Lutherhaus

100 Jahre Lutherhaus. Das ist ein guter Grund zu feiern und ein passender Anlass, an die Geschichte des Hauses und der Kirchengemeinde zu erinnern. Die Quellenlage ist vergleichsweise gut. So konnte auf das Archiv des Evangelischen Stadtkirchenverbandes zurückgegriffen werden, und auch die Chronik von Rainer Olesch zum 50-jährigen und zuletzt die Präsentation von Dirk Bogaczyk zum 100-jährigen Jubiläum des Lutherhauses haben gute Dienste geleistet.

Zeitreise durch die Geschichte des Lutherhauses und der evangelischen Kirchengemeinde Bedingrade-Schönebeck

Am 4. Juli 1917 - noch während des Ersten Weltkriegs - fiel auf der Tagung der Kreissynode Essen die Entscheidung über die Errichtung eines vierten Pfarrbezirks mit Hilfspredigerstelle. Das war die „Geburtsstunde“ der evangelischen Gemeinde Schönebeck-Bedingrade-Frintrop. Erster Pfarrer war ab Mai 1917 Ernst Albert Elbing. Zu dieser Zeit bestanden bereits drei Pfarrbezirke: Borbeck seit 1859, Dellwig-Gerschede-Frintrop seit 1893 und die Filialgemeinde Vogelheim (1899).

Warum der Entscheidung zur Installierung eines neuen Pfarrbezirks ausgerechnet im Kriegsjahr 1917 gefallen ist, was der Anstoß war und wer die Initiatoren gewesen sind, bedarf noch der Klärung, die aber im Rahmen dieses Aufsatzes nicht geleistet werden kann. Sicher spielten die weiten Wege eine Rolle, die beispielsweise die Konfirmanden und Gottesdienstbesucher seinerzeit bis zur Matthäuskirche zurücklegen mussten. Vielleicht wollten die Initiatoren ein Zeichen der Hoffnung setzen gegen die existenzielle Not und zunehmende Kirchenferne jener Tage. Die Festigung des Glaubens als Haltepunkt in einer unruhigen Zeit könnte ein Motiv für die Entscheidung gewesen sein.

Der erste Gottesdienst fand am 12. Oktober 1917 in der evangelischen Schule an der Ecke Aktienstraße/Lautstraße statt, die im Juli 1869 eröffnet worden war. Wie üblich wurde zur Finanzierung der Baumaßnahme ein Kirchbauverein gegründet. Zu den zahlreichen Anschubmaßnahmen gehörte eine Spendensammlung am 15. Juli 1917 in der Matthäuskirche zugunsten des neugegründeten Kirchbauvereins Borbeck-Schönebeck-Frintrop. Bei der Sammlung, die als Startkapital für den Bau des Lutherhauses diente, kamen 46,78 Mark zusammen.

Unter der Pfarrern Richard Herzog, der als Nachfolger von Pfarrer Elbing von 1919 bis 1921 amtierte, und Johannes Böttcher (1923 bis 1931) ging das Gemeindeleben weiter. Wegen der Inflation gestaltete sich die Finanzierung des Kirchbauprojekts trotz der Zuschüsse von Bergwerksunternehmen und der Schenkung von Grundstücken zwischen Band- und Rossstraße durch die Friedrich Krupp AG äußerst schwierig. Da war es verständlich, dass die Gemeinde, als sie erfuhr, dass für den Bau eines Jugendheims staatliche Fördermittel bereitgestellt würden, einen entsprechenden Förderantrag stellte. So kamen die erforderlichen 35.000 Goldmark zusammen. Am 7. Oktober 1923 konnte der Grundstein gelegt werden. Eine zweckgebundenen Kollekte an diesem Tag ergab die inflationäre Spendensumme von rund 4 Milliarden Mark. Pläne für den Bau einer Kirche lagen bereits vor. Als Standort war eine Grünfläche zur Straße „Im Wulve“ hin vorgesehen.

Im Laufe des Jahres 1924 kam der Bau ganz zum Erliegen. Mit den Mitgliedsbeiträgen des Vereins (25 Pfennig im Monat) und durch Spenden wurde das Lutherhaus in Bedingrade (Bandstraße 35) trotz der Inflation weitergebaut. Damals kostet ein Kilo Schwarzbrot 2.571.428.571,42 Mark und ein Ziegelstein 5 Millionen Mark für eine Trauung mit Orgelspiel waren 15.000 Mark zu bezahlen (Juli 1923). Der Mitgliedsbeitrag für den Kirchbauverein konnte wegen der fortlaufenden Geldentwertung mit 1 Liter Milch monatlich abgegolten werden.

Die Bilder vom Lutherhaus stammen aus der Sammlung von Pfarrer Ollesch. Mit freundlichem Dank an Dirk Bogaczyk, Baukirchmeister der ev. Kirchengemeinde Essen-Bedingrade-Schönebeck.

