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0 18.11.2019
ESSEN. Die Verabschiedung der Haushaltspläne für das Jahr 2020 und verschiedene Jahresberichte waren Schwerpunkte der Herbstsynode des Kirchenkreises Essen. In seinem Grußwort warnte der Leiter der Alten Synagoge Essen, Dr. Uri Kaufmann, vor dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland und appellierte an die Kirchengemeinden und Dienste des Kirchenkreises, den Rechtsstaat und die Demokratie entschieden zu verteidigen – ob auf dem Schulhof oder durch eine gezielte Bildungsarbeit für Menschen aller Altersstufen.
Das Kirchenparlament der Evangelischen Kirche in Essen kam am Samstag (16. November) in Rüttenscheid zu seiner 24. ordentlichen Tagung zusammen. Eröffnet wurde die Kreissynode mit einem Abendmahlsgottesdienst in der Reformationskirche; die Predigt hielt Pfarrer Andreas Volke aus der Kirchengemeinde Rellinghausen.
In seinem Grußwort hob Dr. Uri Kaufmann die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreis Essen hervor – zuletzt sehr intensiv im Jahr des Reformationsjubiläums sowie auch regelmäßig bei der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Dass die Behandlung des Judentums heute im evangelischen Religionsunterricht explizit vorgesehen sei, bezeichnete der Leiter der Alten Synagoge Essen als guten Fortschritt; „Ich nehme gerade innerhalb der Kirchen eine große Offenheit wahr, etwas über das Judentum, seine Geschichte und seine Religiosität zu lernen und auch das Versagen von großen Teilen der Evangelischen Kirche angesichts der Verfolgung und Vernichtung von Juden in der Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.“
Bedenkliche Entwicklungen bereiten Sorgen
Andererseits machte er seine Sorgen über bedenkliche Entwicklungen innerhalb der deutschen Gesellschaft deutlich und beschrieb eindringlich, warum sich viele Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlten: Hemmschwellen, antisemitische Formulierungen zu verwenden, fielen mehr und mehr weg. Auf den Schulhöfen sei immer häufiger das Schimpfwort „Du Jude!“ zu hören, ohne dass jemand einschreite. Dass Sympathisanten der Hamas im Juli 2014 auf dem Willy-Brandt-Platz ‚Juden ins Gas‘ riefen, sei „Antisemitismus in Reinform“ und habe nichts mit einer rationalen Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu tun. „Die politische Polarisierung nimmt zu und manches, was ich in der Presse darüber lese, schockiert mich. In den vier neuen Bundesländern haben zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent der Wähler ihre Stimme einer Partei gegeben, die auch rechtsextreme Positionen vertritt. Neue Medien bieten Gleichgesinnten eine Plattform um sich auszutauschen, tragen aber auch dazu bei, dass sich Menschen in extreme Positionen hineinsteigern und radikalisieren, wie der Anschlag in Halle zeigt.“
Auch die Wahrnehmung des Nahostkonflikts, unter anderem in Teilen der Friedensbewegung, sieht Uri Kaufmann problematisch: Das Thema sei komplex. Sowohl auf Seiten der Israelis wie auch der Palästinenser gebe es tiefsitzende Traumata, deren Ursachen und Folgen – der Angriff arabischer Armeen 1948 und permanente Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen einerseits, Vertreibung und Flucht andererseits – differenziert wahrgenommen werden müssten. „Einseitige Schuldzuweisungen, egal in welche Richtung, helfen nichts. Die Aufforderung, alle israelischen Waren pauschal zu boykottieren, schürt den Hass und führt dazu, dass Juden in Deutschland, die für eine friedliche Lösung des Konflikts mit den Palästinensern eintreten, verstummen. Die Katastrophe, die die Palästinenser 1948 erlitten hätten, ist real und hatte schreckliche Folgen. Trotzdem darf sie nicht mit dem Massenmord an den europäischen Juden verglichen werden.“ Man könne an israelischer Politik viel kritisieren, wie man auch Entwicklungen in Deutschland kritisieren könne. „Oft versteckt sich hinter einer Fundamental-Kritik und Empörung aber ein Bedürfnis nach ‚Entsorgung‘ der deutschen Vergangenheit: Man vergleicht, was israelische Soldaten tun, mit den NS-Untaten, um die Vergangenheit der eigenen Großväter zu relativieren.“
