Franke, Schwester Hedwig

Von Essen-Dellwig bis nach Patagonien, dem eisigen Land im Süden Argentiniens, reicht die Missionserfahrung von Schwester Hedwig Franke. Sie ist geprägt von Opfern, Entbehrungen und Trennungen, aber auch von der freudigen Begeisterung für ein Leben in der Nachfolge Don Boscos.

Sie wurde am 3. März 1910 als fünftes von zehn Kindern in einer streng katholischen Familie in Essen-Dellwig geboren. Ihr Vater Heinrich Franke (1875-1953) war Bergarbeiter auf der Zeche Levin in Essen-Dellwig. Ihre Mutter Maria Katharina Franke geb. Hagedorn (1881-1955) war für Haushalt und Erziehung verantwortlich. Trotz der Nachkriegsprobleme und der wirtschaftlichen Not verloren die Eltern nie den Glauben an Gott. Ihr starker Glaube und die harte Arbeit hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung ihrer Tochter Hedwig für das Leben in einer Ordensgemeinschaft.

Sie zeigte sich tief beeindruckt davon, dass sechs Ordensschwestern vom Institut „Töchter Mariä Hilfe der Christen“ aus Italien (gegründet 1872) im Jahre 1922 in Essen-Borbeck, einem der ärmsten Viertel der Stadt, mit den Salesianern Don Boscos eine Werkstatt, ein Labor, eine Nähschule, eine Kindertagesstätte und ein Oratorium, eine Form der offenen Kinder- und Jugendarbeit, eingerichtet hatten. Von dem Enthusiasmus dem Engagement und dem Wahlspruch der Schwestern „Diene dem Herrn in Freude“ fühlte sich die junge Hedwig Franke stark angezogen. Nach der Schulentlassung besuchte sie zusammen mit Else Langenbrink und Therese Bonnekamp, die später ebenfalls in die Gemeinschaft der Don-Bosco-Schwestern eintraten, regelmäßig die Freizeiteinrichtung der Don-Bosco-Schwestern und lernte dort einiges, was sie später in ihrer Missionstätigkeit in Südamerika verwenden konnte.

Bild oben rechts - ein Brief aus Argentinien: „Was ich hier vermisse, ist das Osterfeuer, bei dem wir als Kinder zuletzt Kartoffeln in die glühende Asche warfen, um sie dann am nächsten Morgen herauszuholen und mit Hochgenuss zu verzehren. Dann das Anmalen der Ostereier und die Suche nach ihnen. Waren das schöne Zeiten.“ (Brief v. 24.02.1984).

Mit Zustimmung der Eltern trat Hedwig Franke mit 16 Jahren am 1. Oktober 1926 im oberbayerischen Eschelbach (zwischen Pfaffenhofen und Ingolstadt) in das dort 1924 eröffnete ein, wo sie bei den Don-Bosco-Schwestern Hauswirtschaftskurse belegte und zur Kindergärtnerin ausgebildet wurde. Eschelbach war ein kleines Dorf mit 300 Einwohnern, das so versteckt in den umliegenden Wäldern lag, dass Adolf Hitler das Haus der Salesianer während des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmte und zu einer KZ-Außenstelle machte. Nach dem Abschluss der Ausbildung machte Hedwig Franke von August 1928 bis 1930 ihr Noviziat in Casa Nova bei Turin. Hier nahm 1928 P. Filippo Rinaldi, der amtierende Ordensobere, die Einkleidung vor. Die Zeit des Noviziats in Casa Nova bei Turin war für Schwester Hedwig eine wichtige Erfahrung. Das Zusammenleben mit 96 Novizinnen aus vielen Nationen in einem bunten Sprachgemisch brachte ihr viel Freude und eröffnete ihr neue Horizonte.

Nach der einfachen Profess im Jahre 1930 besuchte Schwester Hedwig einen dreimonatigen Kurs in Mailand, um sich auf die Tätigkeit als Kindergärtnerin bzw. Vorschullehrerin vorzubereiten. Von 1930 bis Anfang 1932 durchlief sie in Österreich (Linz, Jagdberg, Unterwaltersdorf) weitere Ausbildungsstationen der Salesianer Don Boscos. In Unterwaltersdorf bei Wien erhielt sie schließlich am 19. Dezember 1932 ihre Missionsbestimmung für Feuerland in Chile und nicht, wie erhofft, für Afrika.