Am 20. September 1925 wurde das Haus seiner Bestimmung übergeben. Zur Realisierung eines „richtigen“ Kirchengebäudes ist es wegen der Zweckbindung der Fördermittel nicht gekommen. Die Schlüssel zum neuen Gebäude nahm der zweite Pfarrer des Schönebecker Bezirks Pfarrer Richard Herzog entgegen. Zum Auftakt der Feierlichkeiten blies der Posaunenchor bereits um 6 Uhr in der Früh zum Wecken. Danach fand in der Volksschule an der Aktienstraße/Lautstraße, die bis dahin als Gottesdienststätte gedient hatte, eine Abschiedsfeier statt.  In der Essener Allgemeinen Zeitung stand am Tag darauf zu lesen:

„Gegen neun Uhr setzte sich der stattliche Festzug unter den Klängen mehrerer Posaunenchöre in Bewegung. Nach einstündigem Umzug durch den Pfarrbezirk gelangte man an das mit Fahnen geschmückte Lutherhaus.“

Pfarrer Herzogs Nachfolger Johannes Böttcher blieb es im Beisein des Essener Superintendenten vorbehalten, die Glocken, die auf einem Tieflader vom Bahnhof Borbeck zum Bestimmungsort gebracht wurden, für das Lutherhaus entgegenzunehmen. Mit dabei war die Turnerriege des Männer- und Jünglingsvereins Schönebeck „Gott mit uns“. Wer zur Finanzierung der Glocken beitragen wollte, durfte gegen einen Obolus von 10 oder 20 Pfennig mit einem Hämmerchen an die Glocken schlagen und konnte sich fortan als „Glöckner von Bedingrade“ fühlen.

Lutherhaus nach dem Bau 1925, unten: Innenansicht

1931 übernahm Dr. Erich Groß als Nachfolger von Johannes Böttcher den Pfarrbezirk. Er behielt die Leitung bis nach dem Kriege. Wie das Lutherhaus und mit ihm die Gemeinde die Zeit des Nationalsozialismus, die Versuche der Gleichschaltung, den Kirchenkampf zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche und den Krieg erlebt und durchgestanden haben, bedarf einer eigenen Untersuchung.

Zeit nach 1945

1944 wurde das Lutherhaus bei Bombenangriffen am 3. April 1943 und 26. April 2944 bis auf die Außenmauern fast völlig zerstört. Man lebte in einem Provisorium. Die Wohnung des Küsters wurde für Gottesdienste genutzt. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren lag die Leitung der Gemeinden in den Händen der Pfarrer Ernst Gräb (1946/47) Oskar Pannen (1947/48) und Johannes Locher (ab 1950).

Im Mai 1951 wurde der „Lutherhaus-Bauverein“ gegründet. Er sammelte Spenden und führte Kollekten durch. Dank eines Darlehens des Kreissynodalverbandes konnte der Wiederaufbau mit Erweiterung des großen Kirchsaals (Calvin-Saal) zum Abschluss kommen. Im September 1951 fand die Einweihung statt. Das Haus erhielt eine kassettierte Flachdecke. Altarpodest und Ambo rückten vor in den Gemeindebereich.

Lutherhaus nach dem Wiederaufbau 1952

1966 schuf die Gemeinde durch entsprechenden Umbau Platz für einige Jugendräume, nachdem Pfarrer Locher aus der ersten Etage des Hauses in das Pfarrhaus hinter dem Lutherhaus umgezogen war. 1971 erfolgte die Umwandlung des 4. Pfarrbezirks Borbeck in die selbstständige Kirchengemeinde Bedingrade Schönebeck. Am 19. September 1982 konnte ein Anbau, der Möglichkeiten für verschiedene Gemeindeaktivitäten bot, bezogen werden. Der Saal behielt auch nach dem Anbau des Gemeindehause seine Funktion als Gottesdienststätte. 1985 wurde in die dreiseitig geschlossene Altarnische eine Orgel der Firma Bertold Prengel mit zwei Manualen eingebaut.

2005 wurde der Gottesdienstraum nach einem Entwurf von Prof. Friedhelm Strüwe aufwändig renoviert. 2011 erhielt er neue Kirchenfenster nach Entwürfen des aus Rottweil stammenden Glaskünstlers Tobias Kammerer, ausgeführt von der Firma Derix aus Taunusstein. Sie zeigen die Themen Auferstehung, Glaubenszeugnis, Gemeinschaft und Gnade. Im Jubiläumsjahr 500 Jahre Reformation kam 2016 ein kleines Fenster mit Martin Luther in Mönchskleidung hinzu. Zu den aktuellen Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten am Lutherhauses gehörte die Umstellung der Heizungsanlage, mit der im Oktober 2022 begonnen wurde. Dabei wurde die 35 Jahre alte Gasheizung durch eine Hybridheizung ersetzt.

