Schlüter, Willi

Willi Schlüter kam am 8. August 1899 als Sohn des Bergmanns Carl Schlüter (*5. November 1869, + 25. Juli 1942) und dessen Ehefrau Gertrud Schlüter, geb. Hagedorn (*5. Juli 1877, + 16. Juli 1959), beide aus Bedingrade, im Kraienbruch 18 am Fuße des Reuenbergs zur Welt und ist dort auch aufgewachsen. Sein Elternhaus lag am Ende der damaligen Grünstraße (heute Kraienbruch) direkt hinter der Rheinischen Bahn auf Gerscheder Gebiet. Carl Schlüter und Gertrud Hagedorn heirateten am 9. August 1897 in Borbeck. Gertrud war die Tochter von Heinrich Hagedorn (1846-1898) und Anna Engels (1858-1928) und eine Cousine von Mundartdichter Hermann Hagedorn.

Willi war das zweitälteste Kind von insgesamt zehn Kindern. Er hatte fünf Brüder und vier Schwestern. Die jüngste Schwester Margarete „Grete“ war 18 Jahre jünger als Willi. Sein Großvater Friedrich Schlüter (1837-1917) war Bergtagelöhner und stammte aus Rüthen im Kreis Soest, die Großmutter Bernhardine Schlüter, geb. Scholten (1832-1919), kam aus Mehrholz bei Hamminkeln im Kreis Wesel. Viele Jahre verbrachte Jahre Willi Schlüter in dem kleinen (Groß-)Elternhaus am oberen Kraienbruch (damals Grünstraße) hinter der Rheinischen Bahn, versteckt hinter zwei großen Kastanien und einer alten Linde. Den Adressbüchern der Jahre 1905, 1909 und 1912 zufolge wohnte in der Grünstraße 18 der Invalide Friedrich Schlüter (1832-1917), Willi Schlüters Großvater. Willi Schlüter wird in den Adressbüchern der Jahre 1925, 1927 und 1932/33 nicht geführt. Er taucht aber im Adressbuch von 1939 als Pressestenograph mit Wohnung in der Eduard Lucas-Str. 56 in Rüttenscheid (Nähe Gruga) auf.

Schule und Beruf

Willi Schlüter besuchte acht Jahre lang die nahe gelegene Schule Dellwig I, heute Reuenbergschule. Nach der Volksschule absolvierte er Kurse für Stenographie und Schreibmaschine. Der damalige Borbecker Gemeindesekretär Heinrich Kruft, ein Sohn des Bürgermeisters Carl Kruft, bescheinigte dem Vierzehnjährigen am 20. Oktober 1913: „Herr Willi Schlüter aus Dellwig hat bei mir Unterricht in Stenographie und Maschinenschreiben erhalten. Er war stets sehr fleißig und strebsam sowie willig und bescheiden. Ich kann ihn nur bestens empfehlen.“ (Zitiert nach Koerner, BN 1999). Willi Schlüter machte dann eine Lehre beim Christlichen Gewerkschaftsverein. Während der Junggesellenzeit war Willi Schlüter in Dellwig und Umgebung als „Auftragsdichter“ auf manchen Feiern und festlichen Anlässen ein gern gesehener Gast. Beispielsweise spielte er am 6. Dezember 1930 beim Dellwiger Amicitia-Orchester den Nikolaus.

Familie

1931 lernte Willi Schlüter Paulina (Paula) Hey kennen, geboren am 28. Juni 1905 in Heuthen, Kreis Heiligenstadt (Eichsfeld, Thüringen). Nach der standesamtlichen Trauung am 30. Mai 1934 im Standesamt Essen-West fand am 29. Juni 1934 in der Essener Münsterkirche die kirchliche Trauung statt. Am 27. Februar 1936 wurde der Sohn Lothar geboren, ihm folgte am 31. Januar 1938 der Sohn Armin, später Fahrlehrer in Borbeck, gestorben am 15. November 2003. Paula Schlüters Eltern sind Hermann August Hey (1869-1926) und Anna Elisabeth Hey, geb. Löffelholz (1871-1953). Sie haben 1895 geheiratet. Beide sind in Essen gestorben. Sie müssen vor 1926 (Todesjahr von Hermann August Hey) nach Essen gezogen sein.

