophe in Haiti informierte. Wenige Stunden, nachdem das Erdbeben große Teile im Süden des Karibikstaates zerstört hatte, lief die Hilfsmaschinerie hier an. Von der Familie gab es für Thomas Rolfs direkt grünes Licht für den erneuten Auslandseinsatz, trotz der schwierigen Sicherheitslage in Haiti. Und auch die Zustimmung des Arbeitgebers war Formsache. Dass es erst trotzdem erst zwei Tage später mit einem gecharterten Airbus und dem notwendigen Equipment Richtung Port-au-Prince losgehen konnte, lag an der fehlenden Landegenehmigung für die Helferinnen und Helfer.

Erst acht Tage nach dem Beben konnte das Team seine Arbeit in der Katastrophenregion aufnehmen. „Da ging es nicht mehr um die Bergung von Verschütteten“, so Rolfs. Die vielen Verletzten brauchten dringend Hilfe. Die Inseln Les Cayemites liegen nahe am Epizentrum. Unzählige Gebäude sind zerstört, viele Familien obdachlos. Auf dem Seeweg mussten die Helfer ihr 11 Tonnen schweres Equipment von der Hauptstadt aus in die Krisenregion transportieren. „Der Anleger der Insel war nicht mehr anlaufbar“, schildert Rolfs die Eindrücke nach der aus Sicherheitsgründen nächtlichen Überfahrt. Knapp einen Kilometer vor der Küste musste die komplette Ausrüstung auf kleine Fischerboote umgeladen werden. Doch trotz aller Schwierigkeiten: Mensch und Material sind wohlbehalten angekommen.

Während ein Teil der Helfer das Lager, bestehend aus Behandlungs-, Schlaf- und Materialzelten, aufbaute, begannen andere bereits mit der medizinischen Versorgung der Menschen. Schon vor dem Erdbeben war viele Jahre lang kein Arzt mehr auf der Insel gewesen, um die rund 18.000 Bewohner zu versorgen. „Das liegt alles in Hand einer einzelnen Krankenschwester“, so Thomas Rolfs. Der Bedarf an medizinischer Hilfe auf Les Cayemites war enorm. Tag für Tag versammelten sich hunderte von Menschen, darunter viele Kinder, vor dem Feldlazarett. Knochenbrüche, schwerste Verbrennungen, entzündete und vereiterte Wunden, Abszesse – die Liste war lang. Insgesamt konnten während des siebentägigen Einsatzes 821 Patienten behandelt werden, darunter über 200 Kinder und 90 Schwangere.

Thomas Rolfs war als Chirurg für das OP-Zelt verantwortlich. Bei Temperaturen von über 40 Grad hatte das Team Enormes zu leisten. „Da auf Haiti gerade Regenzeit ist, gab es einmal täglich auch einen großen Platzregen“, berichtet der Essener. Trotz der schwierigen Umstände, der angespannten Sicherheitslage – die Helfer wurden Tag und Nacht von einem Sicherheitsteam geschützt – gab es viele kleine Glücksmomente. Zwei gesunde Kinder haben mit Hilfe der Deutschen I.S.A.R.- Helfer im Feldlazarett das Licht der Welt erblickt.

Ein Patient mit einer akuten Blinddarmentzündung konnte mit Hilfe des amerikanischen Militärs ausgeflogen und somit gerettet werden. Einen kleinen Jungen, der aufgrund seiner schweren Brandverletzungen seinen Arm nicht einmal mehr auf Schulterhöhe bewegen konnte, haben Thomas Rolfs und sein OP-Team erfolgreich operiert und versorgt. Und nicht zuletzt Isarbelle.

Damit die Hilfe für die Menschen auf Les Cayemites nach Abreise der Helfer weitergehen kann, hat das I.S.A.R.-Team einen Großteil seines Equipments dort belassen. Die großen Zelte bieten obdachlosen Familien jetzt eine vorübergehende Unterkunft, 200 Kilogramm Medikamente füllen die Dorfapotheke, die mitgebrachte Anlage zur Trinkwasseraufbereitung ist weiter in Betrieb und dem Inselpfarrer haben die deutschen Helfer eine Tonne Reis zur Versorgung der Bevölkerung überlassen. Die Krankenschwester kann zukünftig mit einem Wehenschreiber Geburten besser begleiten, wurde von den Ärzten und Pflegekräften in der Benutzung des überlassenen medizinischen Materials eingewiesen, um nun die weitere Behandlung der Erstversorgten und operierten Menschen zu übernehmen.

Zuletzt war unklar ob die Krankenschwester Ihrer Arbeit langfristig weiter nachkommen kann, da seit Monaten kein Gehalt mehr überwiesen wurde. I.S.A.R. hofft Wege zu finden sowohl die kleine Isarbelle, als auch für die Weiterbeschäftigung der Krankenschwester auf Les Cayemites, Möglichkeiten der Unterstützung zu finden. Dies gestaltet sich, nicht zuletzt wegen der unsicheren politischen Lage in Haiti, schwierig. „Dennoch scheint die Hilfe für Haiti weiter zu gehen“, ist Thomas Rolfs zuversichtlich, dass sein Team als Wegbereiter fungiert hat: „Weitere EMT-Teams aus Norwegen und Italien haben Ihre Bereitschaft erklärt in Haiti den Menschen die dringend benötigte Hilfe zu leisten.“

Das ist I.S.A.R.
I.S.A.R. Germany ist eine gemeinnützige Hilfsorganisation, 2003 in Duisburg gegründet. Der Name I.S.A.R. steht für „International Search-And-Rescue“ und ist ein Zusammenschluss aus Spezialisten verschiedener Hilfsorganisationen und dem Bundesverband Rettungshunde e.V. Auch wenn die Einsatzkräfte sich hauptsächlich ehrenamtlich engagieren, reicht das lange nicht aus. Die Kosten für die Einsätze werden aus Spendengeldern finanziert.
Wer helfen möchte: https://isar-germany.de/so-helfen-sie

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