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Am 2. April 1856 wurde gemeldet, dass der Hilfsprediger Wilhelm Friedrich Georgi den Ruf als Pfarrverweser der in der Entstehung begriffenen evangelischen Gemeinde Borbeck angenommen habe. Der Bau einer Kirche werde aber noch einige Jahre dauern. Im August 1856 hatte der preußische Minister der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten die Errichtung der Evangelischen Kirchengemeinde Borbeck genehmigt. Die Amtszeit von Pfarrer Georgi dauerte bis April 1859. Die Zahl der Gemeindemitglieder war auf nahezu 3.000 Seelen gestiegen.
Nachfolger von Pfarrer Georgi wurde Wilhelm Haardt, bis 1896 Pfarrer der evangelischen Gemeinde Borbeck. 1864 wurde am Fliegenbusch die erste evangelische Kirche in Borbeck errichtet. Auf Pfarrer Haardt folgte Pfarrer Hans Conrad, der bis 1907 amtete. In seiner Amtszeit entstand 1899 ein Betsaal, in dem auch Gottesdienste angehalten wurden. 1903 errichtete die Evangelische Kirchengemeinde Borbeck einen dritten Pfarrbezirk. 1907 verließ Pfarrer Conrad die Pfarrstelle mit der Begründung, dass die Luft durch die 1906 direkt hinter dem Pfarrhaus gebaute Kokerei der Zeche Carolus Magnus so vergiftet sei, dass ein Wohnen im Pfarrhaus nicht mehr möglich sei.
Wohnhaus und Betsaal lagen in unmittelbarer Nähe der Zeche Carolus Magnus in der Blechstraße (heute: Bottroper Straße). Der Schacht 1 (Carolus Magnus) wurde 1870, der Schacht 2 (Catho) 1889 in Betrieb genommen. Im Einzugsbereich des Pfarrbezirks lag auch die Phönixhütte. Sie wurde um 1926 stillgelegt. Um die Zechen herum waren die Straßen Karlstraße (heute Carolus-Magnus-Straße), Poststraße (heute Zipfelweg) und die Bahnstraße (heute Hafenstraße) angelegt worden. Die Fließstraße und die Mahlstraße heißen heute noch so. Begrenzt wurde das Gebiet im Westendurch die Köln-Mindener Bahn mit dem Bahnhof Bergeborbeck und im Osten durch die Bahnlinie Osterfeld-Caternberg. Im Laufe der Jahre nahm die Bevölkerung in der Bürgermeisterei Borbeck durch den Steinkohlebergbau und die Industrieanlagen ständig zu. Damit war auch die Zahl der Mitglieder evangelischen Kirchengemeinde Borbeck sukzessive gewachsen.
Wilhelm Viebahn wurde am 30. Juni 1872 in (Wuppertal-) Ronsdorf als Sohn des Maurerpoliers Friedrich Wilhelm Viebahn und seiner Ehefrau Wilhelmine geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters brach er die Schullaufbahn nach der Mittleren Reife ab und arbeitete von 1888 bis 1899 als Bandwirker und kaufmännischer Angestellter in einem Bandexportgeschäft. Mit 27 Jahren setzte er die Schulausbildung fort und holte am Gymnasium in Barmen das Abitur nach. Er studierte in Halle (1901) und Greifswald (1903), legte 1904 und 1906 die beiden theologischen Examen ab und absolvierte das Vikariat in Lintorf (1905/06) und Duisburg (1906), leistete Hilfsdienst in Altenessen (1907) und übernahm 1907 die von seinem Vorgänger Conrad verlassene Pfarrstelle in Essen-Vogelheim. 1908 heiratete er die aus dem badischen Mosbach stammende Frieda Nerbel und bekam mit ihr vier Kinder – die Töchter Lieselotte (1908), Ingeborg (1912) und Viktoria (1915) und den Sohn Wilhelm (1916).
Pfarrer Viebahn war wie oben beschrieben Pfarrer auf dem zweiten Bildungsweg. Wie seine Vorgänger bezog er das Pfarrhaus in der Blechstraße 39 unweit der evangelischen Schule Vogelheim I in der Schulstraße (heute Sulterkamp), die um 1880 errichtet worden war. In der Bergarbeitergemeinde Vogelheim fühlte sich Pfarrer Viebahn, der auf Grund seiner Herkunft und Biografie das Gegenteil eines Schreibtischtheologen war, gut aufgehoben. Er nahm die Besonderheiten als Herausforderung an:
„In unserer Gemeinde ist keine bodenständige Bevölkerung vorhanden, sondern dieselbe ist von auswärts zugezogen und darum durch keine Tradition mit der Gemeinde oder untereinander verbunden, so dass ihr jedes Heimatgefühl und jedes Zusammengehörigkeitsgefühlt fehlt.“ [Festschrift, S. 37/38].