An die Essener Kirchengemeinden, Dienste und Einrichtungen appellierte Uri Kaufmann, offensiv für die Bewahrung von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. „Essen ist heute eine multi-ethnische, multi-religiöse Stadt in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat. Die jüdische Gemeinschaft ist nur ein kleines Teilchen mit 900 Mitgliedern in diesem großen Mosaik von fast sechshunderttausend Einwohnern einer Großstadt. Es gilt, negative Einflüsse auf das Zusammenleben der Religionen abzuwehren, die gegenseitigen Kenntnisse zu fördern, Kontakte über die Religionsgrenzen herzustellen um ein gutes Nebeneinander und manchmal auch Miteinander zu befördern“, sagte der Leiter der Alten Synagoge. Hier stehe der Kirchenkreis Essen in seiner gesellschaftlichen Verantwortung „für den Frieden in der Stadt zu sorgen“, wie es beim Propheten Jeremia (Kapitel 29, Vers 7) heiße. „Wir hoffen weiter darauf, dass die Sicherheitsschleusen und der Polizeischutz für jüdische Gemeinden und Institutionen, die sich wie die Alte Synagoge Essen mit dem Judentum beschäftigen, eines Tages nicht mehr nötig sein werden.“
Jahresbericht der Superintendentin
Im Anschluss erstattete Marion Greve den Synodalen ihren Bericht über die bedeutenden Ereignisse der vergangenen Monate. Darin ging die Superintendentin auf die sich verschlechternden Rahmenbedingungen kirchlicher Arbeit ein, die auch schmerzliche Abschiede, unter anderem von Gebäuden, nötig machten. Umso wichtiger sei es, gemeinsamen nach innovativen Wegen zu suchen, die neue Formen kirchlicher Gemeinschaft ermöglichten, Kooperationen über alle kirchlichen Ebenen hinweg und zwischen den Gemeinden zu fördern und auch neue, außerkirchliche Partner zu gewinnen. Als gute und gelungene Beispiele nannte sie die anstehende Fusion der Gemeinden Bredeney und Margarethenhöhe, die Gründung des offenen Zentrums „60plus“ gemeinsam mit der Stadt Essen (Gemeinde Altenessen-Karnap), die funktionierende Ökumene im Markushaus (Borbeck-Vogelheim) und in Gerschede (Dellwig-Frintrop-Gerschede) und den gelungenen Start des „Forums für inklusive Kultur“ des Integrationsmodells im Gemeindezentrum auf der Billebrinkhöhe (Bergerhausen).
Das Jahresthema 2020 des Kirchenkreises werde eine aktuelle Kampagne der Diakonie in Deutschland aufgreifen, kündigte die Superintendentin an: „Die Kunst des Zuhörens in ‚unerhörten‘ Zeiten.“ Eröffnet wird dieser thematische Schwerpunkt mit dem Neujahrsempfang am 6. Dezember, zu dem der Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Ulrich Lilie, als Gastreferent in der Marktkirche erwartet wird. Im Zeitraum von den Osterferien bis zum „Tag der offenen Gesellschaft“ Mitte Juni stellen Kirchengemeinden, Dienste und Einrichtungen des Kirchenkreises die Bedeutung einer „zuhörenden Kirche“ in den Mittelpunkt mehrerer Veranstaltungen: „Im Sinne eines aktiven Zuhörens, bei dem ich neugierig bin auf mein Gegenüber und die Resonanz im Blick habe. So wie Jesus die Menschen in ihrem Alltag bewusst wahrnahm, sich auf ihre Situation einließ und ihnen zuhörte. Besonders denen, die sich ungehört fühlen.“ Erste Ideen stehen im Raum: Sie reichen vom Zuhören in der Seelsorge über eine Ausstellung des Diakoniewerks, ein Bürgergespräch und einen Mitarbeitenden-Workshop mit den Kettwiger „Seelenbrettern“ bis hin zu einem offenen Demokratiefrühstück vor der Marktkirche.
Der Bereich Finanzen und Haushaltspläne nahm einen weiteren großen Bereich der Synode ein. Mehr unter: www.ekir.de
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