Rahn, Helmut

Boss, Legende, Junge aus dem Revier

Als Helmut Rahn am 14. August 2003, zwei Tage vor seinem 74. Geburtstag starb, trauerte nicht nur das Revier um einen seiner besten Fußballer. Deutschland habe eine „wirkliche Legende verloren. Er war ein Mensch mit Ecken und Kanten – ein Boss auf dem Platz, ein bescheidener Mensch außerhalb des Spielfeldes“, schrieb der damalige Bundespräsident Johannes Rau an die Witwe und Söhne des Weltmeisters von 1954. Sein „Tor des Jahrhunderts“, dazu wurde zum Jahrtausendwechsel das 3:2 im WM-Finale von Bern gewählt, habe Deutschland verändert, kommentierte die Presse.

Helmut Rahn wurde am 16. August 1929 in Essen geboren. Als junger Fußballer begann er seine Laufbahn beim Arbeiterverein Altenessen 12. Nach dem Krieg verschlug es ihn zunächst ins ländliche Oelde, wo er für sein fußballerisches Können mit Naturalien belohnt wurde. Neue Anzüge, Kartoffeln, Eier, Milchprodukte, Speck waren in der Zeit vor der Währungsreform wertvolle Güter und Zahlungsmittel, die die wertlose Reichsmark ersetzten. Nach Einführung des Vertragsfußballs wechselte er 1950 zu den Sportfreunden Katernberg. In seinem ersten Oberligajahr erzielte das Stürmertalent 15 Tore. Zahlreiche Vereine warben um ihn, so auch Schalke 04, doch Georg Melches hatte die besseren Argumente. Er bot Rahn eine Tätigkeit in der Fahrbereitschaft der Didier-Kogak-Werke an und stellte ihm einen Opel Kapitän zur Verfügung, den er auch privat nutzen konnte. „Drei Räder“, so erzählte Rahn damals, „fahren für mich, eins für die Firma.“

Spielerkarriere

Bei Rot-Weiss Essen bildete der Rechtsaußen mit Gottschalk und Termath in der Oberliga-Saison 1951/52 ein Sturmtrio, dass 59 von 78 Toren schoss, zwei Jahre später erzielte die Sturmreihe verstärkt durch Islacker und Vordenbäumen sogar 66 von 75 Treffer. Mit Rot-Weiss Essen wurde Rahn 1952 Westdeutscher Meister, 1953 Deutscher Pokalsieger, 1954 Westdeutscher Vizemeister, 1955 Westdeutscher Meister und Deutscher Meister.

Drei Monate nach seinem Debüt im rot-weißen Trikot erhielt er seine erste Nominierung für die Nationalmannschaft und spielte am 21. November 1951 in Istanbul 2:0 gegen die Türkei. In seinem zweiten Länderspiel erzielte Rahn beim 4:1 über Luxemburg am Essener Uhlenkrug sein erstes Tor im Nationaltrikot. Höhepunkt seiner Nationalmannschaftskarriere wurde die Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Wer kennt nicht die berühmten Worte von Herbert Zimmermann zum 3:2 Siegtreffer am 4. Juli 1954 im Finale gegen den hohen Favoriten Ungarn: „Schäfer, nach innen geflankt – Kopfball – abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooor!!! Tooor!!! Tooor!! Tooor!“

Helmut Rahn absolvierte insgesamt 40 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft und erzielte dabei 21 Tore. Für Rot-Weiss Essen schoss Rahn zwischen 1951 und 1959 in 216 Pflichtspielen 99 Tore. Dann wechselte er für ein Jahr zum 1. FC Köln und spielte anschließend beim holländischen Erst-Divisionär Twente Enschede. Als 1963 die Bundesliga in ihre erste Saison ging, wurde der Boss Vizemeister mit dem Meidericher SV. Hier kam der Ausnahmestürmer in 19 Pflichtspielen noch auf weitere sieben Tore, ehe er seine Laufbahn 1965 wegen einer schweren Verletzung beendete.

Privatmensch

Nach seiner Fußballkarriere verdiente Helmut Rahn sein Geld mit einer kleinen Firma, die mit Ankauf, Reparatur und Verkauf von Gebrauchtwagen handelte. Firmenstandort war Altenessen, dort wo einst seine Fußballkarriere begann. In seinen letzten Berufsjahren arbeitete er als Repräsentant und Verkaufsleiter einer Firma, die Bauschutt entsorgte und Baustoffe umformte.