Das Bild ist beschriftet: Pfarrer Wilhelm Viebahn. Borbeck 1907-1928. © Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Album: Unserem ersten Superintendenten und jetzigem Generalsuperintendenten Karl Klingemann in herzlicher liebevoller Verehrung die dankbare Kreissynode Essen. ca. 1913. Bestand: 8SL 046, 4/03.
Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs versuchte Pfarrer Viebahn, den Pfarrbezirk Vogelheim von der Kirchengemeinde Borbeck zu lösen und in eine selbstständige Gemeinde zu verwandeln. Dies gelang im Laufe des Jahres 1928. Mit der Gründung der eigenen Gemeinde verschärften sich die Spannungen und Auseinandersetzungen mit der Muttergemeinde Borbeck. Dabei ging es vor allem um den sogenannten „Zipfel“, dessen Straßen pfarramtlich zu Borbeck gehörten, dessen Bewohner sich aber überwiegend zur neuen Gemeinde Vogelheim hingezogen fühlten.
Zu diesem ständig schwelenden Konflikt trat ab 1932/33 ein ideologischer und glaubenspolitischer Dissens. Noch vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war Pfarrer Viebahn im Dezember 1932 in die NSDAP eingetreten. Er sorgte u.a. durch Werbeveranstaltungen in Vogelheim dafür, dass sich die Mitglieder des Presbyteriums seiner Gemeinde nach den Kirchenwahlen im Herbst 1932 fast ausnahmslos zur Glaubensbewegung der Deutschen Christen bekannten.
Den vehementen persönlichen Einsatz von Pfarrer Viebahn in diesem Konflikt hielt selbst die NSDAP-Ortsgruppe Bergeborbeck für überzogen. Sie fand, dass er sich bis Ende 1934 über das taktisch kluge Maß hinaus am Kirchenstreit beteiligt habe. Als Anhänger der Bewegung der Deutschen Christen ging es Pfarrer Viebahn in erster Linie nicht um eine Reform der Kirche, sondern um deren Gleichschaltung mit dem NS-Staat, verbunden mit der Installierung des „Führerprinzips“ in den kirchlichen Institutionen und der Aufhebung der traditionellen presbyterial-synodalen Ordnung. [Gehring, S. 222]. Neben den Pfarrern Dungs (Essen-Kupferdreh), Fuchs (Essen-Kray) und Schürmann (Essen-Werden) war Pfarrer Viebahn einer der führenden Vertreter der Deutschen Christen in Essen.
1934 setzte er als Vorsitzender des Bergeborbecker Presbyteriums die Umbenennung der Gemeinde in Kirchengemeinde Essen-Bergeborbeck durch. In dem Streit darüber wurde mit allen Mitteln gekämpft. Bezeichnend für die Unversöhnlichkeit auf beiden Seiten ist folgendes Statement von Pfarrer Viebahn:
„Das Umgemeindungsgebiet [gemeint ist der umstrittene ‘Zipfel‘] ist durch Borbecker Agitatoren in terroristischer Weise durchgewühlt worden. Es war ein widerliches Treiben im Stile der Kommunisten, wie wir’s allerdings von Borbeck gewohnt sind.“ [Zitiert nach Festschrift, S. 54].
Härtester Widersacher in Borbeck war Pfarrer Hellmut Klingbeil, der im November 1933 öffentlich seine Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen aufkündigte, sich der Bekennenden Kirche anschloss und erreichte, dass alle Deutschen Christen in seiner Gemeinde seinem Beispiel folgten. Den Rücken stärkten den Borbecker Bekennenden Christen die sechs Barmer Thesen, die auf der ersten Bekenntnissynode am 31. Mai 1934 verabschiedet wurden. Am 27. November 1934 teilte das Borbecker Presbyterium Pfarrer Viebahn mit:
„Das Presbyterium hat einstimmig beschlossen, dass die Kanzeln unserer sämtlichen Predigtstätten sowie der Matthäusfriedhof keinem deutsch-christlichen Pfarrer in Zukunft mehr für Amtshandlungen zur Verfügung stehen. Ausnahmen von vorstehendem Beschluss werden unter keinen Umständen gemacht.“ [Zitiert bei Gehring, S. 229].