Weitere berufliche Tätigkeit

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Willi Schlüter am 26. August 1939 als Pressestenograph in einer Propaganda-Kompanie, die direkt dem Armeestab unterstellt war, zum Militärdienst eingezogen. Gegen Ende des Krieges geriet er in Gefangenschaft. Nach der Entlassung fand er in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 eine Anstellung bei einem Nachrichtenbüro in Dortmund, zwei Jahre später wechselte er zu einem Essener Nachrichtenbüro. Danach wurde Willi Schlüter als Pressestenograph bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) angestellt, für die er mehr als 16 Jahre bis zu seiner Pensionierung am 1. Januar 1964 in der Redaktions-Aufnahme tätig war.

Mundartdichter

Mit den Borbecker Nachrichten war Willi Schlüter viele Jahre eng verbunden. Schon früh hatte er sich, wohl angeregt durch Hermann Hagedorn und Jakob Löffelholz (vgl. den Exkurs), der plattdeutschen Sprache zugewandt und in den Borbecker Nachrichten und dem „Blättken för den Plattdütschen Verband Ruhrgebiet De Pohlbörger“ gute Publikationsorgane gefunden.

Hermann Hagedorn widmete er zu dessen Geburtstag am 10. August das Gedicht „Nu stillekes“ (s. Anhang 1), das am 18. August 1951 in den Borbecker Nachrichten veröffentlicht wurde. Es ist ein Eloge auf Plattdeutsch, einem Mann gewidmet, der sich in herausragender Weise um die Muttersprache verdient gemacht habe, ein für ihn unerreichbares Vorbild, vor dessen Sprachkunst er lieber schweigen wolle und solle. Für den Gedichtband „Hatte on Heeme“ von Hermann Hagedorn (Ausgabe 1954) schrieb er ein Vorwort und steuerte Worterklärungen bei. Im gleichen Jahr veröffentlichten die Borbecker Nachrichten zwölf plattdeutsche Monatsgedichte von Willi Schlüter. Im Juli 1960 hielt er im Gymnasium Borbeck einen Vortrag über das alte Borbecker Platt.

Von 1960 bis 1968 verfasste er für die Borbecker Nachrichten in 180 Folgen die Serie „Borbecksch Platt von A-Z“. 1973 erschienen dort unter dem Titel „Borbecker Halblang“ auch seine Jugenderinnerungen (BN Nr. 1-18). Willi Schlüter war Mitglied des Plattdeutschen Vereins „Holl Pohl“, den Reuenberger Pohlbürger 1940 gegründet hatten. Die Zeitschrift des Plattdeutschen Verbands Ruhrgebiet veröffentlichte von 1958 an immer wieder plattdeutsche Gedichte von Willi Schlüter, u.a. das Gedicht „Klüngelskäels“ (s. Anhang 2). Nach dem Tod von Hermann Hagedorn war es Willi Schlüter, der sich um die Pflege von heimatlichem Brauchtum und Mundart kümmerte. Mit anderen Essener Mundartdichtern wie Erich Bockemühl und Felix Wilhelm Beielstein stand er viele Jahre in Kontakt.

Exkurs zu Jakob Löffelholz

Durch seine Frau Paul(in)a, mit der er 1981 im Westerwald Goldene Hochzeit feiern konnte, hatte er den Mundartdichter Jakob Löffelholz (1874-1959) kennengelernt. Jakob Löffelholz, ein Onkel von Paula Schlüter, war 1874 in einer Kleinbauernfamilie im Dorf Heuthen im Eichsfeld (Thüringen) zur Welt gekommen, hatte nach einer Maurerlehre in Weimar studiert und war nach mehreren Wirkungsstätten als städtischer Bauinspektor in Essen tätig gewesen. In Essen ist er 1959 gestorben und auf dem Südwestfriedhof beigesetzt worden. Dort erinnert eine nachträglich angebrachte Grabplatte aus Bronze an ihn: „Hier ruht der Eichsfeldische Heimatdichter Jakob Loeffelholz genannt Jakob us’m Schtennerhuse und seine allseits beliebte Frau Margareta Loeffelholz 1982“. Das Pseudonym bezieht sich auf sein Geburtshaus, das neben der Kirche als einziges Gebäude des Ortes aus Stein gebaut war. In seiner Freizeit schrieb Löffelholz für seine Landsleute Schnurren in Eichsfelder Mundart, die er in den 1930er-Jahren in der Mundartsammlung „Lachbollchen“ veröffentlichte. Gegen Ende der 1940er-Jahre erschien eine Sammlung seiner beliebten „Lieder für Heimat und Landsmannschaften, Familien- und Vereinsfestlichkeiten sowie die frohe Jugend“. 2019 ist in Heuthen ein Buch über Leben und Werk von Jakob Löffelholz erschienen, herausgegeben von Alfons Grunenberg.