Skizze mit den Bestimmungsorten von Schwester Hedwig, Zeichnung: Mareike Goeddel

Nach einem kurzen Abschiedsbesuch in Essen-Dellwig, bei dem sie ihre Eltern zum letzten Mal sah, reiste Schwester Hedwig am 5. Januar 1933 mit dem Zug über München, Verona und Turin nach Genua. Über die Fahrt mit dem Zug schrieb sie begeistert:

„Bald schon sauste der Zug hinaus in die kalte Winternacht. Es war Vollmond, und so hatten wir die Möglichkeit, unser liebes deutsches Vaterland nochmals bewundern zu können. Unsere Augen wollten sich nicht schließen, um ein wenig zu schlafen. Sie durchbohrten das Dunkel der Nacht, als müssten sie mit Gewalt ein Stückchen der teuren Erde mit sich reißen.“ (Brief v. 20.02.1933).

Von Genua trat die knapp 23 Jahre alte Schwester Hedwig am 9. Februar 1933 auf dem italienischen Passagierdampfer „Julius Cesar“ zusammen mit der ebenfalls aus Dellwig stammenden Schwester Theresa Bonnekamp die über zweiwöchige Überfahrt nach Buenos Aires an. Die letzte Etappe der Reise nach Argentinien legte sie auf einem kleinen Schiff zurück und erreichte Ende Februar 1933 mit Schwester Therese ihren ersten Bestimmungsort Punta Arenas, eine an der Südspitze von Chile gelegene patagonische Stadt zwischen Feuerland und Puerto Natales an der Magellanstraße. Nach Patagonien hatte 1880 die zweite Missionsexpedition der Schwestern Don Boscos geführt. Hier verbrachte Schwester Hedwig die ersten beiden Jahre ihrer Missionstätigkeit.

1935 wurde sie von der Provinzialin auf die Malvinen-Inseln (Falkland-Inseln) versetzt, wo die Salesianer Don Boscos seit 1888 missionierten. Die Inselgruppe an der Südspitze Argentiniens, vom Festland durch die Magellanstraße getrennt, gehörte zur Diözese von Punta Arenas. Auf den Malvinen-Inseln legte sie am 5. August 1936 die Ewigen Gelübde ab. Die Jahre 1937 und 1942 verbrachte sie zunächst in der chilenischen Hafenstadt Puerto Natales in Patagonien, danach in Porvenir, einer chilenischen Siedlung auf Feuerland bei Punta Arenas, wo die Salesianer 1894 eine agrartechnische Schule gegründet hatten. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Schwester Hedwig 1942 aus Sicherheitsgründen in einem Kloster im Fischereihafen Puerto Deseado an der argentinischen Küste Patagoniens untergebracht. Trotz des rauen Klimas, das ihrer Gesundheit abträglich war, wollte sie Patagonien nicht verlassen.

Die einzige Angst, die ich habe, ist die, dass meine Provinzialin mich wieder aus der Patagonie wegnimmt. Möchte so gerne bleiben, sie ist mir so lieb.“ (Brief v. 27.09.1970).

„Es ist ein ödes Land, sein Klima rau, fast immer kalt mit viel starkem Wind, aber es ist für mich eine besondere Gnade, hier arbeiten zu dürfen, denn die Patagonie ist das Land der Träume Don Boscos.“ (Brief v. 02.07.1980).

1944 musste sie mit Rücksicht auf ihre schwache Gesundheit (chronisches Ohrenleiden seit der Kindheit, schwere Rippenfellentzündung während des Noviziats) Patagonien verlassen und in den wärmeren Norden Argentiniens wechseln. Eine akute Verschlechterung ihres Gesundheitszustands zwang sie 1946 zu einem mehrjährigen Aufenthalt in einem Krankenhaus und Pflegeheim in Buenos Aires. Nach ihrer Genesung arbeitete sie bis 1951 in einem Heim in Uribelarrea südlich von Buenos Aires. Danach verbrachte sie einige Jahre in La Plata. In allen Häusern, in denen sie lebte, arbeitete sie als Katechetin, Krankenschwester, Köchin und Pförtnerin. 1952 wurde sie bei einer Spazierfahrt mit dem Bus in einen schweren Unfall verwickelt, bei dem drei Schwestern starben. Sie selbst wurde mit schwersten Verletzungen zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert. Entgegen der ärztlichen Prognose erholte sich Schwester Hedwig unerwartet rasch.

Schwester Hedwig gab sich nach dem Urteil aller, die ihr zu tun hatten, stets einfach, offen und sympathisch. Auch wenn sie nie wirklich gut Spanisch gelernt hatte, erzählte sie gern spontan und gelassen spaßige Geschichten und Witze in der ihr fremden Sprache. Sie sprach ein rudimentäres germanisiertes Spanisch, eine Mischung aus ihrer deutschen Muttersprache, dem im Institut erlernten Italienisch, dem auf den Falklandinseln gesprochenen Englisch und dem seit 1949 gesprochenen „Kreolisch“. Grammatikfehler waren ihr nicht wichtig. Sie sagte immer, es sei das Wichtigste, dass die Kinder die christliche Botschaft aufnähmen, die dahinter stecke.

