200 Jahre Kneipp: Borbeck Zentrum für NRW

0 16.05.2021

BORBECK. Am 17. Mai vor 200 Jahren wurde Pfarrer Sebastian Kneipp geboren. Eine 155 ct-Briefmarke ehrt sein weit anerkanntes ganzheitliches Konzept für ein gesundes Leben, eine silberne Geldmünze zu 20 Euro soll im Juni folgen. Einer der ältesten Kneipp-Vereine wurde vor 125 Jahren in Essen gegründet und in Essen-Borbeck liegt die Geschäftsführung für Nordrhein-Westfalen.

Viehknecht, Priester, Wasserdoktor

Wer war dieser am 17. Mai 1821 in Stephansried bei Ottobeuren geborene Sebastian Kneipp? Schon als 11-Jähriger musste der Sohn einer sehr armen Weberfamilie hart mitarbeiten, später auch als Knecht in der Landwirtschaft. Früh wollte er Priester werden, doch war dazu das Abitur mit anschließendem Universitätsstudium der Theologie erforderlich. In mehreren Pfarrhäusern bat er um Hilfe, der katholische Kaplan unterrichtete ihn in Latein, der evangelische Dorfpfarrer in Biologie. 1844 konnte er trotz seines fortgeschrittenen Alters noch im Gymnasium Dillingen aufgenommen werden und schon nach vier Jahren schaffte er das Abitur, obwohl er zwischenzeitlich an Tuberkulose erkrankte. Da er in einem alten Buch von der Heilkraft des Wassers gelesen hatte, tauchte er kurz ins kalte Wasser der nahe gelegenen Donau, bewegte sich dann schnellstmöglich zurück und legte sich, so wie er war, ins warme Bett. Nachdem er das öfter wiederholte, wurde er wieder gesund.

Diese Erfahrung mit kaltem Wasser und der anschließenden Bewegung galt als Ursprung seines erfolgreichen Gesundheitskonzeptes. Auch in der Studienzeit begegneten ihm erkrankte Mitstudenten, denen er helfen konnte. Sie gaben ihm den griechischen Beinamen „Hydrophilos“ („Wasserfreund“) - daraus sollte später „Wasserdoktor“ werden. 1852 wurde er in Augsburg zum Priester geweiht und setzte seine Beobachtungen zur Heilkraft von Wasser und Bewegung fort. Als während seiner Kaplanszeit die Cholera ausbrach, wurde eine Frau von ihm geheilt und die Gemeindemitglieder gaben ihm den Spitznamen „Cholera-Kaplan“. Andere meinten es weniger gut: Wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde und Kurpfuscherei folgte eine Anzeige vor Gericht. Er ließ sich nicht beeindrucken und half weiter ohne Arzneimittel vor allem denen, die sich finanziell weder Arzt noch Arzneimittel leisten konnten. Selbst erklärte er, als Priester fühle er sich besonders den Armen verpflichtet und wolle sich nicht einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. Dennoch versetzte ihn sein Bischof 1855 ins abgelegene Wörishofen, wo er Beichtvater bei den dortigen Dominikanerinnen wurde.

Die Kneipp-Bewegung kann in Essen auf eine über 125jährige Geschichte zurückblicken. Viele interessante Episoden versammelt ein von Gregor Heinrichs (Essen) verfasster 14-seitiger Sonderdruck aus dem 133. Band des Historischen Vereins „Essener Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen“ 2020.

Ganzheitlicher Ansatz für gesundes Leben

Seine über vierzig Jahre dauernde Zeit in der Pfarrei nutzte Kneipp nun, die seit Jugendzeiten verfolgten Studien zur Heilkunde zu einem ganzheitlichen Ansatz für gesundes Leben weiterzuentwickeln. Als er sogar eine an Maul- und Klauenseuche erkrankte Rinderherde wieder gesund machte, wurden seine Heilerfolge noch bekannter. Viele Menschen, auch aus dem Hochadel, kamen nach Wörishofen und suchten seine Hilfe: Neben der Heilkraft des Wassers empfahl er Heilpflanzenanwendungen, gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung sowie Ordnung, in der er die spirituelle Ausgeglichenheit der Seele sah. Seit 1881 war er Ortspfarrer, für Tausende Patienten entstanden Badehäuser sowie ein organisierter Kurbetrieb. Wörishofen zählte pro Jahr bereits über 33.000 Kurgäste, über 100.000 wollten den „Wunderdoktor“ dort besuchen. Ab 1891 ging Kneipp auf 31 Vortragsreisen im In- und Ausland.