Das Jubiläumsjahr 2025

Die Feier des 100-jährigen Jubiläums zieht sich das ganze Jahr 2025 hindurch. Am Beginn steht die „Historische Zeitreise“ von Baukirchmeister Dirk Bogaczyk von der Evangelischen Kirchengemeinde Bedingrade-Schönebeck mit Bildern und Plänen aus Geschichte und Gegenwart (8. Februar), darunter eine Aufnahme von der Anlieferung der Glocken im Jahre 1925. Im Februar wird der Spielfilm „Luther“ gezeigt. Außerdem gibt es eine Ausstellung mit Bildern und alten Plänen des Lutherhauses (21. Februar). Im März wird eine „Kirchenkneipe“ mit Kirchenquiz angeboten. Der April steht im Zeichen des Osterfestes und dem „Tanz in den Mai“ im Discoraum. Frühlingswanderung im Mai, Gemeindefest im Juni und Kinderfest im August sind weitere Stationen im Jubiläumsjahr, das im September bis November mit musikalischen Beiträgen aufwartet. (FJG)

Quellen

  • Artikel auf dem Stadtteilportal borbeck.de vom 2. Februar 2025.
  • Ollesch, Rainer: Lebenslauf einer Gemeinde. 50 Jahre evangelische Kirchengemeinde Bedingrade-Schönebeck |1975].
  • Archiv des Ev. Stadtkirchenverbandes Essen (Dank an Stefan Koppelmann, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Kirchenkreises Essen.
  • Bogaczyk, Dirk: Vortrag am 8. Februar 2025 im Lutherhaus anlässlich der 100-Jahrfeier der Gemeinde.
  • Dohmen, Heinrich/Sohns, Eckhard: Kirchen, Kapellen, Synagogen in Essen, Essen 1998 (S.78).
  • Orlt, Gudrun: Ein Ziegelstein für 5000 Mark. In: Evangelische Wochenzeitung DER WEG Nr. 37 v. 10. bis 16. September 2000.
  • Artikel zur Baugeschichte in: Evangelische Wochenzeitung DER WEG Nr. 38 v. 21.09.1975.
  • Koerner, Andreas: Zwischen Schloss und Schloten. Die Geschichte Borbecks, Bottrop 1999 (Kap. 2.14.3. Evangelische Gemeinde).
  • Gemeindebriefe der Gemeinde (Auflage 3.900 Exemplare).

 

Pfarrerinnen und Pfarrer

Ernst Albert Elbing (1917-1919)

Richard Herzog (1919-1923)

Johannes Böttcher (1923-1931)

Adolf Weßler (1925-1926)

Dr. Erich Groß (1931-1946)

Ernst Gräb (1946-1947)

Oskar Pannen (1947-1948)

Johannes Locher (1950-1973)

Hermann Sattler (1956-1965)

Rolf Stuhrhahn (1966-1964)

Rainer Ollesch (1971-1977)

Lothar Lachner (1976-2012)

Karl-Heinz Junge (1976-1986)

Karin Degenkolb (1979-1992)

Jürgen Schneider (1987)

Hans-Jörg Stets (1987-1997)

Beate Heßler (1989-1991)

Michael Banken (1992-2020)

Dagmar Kurellis (2012-2022)

Michael Brzylski (2022-2024)

Maren Wissemann (seit 2023)

Annegret Helmer (2024-2015)

(ohne Gewähr)

Einrichtungen und Angebote der Gemeinde

Posaunenchor, Singgruppe und Flötengruppe, jeweils geleitet von Ulrike Gnida; Seniorengruppe, Erwachsenenkreis, Strickgruppe, Jugendtreff, Elterncafé, Gruppe „Offene Tür“, Gruppe „Gott und die Welt“, Krabbelgruppe, Diakoniegruppe „Hand und Fuß“ , Kinder-Kirche mit Basteln, Singen, Vorlesen, Frühstücken, Kindergottesdienste mit Eltern, Gottesdienste für Laien und Pfarrer, ökumenische Jugendgottesdienste, Kinderbibelwochen, Kinderfest im Sommer, Studienfahrten für Erwachsene, Gesprächsabend, Kindergarten am Brausewindhang in Schönebeck (seit Ender 1970er- Jahre).

Es gibt derzeit 1,5 Pfarrstellen und sieben ehrenamtliche Presbyterinnen und Presbyter für ca. 4.200 Gemeindemitglieder. Mit Blick in die Zukunft muss man sich in den drei Borbecker Gemeinden mit der Frage der möglichen Zusammenlegung in den nächsten zehn Jahren auseinandersetzen.

 

 

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