Als noch Dampfrösser fuhren

Das Monatsbild vom KHV-Kalender

0 18.03.2020

BORBECK. Wer in diesen Tagen morgens auf den Kalender schaut, sieht vielleicht auch dieses Foto: Es ist das aktuelle Bild vom Jahreskalender des Kultur-Historischen Vereins Borbeck e.V. (KHV), der mit seinen Motiven in jedem Monat an Szenen aus der lokalen Geschichte in Borbeck erinnert. Seit knapp drei Wochen schnauft nun dieses Dampfross von der Wand, eines der letzten, die bei uns über die Strecke rollten. Die Waggons bis oben voll beladen mit Kohle, an deren Förderung die ganze Region hing – und nicht nur die. Ohne Kohle und Koks kein Eisen, kein Stahl, keine Schwer- und Verbundindustrie, die sich mit den eisernen Schienensträngen ihre eigenen Verkehrswege schuf.

Die Eisenbahn machts möglich

Noch deutlich vor der Stadt Essen war die Bürgermeisterei Borbeck an den internationalen Gleisverkehr angeschlossen worden: Der erste Bahnhof in Berge bei Borbeck wurde seit 1847 aufs freie Feld gebaut. An der Köln-Mindener, einer der rentabelsten deutschen Eisenbahnstrecken, entwickelte er sich zum Schwerpunkt der Industrialisierung (Zechen Carolus-Magnus, Emscher, Emil, Amalie und Wolfsbank, Eisen- und Hochofenwerk „Phönix“, Zinkhütte und Borbecker Maschinenfabrik) und zur Keimzelle für Bergeborbeck, der schließlich bevölkerungsreichsten Ecke der Gemeinde, für die 1886 die Kirche St. Maria Rosenkranz eröffnet wurde. Der 1886 gebaute Dellwig-/Frintroper Bahnhof in der Nähe der Gutehoffnungshütte sollte später einer der größten Güter- und Verschiebebahnhöfe des Reviers, des ganzen Deutschen Reichs und des Kontinents werden. Hier rollte die geförderte Kohle, kamen riesige Wälder von Stempelholz zum Streckenausbau unter Tage an, von hier gingen Güter in alle Welt.

Eine Landschaft verwandelt ihr Gesicht

Und es kamen Menschen, Abertausende von Arbeitskräften auf der Suche nach ihrem Glück: Aus allen Regionen, aus dem Ausland, aus ganz unterschiedlichen Kulturen kamen sie, mit kleinem Gepäck und in der Hoffnung, dass sie ihre Familie nachholen oder hier eine Familie gründen konnten. Mit ihren unterschiedlichen Dialekten, ihren religiösen Prägungen, mit ihren Talenten, ihrer reinen Arbeitskraft. Sie erreichten eine Region, deren Gesicht sich im Fieber nach dem „schwarzen Gold“ dramatisch änderte: Das Idyll der verstreuten Bauernhöfe und Siedlungen mit ihren weiten Wiesen, Weiden und Äckern auf den sanft geschwungenen Hügeln zwischen Ruhr und Emscher verwandelte sich im rastlos stampfenden Takt der Industrie in eine Boom-Landschaft, Eisenhütten, Fabriken und Fördertürme mit ihren surrenden Rädern, Schornsteine, Qualm und Lärm nahmen die landwirtschaftlich geprägten Kirchdörfer in die Zange.

Ruhrgebiet als Niemandsland

Das Jahrhundert von Kohle und Stahl drückte allem seinen Stempel auf und beförderte das weit verbreitete Bild eines chaotischen, wurzel- und geschichtslosen Breitengrads. Das lassen noch Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre lassen Zitate das aus bundesdeutschen Zeitungen erahnen. So schrieb der 1936 geborene Essener Jürgen Lodemann, damals Zeitungsvolontär in Essen 1964 in der WELT: „… ein Labyrinth von Stein, Asphalt und Beton, … ein Knäuel von Straßen, Wegen, Schienen, ... ein Himmel aus Ruß und Rauch... ohne Zentrum, ohne Peripherie ..., große Städte, häßliche Städte, ineinandergelaufen wie ein Kuchenteig, ... Stahlgerippe statt Bäume ... Rauch, Räder, Ruß auf den Wohnkasernen - das ist die Landschaft an der Ruhr, … es ist ein Brei. (...) Eigentlich sind diese halbstarken Möchtegernstädte Niemandsland zwischen Städten und Gleisanlagen, Pferche inmitten von Abraumhalden, Fördertürmen und Gehedder von Industrie; Gettos ...“. (Wider die rußige Romantik. Das Industrie-Revier ändert sein Gesicht. Der Reiz des Ruhrgebiets liegt nicht mehr in seiner imposanten Häßlichkeit, in: WELT 1964, Nr. 240 vom 14.10.1964.).

Das Ende der Dampfrösser

Seit 1879 war in Borbeck auch der Personenverkehr auf der Strecke Mülheim-Heißen, Borbeck und Frintrop eröffnet, 1893 wurde das neue Bahnhofsgebäude in Borbeck-Mitte errichtet, 1922 eine weitere Verbindung zwischen Borbeck, Dellwig-Ost und Bottrop in Dienst gestellt. Doch gut 50 Jahre später war das Zeitalter der Dampflokomotiven endgültig beendet: „Am 2. Juni 1973 führ die letzte Dampflok mit Personenzug durch Borbeck“, heißt es in der Erläuterung auf dem Jahreskalender des KHV. „Und somit folgte die Diesellok dem Dampfross. Der Dampf-Personenzug Coesfeld-Essen war einer der letzten mit Dampfkraft getriebenen Personenzüge im Ruhrgebiet. Im Jahre 2006 löste der moderne und komfortablere „Borkener“ auch die alten Rumpelkistenwaggons“ ab.“ Auf dem Bild zu sehen ist im Hintergrund übrigens die Lagerhalle des Möbelhauses Bücking, so die Erklärung: „Bücking fand später sein neues Domizil am Wolfsbankring, wo früher Zeiten Hunderte von Männern auf Zeche Wolfbank unter Tage vor Kohle und in der Kokerei malocht hatten.“

CB

Bild: KHV Borbeck

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