Groß, Pfarrer Dr. Erich

Dr. Erich Groß wurde am 8. März 1902 als Sohn des Bürovorstehers Jakob Groß in Haiger (Lahn-Dill-Kreis) geboren. Er war verheiratet mit Johanna geb. Barth, geboren am 29.05.1905 in Langholt/Leer, und hatte mit ihr die Kinder Gisela (1933), Otto Heinrich (1935), Reiner (1936), Gerhard (1939) und Hildegard (1943).

Studium und Laufbahn

Erich Groß studierte in Bethel (1921), Bonn (1922, 1926), Berlin (1923) und Basel (1924). 1926 wurde er in Basel im Fachbereich Orientalistik zum Dr. phil. promoviert. Sein Vikariat leistete er 1927 im Domkandidatenstift Berlin und 1928 in Konstantinopel ab. Nach dem Hilfsdienst in Essen-Borbeck 1929/30 und Friemersheim 1930/31 und der Ordination 1929 wurde er Pfarrer in Essen-Borbeck. Zu dieser Zeit bestand die evangelische Kirchengemeinde Borbeck aus vier Pfarrbezirken: Pfarrbezirk 1 mit Pfarrer Schreiner (Matthäuskirche), Pfarrbezirk 2 mit Pfarrer Klingbeil, Pfarrbezirk 3 mit Pfarrer Dr. Groß (Lutherhaus) und Pfarrbezirk 4 mit Pfarrer Gräb.

Die Jahre im Nationalsozialismus

Laut Gehring gehörte der kluge und zurückhaltende Pfarrer Dr. Groß zusammen mit Pfarrer Hellmut Klingbeil zum Kern der Bekennenden Kirche im Borbecker Presbyterium. Er suchte und fand recht bald Kontakt zu einflussreichen Vertretern der Bekennenden Kirche im Rheinland. In Essen waren dies die Pfarrer Böttcher, Busch, Graeber und Held sowie der Rechtsanwalt Dr. Dr. Gustav Heinemann. Im Lutherhaus, wo Pfarrer Dr. Groß auch Jugendpfarrer war, wurden die ersten Jahrgänge der sogenannten „grünen Briefe“ abgezogen, das von Heinrich Held herausgegebene Mitteilungsblatt der Bekennenden Kirche im Rheinland. 1935 erschien die von Pfarrer Dr. Groß verfasste Broschüre „Die Judenfrage im Lichte der Bibel“, in der er die Judenfrage zur Aufgabe und Verpflichtung der Christen machte und kritisch darauf hinwies, dass die Kirche bislang beharrlich zur Judenfrage geschwiegen habe. Er versuchte der bekennenden Gemeinde in seinen Schriften die Augen dafür zu öffnen, dass sie der Hass-Propaganda der Nazis gegen das Judentum eine klare Haltung entgegensetzen müssten.

Weil er auch in seinen Predigten und im Konfirmandenunterricht diese Haltung einforderte, war er den Deutschen Christen und den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Mehrfach wurde Pfarrer Dr. Groß von Hitlerjungen angeschwärzt, die im Konfirmandenunterricht nach regimekritischen Äußerungen von Pfarrer Dr. Groß befragt worden waren. Ernst Schmidt nahm für sein Buch „Lichter in der Finsternis“ Einsicht in die Gestapo-Akten von Dr. Groß im Staatsarchiv Düsseldorf. In seinem Buch beschreibt er einige Vorfälle, die Pfarrer Dr. Groß betreffen. Beispielsweise geht er auf das Schreiben der Gauleitung der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ vom 12. Februar 1934 ein, das an den SS-Brigadeführer und Essener Polizeipräsidenten Karl Zech (im Amt von 1933-1937) adressiert ist.

„Von der Gemeindegruppe Rheinhausen der „Deutschen Christen“ wird uns folgende Mitteilung gemacht: ‘Der ev. Frauenverein Friemersheim-Nord feierte am 6. Februar sein Jahresfest. In dieser Feier sprach auch Pfarrer Dr. Groß aus Essen-Borbeck. Als Thema war angekündigt worden  „Die christliche Familie zur Zeit Luthers“. Pfarrer Dr. Groß erklärte bei Beginn seiner Ausführung, dass er zu diesem angegebenen Thema nicht sprechen könne, da es zurzeit wichtigere Dinge gäbe, über die gesprochen werden müsse. Er zitierte dann Stellen aus Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts“. In diesem Zusammenhang betonte er dann, dass die Schrecken des Bolschewismus ein Kinderspiel seien gegen das, was nun in Deutschland kommen werde. (…) Wir sehen in der Äußerung des Pfarrers Dr. Groß eine ungeheure Diffamierung des nationalsozialistischen Staates.‘“ [Zitiert nach Schmidt, S. 129].