Hintergrund des Beschlusses war die schon erwähnte Umwandlung der Gemeinde Borbeck-Vogelheim in die Gemeinde Essen-Bergeborbeck. Gegen den Willen der Gemeinde war ihr zum 1. Januar 1934 nach Intervention durch den Bischofs des Gaues Köln-Aachen, der den Deutschen Christen angehörte, der Name „Essen-Bergeborbeck“ verliehen worden. Die Bezeichnung Bergeborbeck war zu dieser Zeit weder als Kirchengemeinde noch als Stadtteil offiziell gebräuchlich. Im Volksmund bezeichnete Bergeborbeck – ausgehend vom Bahnhof Bergeborbeck – das Gebiet westlich der Köln-Mindener-Bahn in Richtung Zinkhütte mit Straßen wie Haus-Berge-Straße und Bocholder Straße. Diesen Kernbereich von Bergeborbeck, in dem die „betuchte“ Bevölkerung lebte, beanspruchten die Borbecker weiter für sich.
Bei Haussammlungen durfte man in diesem Bereich auf bessere Ergebnisse hoffen als in dem Gebiet auf der anderen Seite der Köln-Minder Bahn in Richtung Bottroper Straße, Blechstraße und Hafenstraße. Hier lebte der eher „proletarische“ Teil der Bevölkerung. Für Pfarrer Viebahn waren diese Umstände Grund genug für die Überführung seiner Gemeinde in die Selbstständigkeit.
Am 1. April 1935 nahm Bergeborbeck auch den „Zipfel“ offiziell in Besitz. Das hielt die Pfarrer Klingbeil und Gräb nicht davon ab, ihre Hausbesuche und Haussammlungen zum Leidwesen von Pfarrer Viebahn wie gewohnt in ihrem alten Pfarrbezirk durchzuführen. Der erboste Pfarrer Viebahn drohte daraufhin mit einer Anzeige von Pfarrer Gräb bei der Gestapo. Das Konsistorium in Koblenz ließ er 1935 wissen:
„Wo wir auf die Spuren der Borbecker stoßen, sitzt in den Herzen ein glühender Hass gegen das Deutsche Reich.“ [Zitiert nach Gehring, S. 229].
Der Streit um den „Zipfel“ scheint um 1939 beendet worden zu sein. Der Beginn des Krieges wird dazu beigetragen haben.
Pfarrer Viebahn blieb der NS-Ideologie verpflichtet. Noch 1940 nahm er dem Küster und dem Organisten den Eid auf den Führer ab und ließ sie vor dem Altar Treue und Gehorsam gegenüber dem Führer schwören. [Gehring, S. 219]. Er war auch für den Wortlaut der Urkunde bei der Grundsteinlegung der neuen Kirche am 29. September 1940 verantwortlich. Die Urkunde begann mit den Worten „Im 8. Jahre nach der Machtübernahme durch unseren Führer und Reichskanzler Adolf Hitler…“. Von Gott ist keine Rede mehr.
Auch vor Anschuldigungen gegen seine Amtsgenossen und vor gezielten Denunziationen schreckte er nicht zurück. Einen indirekten Hinweis darauf gibt es im Bericht des Borbecker Ortsgruppenleiters der NSDAP an die Kreisleitung über Pfarrer Schreiner von der Kirchengemeinde Borbeck. Der Bericht ist wohl nicht zufällig in der Gestapo-Akte von Pfarrer Viebahn im Staatsarchiv Düsseldorf abgelegt worden ist.
Nach der Einweihung am 15. Dezember 1940 war der neuen Kirche an der Bottroper Straße nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie in der Nacht vom 25. zum 26. Juli 1943 durch Brandbomben zerstört. Zur inneren Zerrissenheit der Gemeinde durch den „Kirchenkampf“ kam nun die Zerstörung der Kirche und der Wohnhäuser in ihrem Umfeld.
Auch das alte Pfarrhaus wurde ein Opfer der Bomben. Pfarrer Viebahn fand Unterkunft bei seiner Tochter in Oberhausen-Sterkrade. Am 1. Juni 1945 wurde er mit 73 Jahren in den Ruhestand versetzt. Er starb am 8. Januar 1952 in Oberhausen-Sterkrade. Die Trauerfeier am 12. Januar fand im Krupp-Saal am Leimgardtsfeld statt. Von den anwesenden Borbecker Pfarrern hat kein einziger das Wort ergriffen.
In den ersten Nachkriegsjahren führte Pfarrer Friedrich Schwalbe die Gemeinde (1945-1949). Unter seinem Nachfolger Pfarrer Dr. Fritz Beckmann wurde die Kirche neu aufgebaut und am 22. Juli 1951 eingeweiht. Wegen der umfangreichen Sanierung des Einzugsgebiets der Gemeinde geriet die Kirche in eine Randlage. Seit 1977 wurden in dem nun „Glaubenskirche“ genannten Gebäude keine Gottesdienste mehr abgehalten. Die Kirche wurde an die Priesterbruderschaft St. Pius X. verkauft. 1981 wurde die Kirchengemeinde in Essen-Bergeborbeck-Vogelheim umbenannt und kehrte unter diesem Namen zur Muttergemeinde Essen-Borbeck zurück.
FJG
Quellen: