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0 14.09.2020
BORBECK / VOGELHEIM. Jahrzehntelang prägten sie das Gesicht Borbecks mit: Jetzt verlassen die beiden letzten kroatischen Ordensschwestern Fanita Jukić und Alis Lovrić die Stadt Essen. Auch der langjährige Pastor der Kroatischen Gemeinde, Pfr. Stjepan Penic, geht zurück in die Heimat. Bischof Franz-Josef Overbeck und Michael Dörnemann, Leiter des Pastoraldezernats im Bistum Essen, haben sie am Sonntag, 13. September, bei der Firmfeier der kroatischen Gemeinde in St. Maria Rosenkranz verabschiedet. Bischof Overbeck dankte den drei Seelsorgern für ihr langjähriges und engagiertes Wirken und erinnerte daran, dass die ersten kroatischen Seelsorgerinnen und Seelsorger vor 60 Jahren nach Essen kamen.
Alles begann mit den Emigranten, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem kommunistisch gewordenen Jugoslawien kamen und im Bergbau arbeiteten. Ein hartes Leben - sie wohnten, kaum beachtet, in kleinen Kolonien, Baracken und Männerheimen, vielen machte die Trennung von den Familien zu schaffen. Nur selten kamen Seelsorger ins Ruhrgebiet, feierten mit ihnen Gottesdienste zu Weihnachten und Ostern. Unter ihnen der ebenfalls geflüchtete Priester Franjo Lodeta - er fand 1956 Zuflucht bei Pfarrer Albert Schmidt in der Gemeinde St. Thomas Morus. Und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit: Pfarrer Lodeta, Sozialarbeiter, Dolmetscher und Anwalt in einer Person, suchte und fand seine Landsleute im ganzen Ruhrgebiet. Ständig auf Achse, spendete er Sakramente und feierte Gottesdienste – nicht selten sogar an den Arbeitsplätzen.
1960 holte Pfarrer Lodeta über den Vatikan Schwester Benicja Rubić nach Essen, die erste Ordensschwester der „Dienerinnen vom Kinde Jesu“. Bald schlossen sich ihr viele junge Schwestern der in Sarajevo gegründeten Gemeinschaft an. Und langsam nahm die schwierige Seelsorgesituation für die katholischen Landsleute in der Fremde festere Formen an: Ruhrbischof Dr. Franz Hengsbach weihte am 28. Mai 1966 das Kroatische Zentrum „An der Bergbrücke 7“ im Essener Stadtteil Vogelheim ein, am 6. Januar 1967 das Kroatische Kloster mit seiner der Gottesmutter Maria gewidmeten Kapelle. Zu den ersten Ordensschwestern zählten Fanita Jukić und Alis Lovrić, die gleich in der Gemeindeseelsorge tätig wurden.
Zur rechten Zeit: Denn immer mehr Arbeitskräfte aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden damals als „Gastarbeiter“ nach Deutschland geworben. Für sie war die junge Gemeinde erste Anlaufstelle bei der Arbeits- und Wohnungssuche, für alle sozialen und seelsorglichen Probleme. Allein im Bistum Essen entstanden fünf neue kroatische Pfarrgemeinden. Als die Caritas den Großteil der Sozialarbeit übernahm, wurden die Herausforderungen nicht geringer: Nach dem Anwerbestopp trat die Gemeinde durch die Familienzusammenführungen in eine neue Phase und Pionier-Pfarrer Franjo Lodeta bat im Bistum Zagreb um Hilfe.
Sie kam 1977 mit dem damals jungen Priester Stjepan Penić. Drei Jahre später übernahm er nach dem Tod von Pfarrer Lodeta die Gemeindeleitung und setzte ganz auf die Seelsorge: Große Kinder- und Jugendgruppen mussten auf Erstkommunion und Firmung vorbereitet werden, auf dem Programm standen regelmäßiger Religionsunterricht, Katechetentage, Bildungswochenenden und geistliche Erneuerungstage für Erwachsene und Familien. Große Gemeindefeste, Pilgerfahrten, Kultur- und Sportveranstaltungen stärkten die Gemeinschaft. Immer tatkräftig unterstützt von den temperamentvollen und hochmobilen Schwestern, die inzwischen von Essen aus sogar Ableger ihres Ordens in der französischen Hauptstadt Paris, zwei Missionen in Kanada und eine Missionsstation im afrikanischen Ruanda gründeten. In Essen selbst waren inzwischen Mitschwestern in Altenheimen und Pflegediensten tätig und leiteten zweitweise den Haushalt von Bischof Hubert Luthe.