Helmut Rahn zog sich seit den 1980er Jahren zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Die ständig gleichen Fragen, wie er denn das Tor zum 3:2 geschossen habe, wollte er nicht mehr beantworten. Seine Frau Gerti, die Familie, Spaziergänge, die Spiele seiner Enkel beim VFB Frohnhausen, der Schrebergarten und gelegentliche Besuche in seiner Stammkneipe „Friesenstube“ bildeten in Essen-Frohnhausen die kleine Welt, in der sich der mit dem Fußball um die ganze Welt Gereiste am wohlsten fühlte.

Ehrung

In die dortige Pfarrkirche St. Elisabeth kamen am 21. August 2003 zahlreiche Vertreter aus Sport und Politik um Abschied zu nehmen. Natürlich ging es auch um das WM-Endspiels vom 4. Juli 1954. Der damalige DFB-Präsident Gerhard Meyer-Vorfelder sagte:

„Dieses Ereignis hatte einer ganzen Nation ihr Selbstwertgefühl und ein Stück Selbstachtung wiedergegeben und sie zurückgeführt in die Völkergemeinschaft. (...) Deshalb wird diese WM 1954 auch oftmals als die eigentliche Geburtsstunde der BRD bezeichnet.“

NRW-Ministerpräsident Steinbrück ergänzte:

„Sein Tor veränderte die Republik, war Balsam für gestörte Seelen und gab ihr ein Stück Selbstvertrauen zurück. Für die Entwicklung der BRD wurde das Grundgesetz, die DM und die Weltmeisterschaft 1954 zu Symbolen, die Identität stifteten. (...) Das Wunder von Bern ergänzte auf dem sportlichen Sektor das Wirtschaftswunder, die Menschen konnten sich in der Einstellung der Mannschaft und ihrem kollektiven Willen zur Gemeinschaftsleistung wiederfinden. (...) Helmut Rahn folgte nicht dem Lockruf des großen Geldes.“

Bei allem Auf und Ab galt für ihn die einfache Formel: „Ich hatte Erfolg, ich habe die Welt kennen gelernt, ich hatte Spaß an meinem Sport, vermisse nichts, möchte nicht tauschen.“

Wenige Tage nach seinem Tod gab die Bild am Sonntag eine lebensgroße Bronzestatue in Auftrag. Am 11. Juli 2004 wurde das Werk der Hamburger Bildhauerin Inka Uzoma im Georg-Melches-Stadion enthüllt und hatte in den folgenden Jahren verschiedene Standorte. Seit Fertigstellung des neuen Stadions Essen steht sie vor der Tribüne „Alte West". Am 4. Juli 2014 wurde die Rahn-Statue feierlich ein zweites Mal enthüllt. Und wenn man genau hinschaut und sich an dem noch einen verbliebenen Flutlichtmast des Georg-Melches-Stadions orientiert, entdeckt man, dass der Boss genau im Mittelkreis seiner alten Wirkungsstätte steht. Kurz nach dem Anstoß in Richtung Westkurve. Seit Oktober 2018 heißt der Ort nun auch offiziell „Helmut-Rahn-Platz."

Georg Schrepper

Seit dem 5. Mai 2022 erinnert ein offizielles Straßenschild vor dem Stadion an der Hafenstraße an Helmut Rahn. Darüber freuen sich unser Autor und RWE-Vereinshistoriker Georg Schrepper und der Ehrenamtsbeauftragte Detlev Jaritz (Foto: RWE)

Artikel:

s.a. 12.08.2019: Georg Schrepper, 90. Geburtstag von Helmut Rahn. Boss, Legende, Junge aus dem Revier: https://www.borbeck.de/nachrichten-details/90-geburtstag-von-helmut-rahn.html

08.05.2022: „Dem Boss sein Platz“ hat einen Namen: https://www.borbeck.de/nachrichten-details/dem-boss-sein-platz-hat-einen-namen.html

23.04.2021: Die Geschichte vom doppelten Meisterwimpel. Rot-Weisse Exponate im Deutschen Fußballmuseum: https://www.borbeck.de/nachrichten-details/die-geschichte-vom-doppelten-meisterwimpel.html

 

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