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Für die Aufsätze über Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Borbeck haben Heinrich Gehring und Ernst Schmidt im Staatsarchiv Düsseldorf die Gestapo-Akten der Borbecker Pfarrer Hellmut Klingbeil, Ernst Gräb, Dr. Erich Groß und Wilhelm Viebahn einsehen können. Ihre Darstellung der damaligen Repressionen und Denunziationen waren eine große Hilfe. Die vorliegende Biografie von Pfarrer Hellmut Klingbeil ergänzt die Reihe der Porträts evangelischer Pfarrer aus Borbeck im „Lexikon“ des Stadtteilportals borbeck.de (s. Ernst Gräb, Dr. Erich Groß, Karl Schreiner).
Hellmut Klingbeil ist am 8. Dezember 1898 als Sohn des Rechnungsrats Friedrich Klingbeil und seiner Frau Luise, geb. Wockel, in Düsseldorf zur Welt gekommen. 1924 heiratete er die aus Stettin stammende Elisabeth Helene, geb. Thimm (1899-1943). Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor: Dorothea (1925), Hellmut (1926), Annerose (1927), Jutta (1930), Ruth (1932), Christa (1935), Gisela (1943). Mit seiner zweiten Frau Dorothea, geb. Hessig, bekam er drei weitere Kinder: Reinhild (1944), Brigitte (1945) und Roland (1951).
Nach dem Abitur in Düsseldorf-Hohenzollern leistete er von 1916 bis 1918 Kriegsdienst. Nach Kriegsende war er von 1919 bis 1923 Kompanieführer eines studentischen Freiwilligenbataillons im Kampf gegen die Spartakusgruppen in Swinemünde (Pommern). Im März 1920 nahm er dort an den Kämpfen gegen den Kapp-Putsch teil. Nach dem Krieg begann er im Frühjahr 1919 das Studium der Evangelischen Theologie an der Universität Greifswald. An den Universitäten Bonn und Berlin setzte er sein Theologiestudium fort. Nach dem Examen übernahm er in den Jahren 1922-1924 in einer lutherischen Pfarrgemeinde in Radevormwald seelsorgerische Hilfsdienste. Von 1924 bis 1930 war er dort Pfarrer. Klingbeils weitere beruflichen Stationen waren im Zehnjahresrhythmus Essen-Borbeck (1930-1937), Düsseldorf (1937-1947) und Hilden (19471957).
Hellmut Klingbeil war ein überzeugter Deutschnationaler, der schon vor 1933 dem Stahlhelm, der SA und der Bewegung der Deutschen Christen in Essen-Borbeck beigetreten war. In seinen Predigten und in öffentlichen Verlautbarungen zog er gegen die Kommunisten in seiner Gemeinde Borbeck zu Felde, um sie von ihrem „Unglauben“ zu befreien. Mit volksmissionarischem Impetus wollte er wie viele andere Zeitgenossen die nationale Erneuerung des deutschen Volkes verwirklichen. Adolf Hitler galt auch ihm als Retter. In seinen „Lebensbeschreibungen“ von 1946 bekannte er:
„Das Jahr 1933 brach an, dieses schicksalsschwere Jahr. Dass ich als preußisch erzogener Mann die Vorgänge um mich herum aufmerksam verfolgt habe, versteht sich. Seit langem war mir klar, dass die Entwicklung uns entweder in eine nationalsozialistische oder eine kommunistische Diktatur bringen würde. So hatte ich schon früh bei den Wahlen Hitler gewählt, habe auch die Paragraphen des Parteiprogamms mir angesehen, worin der § 24 besagte: ‘Die Partei steht auf dem Standpunkt des positiven Christentums.‘ Im Sommer in Stettin hatte ich auch Hitlers „Mein Kampf“ gelesen. Ich gab daher meine Stimme, aber der Partei beizutreten, kam für mich nicht in Frage. Meine Kraft gehörte der Arbeit im Weinberg des Herrn und nicht dem politischen Leben.“ [Zitiert bei Rauthe, S. 243].