Inzwischen hatten Zuwanderer aus 500 Gemeinden Kroatiens und aus Bosnien-Herzegowina rund um die Bergbrücke ein neues geistliches Zuhause gefunden. Sie pflegen ihre Sprache, ihre Musik, Tänze und Bräuche aus der Heimat, sie pflegten Kontakte untereinander und mit zahllosen Verwandten in der ganzen Welt. Schwester Fanita engagierte sich besonders für die Jugend: Zahllose Siegerpokale für sportliche und tänzerische Leistungen, Fahnen und Erinnerungen an viele Begegnungen schmückten bald den Saal im Erdgeschoss des schlichten Pfarrhauses. Und sie lebten rund um St. Thomas Morus in Vogelheim ihre katholischen Wurzeln - in ihrer Heimatsprache: Ihr Seelsorger Pfarrer Stjepan Penić predigte für seine Landsleute an jedem Sonntag bei der Messe um 12 Uhr in einer oft übervollen Kirche, täglich feierten sie Messe in der kroatischen Kapelle.
Doch ab 1990 schlugen die Schockwellen aus dem zerfallenden Jugoslawien bis in die Auslandsgemeinden in aller Welt durch – die Ereignisse und Folgen des grausamen Kroatienkrieges (1991-95) wurden zur großen Bewährungsprobe auch für die Essener Gemeinde und die Ordensgemeinschaft. Auf die blutige Vertreibung Hunderttausender Menschen aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina reagierten ihre Landsleute in Essen mit Leidenschaft und großem Engagement: Sie starteten Sammlungen und Hilfsaktionen für die Notleidenden in Kriegsgebieten der Heimat, weit über 100 LKW-Ladungen mit Hilfsgütern verließen das Kroatische Zentrum an der Bergbrücke. Die Medien verpassten dem Kroatenseelsorger gar den Spitznamen „Kartoffelpater”, weil er in der Heimat für nachhaltige Hilfe durch Saatkartoffeln sorgte.
Über 2.500 Kroaten kamen in diesen Jahren als Flüchtlinge nach Essen: Ein Großteil wanderte weiter nach Übersee, Hunderte aber fanden Arbeit und Bleibe in der Kroatischen Gemeinde. „Sie konnte vielen lebenswichtige Unterstützung geben und war wichtig für die Bewahrung und Stärkung des Glaubens. Die Kirche gab ihnen Schutz und half ihnen, eine neue Heimat zu finden”, erinnerte sich Pfarrer Stjepan Penić damals. Was in Essen und im Ruhrgebiet galt, galt in jener Zeit überall auf der Welt – ob in den USA, Europa oder Australien: Denn heute leben rund zwei von über sieben Millionen Kroaten außerhalb ihres Heimatlandes. Katholische Pfarrer und Schwestern folgten ihnen überall hin, schufen Treffpunkte und waren oft erste Anlaufstelle für Neuankommende. Doch an der Bergbrücke warteten sie nicht, bis die Gemeindemitglieder von selber kamen: Jährlich besuchten Pfarrer Penić und die Schwestern über 400 Familien, segneten die Wohnungen, kümmerten sich um ganz praktische Fragen und sorgten für den Zusammenhalt rund um die Kirche St. Thomas Morus und das Kroatische Zentrum.
Seit der Bildung der Borbecker Großpfarre gehört die Kroatische Katholische Kirchengemeinde St. Marien zur Pfarrgemeinde St. Dionysius. Die ersten vier Schwestern der Gemeinschaft der Dienerinnen vom Kinde Jesu wurden bereits vor zwei Jahren aus Essen verabschiedet. Nun verlassen mit Fanita Jukić und Alis Lovrić die letzten beiden die Stadt - ihre Energie und Fröhlichkeit werden sicher vielen fehlen. Im Mutterhaus sieht man jedoch keine Möglichkeit, die Schwestern weiter in Essen zu halten: „Unsere Altersstruktur und mangelnde Berufungen sind Gründe dafür, dass unsere Provinz nicht mehr in der Lage ist, weitere Schwestern ins Ausland zu schicken“, schreiben die Oberin und die Sekretärin der Provinz St. Josef von Split, Schwester Terezija Pervan und Schwester Maneta Mijoc. Auch für den mittlerweile 75-jährigen Stjepan Penić, der sein Leben ganz dem Aufbau der Gemeinde widmete, schließt sich ein Lebenskreis. Er wird den verdienten Ruhestand in der Heimat verbringen können.
Für die rund 3500 Mitglieder zählende kroatische Gemeinde in Essen geht es indes weiter: Bereits am 4. Oktober wird Ivan Cestar als neuer Seelsorger in sein Amt eingeführt. Er bringt internationale Erfahrung mit und freut sich schon jetzt auf die neue Aufgabe im Ruhrgebiet.
Im Bild oben: Die Verabschiedung der kroatischen Seelsorger am 13.September 2020 bei der Firmfeier in St. Mariä Rosenkranz. Bischof Franz-Josef Overbeck, Domkapitular Michael Dörnemann, Schwester Alis Lovrić, Pastor Stjepan Penić, Bischof Franz Josef Overbeck, Schwester Fanita Jukić, Foto: (c) Achim Pohl, Bistum Essen
Foto unten: Pastor Stjepan Penić
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