Die letzten Jahre

Nach seiner Pensionierung am 1. Januar 1965 wohnte Willi Schlüter mit Ehefrau Paula zunächst in Hamminkeln bei Wesel, dann in Burgaltendorf und ab 1984 in Dreisbach im Westerwald. Dort ist er am 18. September 1988 im Alter von 89 Jahren gestorben. Nach dem Trauergottesdienst am 26. September 1988 in der Pfarrkirche St. Josef in Schönberg fand auf dem Friedhof von Dreisbach die Beerdigung statt. Walter Wimmer widmete dem Verstorbenen einen Nachruf in den Borbecker Nachrichten. Paula Schlüter starb 1999 ebenfalls in Dreisbach. Willi Schlüters umfangreicher Nachlass befindet sich im Archiv des Kultur-Historischen Vereins Borbeck. Er wurde dem Archiv 1997 vom Sohn Armin Schlüter übergeben. Willi Schlüter hat sich, so kann man zusammenfassend sagen, um die heimische Mundart sehr verdient gemacht.

(FJG)

Quellen:

  • Koerner, Andreas: Willi-Schlüter-Nachlass im Archiv. In: Borbecker Beiträge 2/1997, S. 83-86
  • Mit Poesie Freude gemacht. Willi und Paula Schlüter feiern (goldene) Hochzeit im Westerwald, in: Borbecker Nachrichten vom 29.07.1981.
  • Wimmer, Walter: Zum 85. Geburtstag von Willi Schlüter, in: Borbecker Nachrichten vom 29.07.1984.
  • Willi Schlüter gestorben. In vielen Gedichten Dellwig und Borbeck besungen. Ein Nachruf von Walter Wimmer, in: Borbecker Nachrichten vom 23.09.1988.
  • Koerner, Andreas: Der Heimatdichter des Dellwiger Platts. Zum 100. Geburtstag von Willi Schlüter, in: Borbecker Nachrichten vom 05.08.1999.
  • Gedichte im Archiv des Kultur-Historischen Vereins. In: Borbecker Beiträge 2/2009.
  • Gedichte in der der Zeitschrift „Dä Pohlbörger“: November, Chrisdagslegende (1984), Wenn’t Fröjohr wedd, Brohmüse, Dä Kutsche (1985), Monatsgedichte auf dem Titelblatt (1986), Kriss die Motten, Wat dä Äre riek, Krütkenröeminichaan, De Isenhandlung (1987), Et regent, Op e Line (1988).

Nachlass im Archiv des Kultur-Historischen Vereins

  • Ordner mit Gedichten (handschriftlich und maschinengetippt)
  • Ordner der Serie „Borbecksch Platt von A bis Z“
  • Vortrag zur Nikolausfeier des Orchesters „Amicitia“ aus Dellwig (hochdeutsch)
  • „50 Jahre Gesangverein Viktoria in Dellwig“ (hochdeutsch)
  • „Der Goldhochzeiter“. Ein autobiografischer Text (hochdeutsch, 14 S.)
  • „Fräulein Rosa und die Einquartierung“ (hochdeutsch)
  • Sammlung „Pumpenquätschkes“ (verschickt an Walter Wimmer, 43 S.)
  • „Selig sind die Friedfertigen, ein modernes Märchen“ (handschriftlich)
  • „Frühmorgens, wenn die Hähne krähn“ (handschriftlich in Kurzschrift)
  • Über Brauchtum in der ehemaligen Gemeinde Borbeck“. Artikel in den Borbecker Nachrichten (nach Alfred Peter, BB 13 Jg. 2/1997, S. 86)
  • „Ick magg Borthbecki, oit on junk“, in: Borbecker Nachrichten vom 25.10.1969
  • „Borbecker Halblang“. Jugenderinnerungen, in: Borbecker Nachrichten Nr. 1-18 (bis 27.04.1973)
  • Hermann Hagedorn zum 90. Geburtstag, in: Borbecker Nachrichten vom 16.08.1973
  • Eine Person von überragender Bedeutung. Bischof Altfried, Gründer des Stiftes Essen, in: Borbecker Nachrichten vom 01.11.1974
  • Reumbergsch Platt hochgehalten. Über Heinrich Hüsgen (1902-1976), in: Borbecker Nachrichten vom 21.10.1977
  • Noberslüh on Noberskenner. Dat Lewen van Heini Weyhofen (1898-1928), in: Borbecker Nachrichten vom 21.11. 1980 bis 23.01.1981
  • Dat Zuckerhüsken in Gerschede. Die Geschichte vom Scharfenkampskotten, in: Borbecker Nachrichten vom 24.04.1981
  • Über die Höfe hinunter ins Tal. Heimatkundliche Wanderung durch das alte Dellwig, in: Borbecker Nachrichten vom 07.06.1981 (S. 3-13)

