Zeche Vondern

Wer heutzutage gemütlich rechts oder links am Kanal entlang in Richtung Oberhausen wandert, ahnt nicht, dass er geschichtsträchtigen Boden unter den Füßen hat. Er läuft nämlich über eine Siedlung, genauer über die Vondern-Kolonie. Sie lag in dem Dreieck zwischen Ripshorster Straße, Sühlstraße, Einbleckstraße, Hanielstraße (heute Scheppmannstraße), Jakobistraße (heute Klaumerbruch) und Quellstraße auf einem Areal zwischen Verschiebebahnhof Frintrop und Emscher, das im Zuge der Eingemeindung1915 mit einem Teil von Frintrop nach Oberhausen kam.

In der Karte der Gemeinde Borbeck aus dem Jahre 1904 stößt man auf Osterfelder Seite der Emscher auf die „Zeche Osterfeld Schacht III“. Es handelt sich dabei um die Zeche Vondern, die ab 1898 abgeteuft wurde, 1903 einen Luftschacht erhielt, 1904 einen Doppel-Förderschacht in Betrieb nahm und ab 1932 nur noch als Wetterschacht und für die Seilfahrt diente. Um die wachsende Zahl der Bergarbeiter mit ihren Familien in Zechennähe unterzubringen, ließ die Gutehoffnungshütte bzw. die Direktion der Zeche Königsberg in Oberhausen im Jahre 1904 direkt gegenüber den Schachtanlagen auf Borbecker Gebiet im oben umrissenen Areal eine Wohn-Kolonie für ihre Arbeiter, die sogenannte Vondern-Kolonie anlegen, von der heute an der Karl-Peters-Straße/Sühlstraße noch Reste erhalten geblieben sind.

Über die Ausstattung der Häuser und Wohnungen in der Kolonie stand in einem Zeitungsbericht von damals zu lesen: „Die neue Kolonie der Gutehoffnungshütte zwischen der Jakobistraße und Hanielstraße und zwischen dem Bahnhof Frintrop und der Emscher schreitet rüstig voran. Man sieht schon jetzt, dass die ganze Anlage eine Musteranlage wird. Sie stellt sich wie eine bessere Musteranlage dar. Die Häuser sind nicht ein wie das andere, sondern alle verschieden gebaut. Auch der Verputz der Häuser bietet dem Auge eine wohltuende Abwechslung. Zu jeder Wohnung gehört ein ziemlich geräumiges Gärtchen, in welchem die Arbeiterfamilie ihren Bedarf für den Haushalt ziehen kann. Wer auch noch für den Winter vorsorgen will, wird nicht weiter Entfernung noch ein großes Ackerstück mieten können. Die Straßen sollen nach ihrer Wiederherstellung mit Bäumen bepflanzt und auch mit elektrischem Licht versorgt werden. Der Mietpreis beträgt für eine vierräumige Wohnung nebst Garten, Keller usw. 13 Mark monatlich, jedenfalls ein sehr niedriger Preis. Die Kolonie wird hauptsächlich von den Bergleuten des neuen Schachts Vondern bewohnt werden.“

Der Mietpreis scheint tatsächlich erschwinglich gewesen zu sein. Der durchschnittliche Schichtlohn eines Kohlenhauers auf einer Bottroper Zeche lag 1906 bei 5,28 Mark und der durchschnittliche Jahresverdienst bei 1664 Mark. Auch hatten nach einer Bestandsaufnahme aus dem Jahre 1900 über 80 Prozent der Zechenwohnungen einen Garten und 96 Prozent einen Stall. Fast 38 Prozent der Wohnungen hatten drei, fast 47 Prozent vier Zimmer. Nach einem Verzeichnis aus dem Jahre 1911 bestand die Kolonie Vondern bzw. Dellwig aus 47 Häusern mit 164 Wohnungen und 656 Räumen, dazu kamen angemietete 36 Häuser mit 113 Wohnungen und 407 Räumen.

Allerdings bot eine Vierzimmerwohnung höchstens 50 Quadratmeter Wohnfläche. Das größte Zimmer, die Wohnküche, war zugleich meist auch der einzige beheizte Raum. Nur in wenigen Kolonien gab es Wasserleitungen. Die Bewohner mussten das Wasser aus Zapfstellen an den Straßen entnehmen. Kanalisation war so gut wie nicht vorhanden. So kam es vor allem im Flussgebiet der Emscher häufig zu Typhus und anderen Krankheiten. Insofern war das Leben in den Zechenkolonien in hygienischer und infrastruktureller Hinsicht durchaus defizitär. Es war aber immer noch besser und preiswerter als das Leben in Wohnungen auf dem freien Markt.

Jedenfalls scheint die Nachfrage in Vondern sehr groß gewesen zu sein. In dem Verzeichnis aus dem Jahre 1911 finden sich Angaben zu der noch etwas größeren „Kolonie Vondernbruch“ westlich von Haus Vondern, die gebaut werden musste, weil in der Kolonie Vondern, die dann Kolonie Dellwig hieß, der Platz für die Unterbringung der Bergarbeiter nicht ausreichte.   

Auf dem Weg zur Arbeit in den Schachtanlagen mussten die Bergleute die Emscher überqueren. Für die Benutzung der Brücke, die dem Grafen Droste-Vischering vom „Haus Vondern“ gehörte, hatten sie ein tägliches Brückengeld zu entrichten. Nach langen Verhandlungen mit dem Eigentümer erwarb die Gutehoffnungshütte die Brücke, ließ sie abbrechen und in unmittelbarer Nähe der Schachtanlagen in der Verlängerung der Einbleckstraße wieder anbringen. Das sparte Zeit und Geld.

Zur Infrastruktur einer Wohnsiedlung gehören Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen. Auch darum war man in der Vondern-Kolonie bemüht. Es gab hier tatsächlich eine sogenannte „Kinderverwahranstalt“. Im Jahre 1906 ließ die Bürgermeisterei Borbeck in der Quellstraße zwei Doppelbaracken aufstellen und richtete darin vier Klassen für die katholischen Kinder ein. Kurz vor Kriegsbeginn beschloss der Gemeinderat den Neubau der katholischen Schule Dellwig III. Die Umsetzung des Beschlusses verhinderte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Währenddessen mussten die evangelischen Kinder tagtäglich bei Wind und Wetter den 2,6 km weiten Schulweg von der Siedlung zur evangelischen Schule Dellwig II an der Bahnhofstraße (heute Dellwiger Straße) auf sich nehmen. Nach einigem Hin und Her ließ man schließlich im Jahre 1908 auf einem Gelände an der Huyssenstraße (heute Karl-Peters-Straße) eine Baracke für den Sammelunterricht aufstellen.

Der marode Zustand der Baracke (regendurchlässiges Dach, Rauchentwicklung im Klassenraum) führte dazu, dass im Eingemeindungsvertrag ein Passus aufgenommen wurde, wonach die Stadt Oberhausen innerhalb von zwei Jahren an den Standorten der vorhandenen „katholischen“ und „evangelischen“ Schulbaracken jeweils ein massives Schulgebäude zu errichten hatte, eine Verpflichtung, der die Stadt Oberhausen wegen des Ersten Weltkriegs und der wirtschaftlichen Not in der Nachkriegszeit nicht nachkommen konnte. So kam es dazu, dass erst im Jahre 1924 ein Schulneubau an der Huyssenstraße für die katholischen und evangelischen Schülerinnen Schüler bewilligt und die Schule am 3. Mai 1926 als „Havensteinschule“ eingeweiht wurde. (FJG)

Quelle: Andreas Koerner, Vondern-Kolonie in Dellwig. In: Borbecker Beiträge 3/2000, S. 115-121. – Franz-Josef Brüggemeier: Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau 1889-1919. München 1983, bes. S. 48-51 und S. 167.

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