Die Gleichschaltungsmaßnahmen der Hitler-Regierung in den ersten Monaten nach der Machtergreifung führten bei Pfarrer Klingbeil zu einem Umdenken. Er trat aus der SA aus, kehrte Ende 1933 den Deutschen Christen den Rücken, wurde Mitglied der Pfarrbruderschaft, begann eine rege Vortragstätigkeit für die Bekennende Kirche und setzte durch, dass sich die meisten Mitglieder seiner Gemeinde der Bekennenden Kirche zuwandten. In einer Predigt aus dem Jahr 1935 bekannte er enttäuscht und ernüchtert:
„Ich habe mitgekämpft für das Dritte Reich. Wenn wir heute dies Leid mitansehen müssen, wie unser Volk zerrissen wird, dann muss ich sagen, das haben wir wirklich nicht gewollt.“ [Zitiert bei Gehring, S. 214].

Die Arbeit in der Gemeinde Borbeck war mühselig. Sie war geprägt von Armut, Arbeitslosigkeit, politischer Radikalisierung und vom Kirchenkampf, der auf lokaler Ebene seine Protagonisten in den beiden Pfarrern Klingbeil und Wilhelm Viebahn von Essen-Vogelheim hatte. Die beiden Pfarrer trugen bis um Weggang von Pfarrer Klingbeil 1937 heftige gemeinde- und kirchenpolitische Kämpfe aus, ohne sich jemals zu einem klärenden Gespräch getroffen zu haben. Persönliche Angriffe und Diffamierungen waren an der Tagesordnung. Als Beispiel für die Animositäten dient ein Vorgang aus dem Jahre 1932. Anlässlich des 60. Geburtstags von Pfarrer Viebahn hatte seine Gemeinde einen Fackelzug veranstaltet, der wohl auch durch den umkämpften „Zipfel“ auf Borbecker Gemeindegebiet geführt hat.
Dagegen legte Pfarrer Klingbeil beim Konsistorium in Koblenz Beschwerde ein, für Pfarrer Viebahn ein willkommener Anlass, die Beschwerde öffentlich als lächerlich, kleinlich und kindisch abzutun. Zu diesen Querelen kamen unzureichende räumliche Bedingungen. Es gab Anfang der 1930er-Jahre weder Kirchen noch geeignete Versammlungsorte. Als Notbehelf dienten Schulräume und Säle in Gaststätten, zum Beispiel der Saal Kißlat in der Bocholder Straße 230. Die Erfahrungen mit dem NS-Regime und der Glaubensbewegung Deutsche Christen führten Ende 1933 zur Auflösung der Ortsgruppe Borbeck der Deutschen Christen bei einer Versammlung im Vereinshaus des Evangelischen Männer- und Jünglingsvereins (später CVJM) in der Wüstenhöferstraße 103. Pfarrer Klingbeil fand damals klare Worte:
„Das feierlich beschworene Bekenntnis der Kirche, wofür unsere Väter Gut und Blut dahingegeben haben, wird angetastet. Der öde Liberalismus längst erledigter Vorkriegstheologie steht wieder. Es ist vor aller Welt offenbar, dass ein ernsthafter Kampf gegen das Christentum der Bibel geführt wird.“ [Zitiert bei Gehring S. 224].
Auf dem Flugblatt, das nach der Gemeindeversammlung am 17. November 1933 sogar im ganzen Rheinland verteilt wurde, kommt die ganze Ambivalenz der von Klingbeil und anderen damals vertretenen Haltung zum Ausdruck. Darin beschuldigten die Vertreter der evangelischen Gemeinde Borbeck die Anhänger der Deutschen Christen, die Symbole des Dritten Reiches zu missbrauchen. Doch sollte die Kritik an den Deutschen Christen nicht als Abwendung von der neuen Regierung verstanden werden.
„Antichristlicher Gottlosengeist wagt sich hervor schmückt sich mit dem Hakenkreuz. Angesichts dieser Tatsachen fordert die größere Gemeindevertretung der evangelischen Gemeinde Borbeck, deren Mitglieder fast sämtlich schon seit Jahren treu zu Hitler stehen, alle christlich gesinnten Männer und Frauen innerhalb der Glaubensbewegung ‘Deutsche Christen‘ im gesamten deutschen Vaterlande auf, sofort aus dieser Bewegung des Verderbens auszutreten (…) Wir bitten unsere Kirchenleitung, bei der Reichsregierung und zugleich bei der Reichsleitung der N.S.D.A.P. dahin vorstellig zu werden, dass der Gebrauch der uns ehrwürdigen Symbole des dritten Reiches seitens der Glaubensbewegung D.C. wird und jeder auch noch so fein getarnte Terror der Deutschen Christen dadurch unmöglich gemacht wird, dass die die N.S.D.A.P. deutlich von der D.C.-Bewegung abrückt.“ [Zitiert bei Gehring, S. 226].