Ergänzend fügte der Denunziant am 15. Februar 1934 hinzu, dass Pfarrer Dr. Groß während seines Studiums 1927 einem Parteigenossen gegenüber erklärt habe, dass er getaufter Jude sei. Dies entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber dennoch zogen die beiden Schreiben eine scharfe Überwachung der seelsorgerischen Tätigkeit im Lutherhaus, Vernehmungen und Hausdurchsuchungen nach sich. So bekam ein Hauptwachtmeister der Schutzpolizei im Februar 1935 den Auftrag, eine Abendandacht im Lutherhaus mit Pfarrer Dr. Groß zu überwachen. Seinem Bericht an die Gestapo zufolge habe der Pfarrer in seiner Predigt bedauert, dass die Bekennenden Christen im Unterschied zu den Deutschen Christen für die Kirchenwahl keine Werbung machen durften. Außerdem, so ist den Akten zu entnehmen, habe er von den Leiden der vom Staat verfolgten Pfarrer gesprochen. [Schmidt, S. 130].

Nur wenig später reagierte die Essener Gestapo im September 1935 auf einen denunziatorischen Bericht mit der Mittteilung an die Gestapo-Dienststelle in Düsseldorf, dass Pfarrer Dr. Groß sein Amt zu staatsfeindlichen Zwecken missbraucht habe. Ergänzt wurde die Mitteilung um die Empfehlung, dem Pfarrer den Religionsunterricht zu entziehen. Am Schluss des Schreibens fügte der Essener Gestapo-Mann noch den Hinweis an, Pfarrer Dr. Groß habe während seines Urlaubs in der Schweiz „hetzerische Äußerungen gegen Deutschland verbreitet“. Daraufhin wurde ihm der Reisepass entzogen.

Die Personalakte der Gestapo enthält auch den Bericht eines Essener Kriminalkommissars vom 16. Oktober 1939. Demzufolge habe er von einem Flak-Unteroffizier in der Frintroper Wirtschaft „Wilhelmhöhe“ gehört, dass Pfarrer Dr. Groß in der Krankenstube der Soldaten Schriften und Broschüren ausgelegt habe, die in versteckter Form Angriffe gegen den Nationalsozialismus enthalten hätten. Aus diesem Grunde sei eine sofortige Hausdurchsuchung bei Pfarrer Dr. Groß erforderlich.

Diese Vorgänge lassen erkennen, warum der unangepasste Pfarrer, der die Beflaggung kirchlicher Gebäude mit der Flagge der NSDAP ablehnte und Kommunisten und Juden im Lutherhaus Schutz und Obdach gewährte, bei den Essener NS-Behörde als „fanatischer Bekenntnisfrontler“ galt. [Schmidt, S. 131]. Für seine mutige Haltung musste Pfarrer Dr. Groß manche persönliche Beschränkungen in Kauf nehmen. So wurde seine Broschüre „Die Judenfrage im Lichte der Bibel“ von der Gestapo beschlagnahmt. Das ihm für seine fünf Kinder zustehende Kindergeld wurde ihm vorenthalten. Pfarrer Dr. Groß rückblickend über diese schwere Zeit:

„Wäre die Gemeinde und ihr Presbyterium nicht so stabil gewesen, mir wäre das Konzentrationslager nicht erspart geblieben.“ [Pfarrer Groß in einem Brief an Ernst Schmidt von Ende 1976].

Tatsächlich verschärfte sich nach dem Wechsel von Pfarrer Klingbeil nach Düsseldorf 1937 die Situation der bekennenden Gemeinde in Borbeck. Dr. Groß kämpfte in der Folge, wie Heinrich Gehring schreibt, ums Überleben. Jahrelang ging er – juristisch unterstützt vom Essener Rechtsanwalt  Gustav Heinemann – gegen die Verdächtigung vor, er sei nicht-arischer Abstimmung. Das Ganze endete schließlich mit einem Vergleich. {Gehring, S. 233]. Im Januar 1946 verließ Dr. Groß seine alte Wirkungsstätte Borbeck und war bis zu seiner Emeritierung1967 Pfarrer in Bad Kreuznach. Von dort ist er nach Mainz verzogen. Dort war er von 1967-1988 Lehrbeauftragter für biblisches und modernes Hebräisch. Am 17.06.1991 ist er in Bad Soden gestorben.

FJG

Quellen:

  • Gehring, Heinrich: Die Gemeinden Essen-Borbeck und Essen-Bergeborbeck im Kirchenkampf 1933 bis 1937. In: Günther van Norden Hrsg.), Zwischen Bekenntnis und Anpassung, Aufsätze zum Kirchenkampf in rheinischen Gemeinden, in Kirche und Gesellschaft, Rheinland-Verlag, Köln 1985, S. 213-233 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte Band 84).
  • Schmidt, Ernst: Pfarrer Dr. Erich Groß und die „Deutschen Christen“. In: Lichter in der Finsternis. Widerstand und Verfolgung in Essen (1) 1933-1945, Röderberg Verlag, Frankfurt/M. 1979, S. 127-133.
  • Die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart, zusammengestellt und bearbeitet von Jochen Gruch im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 2: E-J, Bonn 2013.

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