Gründung des Essener Kneipp-Vereins

Als am 6. Februar 1894 der Essener Kneipp-Bund gegründet werden sollte, musste Kneipp allerdings absagen: Auf seinem Tisch lag die Einladung von Papst Leo XIII. in Rom, der ihn bereits im Herbst 1893 zum Päpstlichen Geheimkämmerer ernannt hatte. Mehrfach empfing ihn der an Schlaflosigkeit leidende Papst 1894 in Privataudienz – für Kneipp selbst wurde der Besuch in Rom zum wichtigsten Erlebnis seines Lebens. Erst am 4. Oktober 1894 konnte Sebastian Kneipp, damals bereits 73-jährig, endlich der Einladung des jungen Essener Kneipp-Vereins ins Ruhrgebiet folgen. Sein Zug fuhr über Frankfurt, Mainz, Köln, Elberfeld nach Dortmund, wo ihn bereits die Essener Delegation empfing. Nach seiner Ankunft hielt er zunächst im Hotel Bergischer Hof Sprechstunde für über 100 Patienten.

Zu seinem Vortrag Im Essener Stadtgarten hatten sich 1.200 Zuhörer versammelt - wohl auch, weil die Katholischen Gesellenvereine Adolph Kolpings in Essen viel Reklame gemacht hatten: Kneipp war Präses des Katholischen Gesellenvereins in Wörishofen. Nach seiner Rede wurde ihm beim Festessen im Essener Saalbau der Ehrentitel „Wohltäter (Helfer) der Menschheit" verliehen – ein Wort, das sein Leben und Wirken bis heute begleitet. Gleich nach dem Empfang eilte Kneipp zu einer zweiten Sprechstunde und fuhr mit dem Zug weiter nach Krefeld. Noch im gleichen Jahr gründeten sich weitere Kneipp-Vereine in Steele, Wattenscheid und Mülheim. Als Kneipp am 17. Juni 1897 starb, galt er als einer der bekanntesten Europäer seiner Zeit.

Essen-Borbeck: Zentrum für Kneipp in NRW

Dem 1897 gegründeten Kneipp-Bund, der als größte private Gesundheitsorganisation in Deutschland gilt, gehören heute etwa 500 Vereine mit 150.000 Mitgliedern an. Hinzu kommen ungefähr 700 zertifizierte Einrichtungen wie Hotels, Kindergärten und Gästehäuser. Mit über 70 Kneipp-Vereinen zählt NRW zu dem Bundesländern mit den meisten Kneipp-Vereinen in Deutschland.

Die Geschäftsstelle des Kneippbund-Landesverbandes NRW liegt an der Marktstraße 34 in Essen-Borbeck und ist Ansprechpartner für alle Kneipp-Vereine in Nordrhein-Westfalen. Auch die Senioreneinrichtung St. Maria Immaculata an der Kettelerstraße 33 ist nach Kneipp zertifiziert: Unter der Leitung von Frau Gierlata wird dort vorbildlich mit Unterstützung eines engagierten Teams das Gesundheitskonzept Sebastian Kneipps in die heutige Zeit übertragen. An der Ketteler Straße lädt ein Wassertretbecken mit Armbadbecken zum aktiven Tun ein.

G.Heinrichs / C.Beckmann

Mehr: Kneipp-Verein Essen, Link: https://www.kneippvereine-gladbeck-essen.de/essen-ev.html. Das Programmheft für das Jahr 2021 zum Download.

unten links: Sondermarke der Post zum 200. Geburtstag von Pfarrer Sebastian Kneipp, rechts: Einladungsanzeige zur Gründung des Essener Kneipp-Vereins 1894 in der Essener Volkszeitung. (Abb. G. Heinrichs)

Bild unten: Fünf Elemente des ganzheitlich-naturheilkundlichen Gesundheitskonzeptes werden von den Kneippianerinnen und Kneippianern beherzigt. Es sind die gesundheitsfördernde Anwendung von Wasser, die Bewegung, die Bedeutung von Heilkräutern, eine natürliche Ernährung und die seelische Balance als Lebensordnung und innere Mitte. Die von Gregor Heinrichs mit dem Kneippvorstand (Vorsitzender Günter Heider) entwickelte Kneipp-Blume in den Essener Stadtfarben verdeutlicht dies.

 

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