Starke Worte, entstanden unter den ständigen Reibereien und Auseinandersetzungen mit den von Pfarrer Viebahn aus dem Pfarrbezirk Vogelheim indoktrinierten Deutschen Christen in Borbeck. Sie zeigen einerseits, dass der nationalsozialistische Staat und Reichskanzler Hitler von Pfarrer Klingbeil und den Deutschen Christen zu diesem frühen Zeitpunkt nicht in Frage gestellt wurden. Auf der anderen Seite mussten Pfarrer und Gemeindemitglieder im seelsorgerischen Alltag zunehmend erfahren, wie sehr ihnen das alltägliche Christsein durch die Machthaber schwer gemacht wurde. Beispielsweise zog die Eingliederung der Jugendverbände in die Hitlerjugend schwerwiegende Folgen für die Jugendarbeit in den Gemeinden nach sich. Wie Heinrich Gehring der Gestapo-Akte zu Pfarrer Dr. Erich Groß entnehmen konnte, wurden die Konfirmanden und mit ihnen die Pfarrer unter Druck gesetzt. Es kam in der Folge zu Denunziationen und Verhaftungen. [vgl. das Porträt von Dr. Groß auf borbeck.de].
In der Darstellung von S. Rauthe [S. 244] findet sich der Hinweis auf eine Auseinandersetzung vom November 1933 mit dem damals deutsch-christlich dominierten Konsistorium in Koblenz. Pfarrer Klingbeil wurde vorgeworfen, abfällige Bemerkungen über das ausschweifende Vorleben (Frauen und Alkohol) des Bischofs Dr. Heinrich Oberheid aus dessen Zeit als Pfarrer in Radevormwald gemacht zu haben. Pfarrer Klingbeil erhielt einen Verweis. Die Zahlung der Verfahrenskosten wurde ihm erst 1937 nach zähen Verhandlungen erlassen.
Pfarrer Klingbeil stand weiter im Visier der Gestapo. Wegen der Äußerung „Hitler bedeutet Krieg“ in seiner Predigt vom 6. Mai 1935 in Bielefeld wurde er mit einem Rede- und Aufenthaltsverbot für den Regierungsbezirk Potsdam, in Minden-Ravensberg und Hessen-Darmstadt belegt.
Pfarrer Klingbeil verließ nach langen und harten Auseinandersetzungen mit örtlichen Vertretern des NS-Regimes und mit innerkirchlichen Gegnern die evangelische Kirchengemeinde Essen-Borbeck und wechselte 1937 zu einer Gemeinde in Düsseldorf. Von 1947 bis 1957 war er Pfarrer in Hilden. Mit ihm verlor die Bekennende Kirche in Borbeck einen streitbaren Kämpfer. Zurückblieben die Amtskollegen Karl Schreiner, Dr. Erich Groß und Ernst Gräb, die es fortan schwer hatten, sich ohne ihn zu behaupten. Beispielsweise musste sich Pfarrer Dr. Groß jahrelang gegen die Denunziation von zwei Essener Pfarrern, er sei nicht-arischer Abstammung, zur Wehr setzen. Pfarrer Hellmut Klingbeil ist am 4. Dezember 1957 in Hilden gestorben und fand auf dem dortigen Hauptfriedhof seine letzte Ruhestätte.
FJG
Quellen:
Gehring, Heinrich: Die Gemeinden Essen-Borbeck und Essen-Bergeborbeck im Kirchenkampf 1933 bis 1937. In: Zwischen Bekenntnis und Anpassung. Aufsätze zum Kirchenkampf in rheinischen Gemeinden, in Kirche und Gesellschaft, hrsg. Günther van Norden, Köln 1985, S. 213 bis 233 (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte Band 84).
Archivportal der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nachlass Klingbeil. (Abgerufen am 22.02.2025).
Die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart, zusammengestellt und bearbeitet von Jochen Gruch im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. : K-R, Bonn 2018.
Rauthe, Simone: „Scharfe Gegner“. Die Disziplinierung kirchlicher Mitarbeitender durch das Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz und seine Finanzabteilung von 1933 bis 1945, Bonn 2003 (S. 243/244).