 

Anhang 1
Willi Schlüter: An Hermann Hagedorn

De Moodersproke, de olle, de rieke,
Trocks du en Kleed van Side an;
Dat löcht nu assne greune Wiesche
Im Fröhjohr mäe löchten kann!

Met Rüschen un Spitzen häss et besatt,
Ne junge Brut könn niedisch wären;
De Schleppe ruuscht, ass güng bie Nach
En Regenschüeken öwer de Ären!

Un all de Bläumken römm un tönn,
Wat lös’se de vätellen;
Ick glöw, ich schwieg am bessen still,
Süss‘ kömick mi öwernemmen!

[Koerner, S. 86]

Der Muttersprache, der alten, der reichen,
Zogst du ein Kleid von Seide an.
Das leuchtet nun wie eine grüne Wiese
Im Frühjahr nur leuchten kann!

Mit Rüschen und Spitzen ist es besetzt,
Eine junge Braut könnte neidisch werden;
Die Schleppe rauscht, als ginge bei Nacht
Ein Regenschauer über die Ähren

Und all die Blümchen rings umher;
Was lässt du sie dir erzählen;
Ich glaub, ich schweig am besten still,
Sonst könnt ich mich übernehmen!

 

Anhang 2
Willi Schlüter: Klüngelskäels

Klüngelskäels – o Donnerschue –
Hätte vandaage Konjunktue!
Kapotte Öwes un Isenschienen
Leggt noch ömmer en Ruinen. –
Kä’eken, Päedken, Fleutepeipe,
Färrig es dä Klüngelskiepe.
Blooß dät Perd es te beduuren,
Schwoe sen so’ne Isenfuhren.
Fröher wo’t ne K l ü n g e l s k a a,
Ollet Isen dät wo raa.
Klüngelskäels dä hadden Tied;
Spi’el’n sö ‘n lustig Lied,
Koom’n de Blagen aangebossen;
Brochen Water fö dän Zossen,
Gaww ‘ne Handvull Klüngels aww –
Un wochen wat’et dofö gaww.
Kleine Kinner kregen Mü’lkes uunt Papie,
Gröddere Ü’ekes, awwer blooß tau Zi’e,
Fleuten, Knickers, bunte Steene,
Hampelkäels met kromme Beene!
Nä, sö freigen nech no Geld,
Düssen Kroom wo öhre Welt.
Widder foe dä Klüngelskaa,
Tü-lü-lüttken, tü-lü-la!
Vandaage flött dä Käels wi dull! –
Und dä Kaa es ömmer vull!

Klüngelskerls – o Donnerschlag –
Haben heutzutage Konjunktur!
Kaputte Öfen und Eisenschienen
Liegen noch immer in Ruinen. –
Kärrchen, Pferdchen, Flöte,
Fertig ist die Klüngelskiepe.
Bloß das Pferd ist zu bedauern,
Schwer sind solche Eisenfuhren.
Früher war es eine Klüngelskarre,
Altes Eisen das war rar.
Klüngelskerls die hatten Zeit;
Spielten sie ein lustiges Lied,
Kamen die Blagen angeschossen;
Brachten Wasser für den Zossen,
Gaben eine Handvoll Lumpen ab –
Und warteten ab, was es dafür gab.
Kleine Kinder kriegten Bonbons und Papier,
Größere Ührchen, aber nur zur Zier,
Flöten, Knicker, bunte Steine,
Hampelmänner mit krummen Beinen!
Nein, sie fragten nicht nach Geld,
Dieser Kram war ihre Welt.
Weiter fuhr der Klüngelskarren,
Tü-lü-lüttken, tü-lü-la!
Heutzutage flöten die Kerle wie toll! –
Und der Karren ist immer voll!

(Übersetzt von FJG)
[Borbecker Nachrichten 20.07.1951]

 

 

 

 

 

 

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