1954 musste Schwester Hedwig auf Anweisung der Oberen für zwei Jahre nach Ensenada wechseln, einem Küstenort in der Provinz Buenos Aires und Stadtteil von La Plata. Es war eine Zeit schwerer innenpolitscher Kämpfe in Argentinien, die 1955 zu einem Militärputsch und zum Sturz des Präsidenten Juan Perón (1895-1974) führten. Eine Mitschwester erinnerte sich, dass sie in dieser Zeit mit Schwester Hedwig unter der Verfolgung durch die Regierung zu leiden hatte. Sie mussten das Haus in Zivilkleidung verlassen, wurden mit dem Auto von der Schule in Ensenada nach La Plata gefahren und dort in einer Familie versteckt. Ein Salesianerpater brachte ihnen das heilige Abendmahl und ließ ihnen heimlich einige Oblaten in einer Schulblade zurück.

Schließlich lebte Schwester Hedwig ein Jahr in San Isidoro, einem Vorort von Buenos Aires. 1958 kehrte sie nach La Plata zurück. Sie sagte irgendwann zu einer Mitschwester:

„In meinem Ordensleben fing ich wirklich an glücklich zu werden, als ich mich ganz in Gottes Hände übergab. Seitdem ich Gott meine Hoffnung und meine Stärken anvertraute, fühle ich mich sicher und gefestigt.“ (Ordensbiografie).

Von La Plata aus machte sie 1963 eine längere medizinische Rehabilitation in San Carlos di Bariloche in Westargentinien am Fuße der Anden nahe der Grenze zu Chile, ungefähr 1.600 km von La Plata entfernt. 1964 schickte sie die Ordensleitung zur weiteren Rekonvaleszenz nach Alta Gracia, Hauptstadt des Departments Santa Maria in der zentralargentinischen Provinz Cordoba. Schon nach kurzer Zeit bat Schwester Hedwig darum, in ihr geliebtes Patagonien zurückkehren zu dürfen, wo sie auch zu sterben wünsche. Außerdem habe sie Sehnsucht nach ihrer Klasse aus dem Religionsunterricht, deren Kinder sie ganz verzaubert hätten.

Ostern 1966 kündigte sie die Möglichkeit eines Heimaturlaubs an:

„So der liebe Gott will, darf ich auch mal, wenn die Gelegenheit kommt, nach Deutschland fahren. Dann dürft ihr schon anfangen, das Reisegeld zusammen zu tun, denn die Reise müssen die Verwandten bezahlen. Aber lassen wir Gott walten. Um euch Freude zu bereiten, nehme ich die Erlaubnis an.“ (Brief v. Ostern 1966).

Tatsächlich durfte sie 1967 – erstmals nach 34 Jahren – für einen mehrmonatigen Heimat- Erholungsurlaub nach Deutschland reisen. Die Ordensregeln waren damals äußerst streng. So war es Schwester Hedwig nicht erlaubt, den nächsten Verwandten mehr als einen Brief im Monat zu schreiben, für alle anderen Adressaten waren Briefe nur zu außergewöhnlichen Anlässen gestattet. Untergebracht war sie im Haus ihrer Schwester im Brauk und bei den Don-Bosco-Schwestern in Borbeck. Ihr Heimatbesuch glich eher einer Betteltour. Sie war ständig unterwegs auf der Suche nach Geld, Materialien und Geräten für ihre Kinder in Argentinien. Sie war eine gefürchtete und zugleich bewunderte Bettlerin im Namen Gottes.

Ihrem Wunsch entsprechend kam Schwester Hedwig 1969 schließlich für drei Jahre in die südargentinische Hafenstadt Puerto Santa Cruz und von dort 1971 nach Rio Gallegos, dem Verwaltungssitz der Provinz und Bischofssitz des Bistums Santa Cruz. Von hier durfte sie erneut nach Deutschland reisen. Ein Jahre darauf nahm sie in einer kurzen Nachbemerkung selbstkritisch darauf Bezug:

„Ich dachte, den Nichten und Neffen bei meinem zweiten Besuch in der Heimat näher zu kommen, aber ich habe es wohl nicht verstanden, mich bei ihnen beliebt zu machen. Ja, ich bin schon ganz amerikanisch geworden. Hier braucht man sich nur einmal zu treffen und schon hat man Anschluss.“ (Brief v. 10.12.1978).

Am 5. August 1980 feierte sie in Rio Gallegos ihr goldenes Ordensjubiläum. Das nahm sie zum Anlass, allen zu danken, die sie auf ihrem Weg begleitet hatten:

„Danke dem lieben Gott an erster Stelle, dann der lieben Muttergottes, die mich in ihrem Institut wollte, dann meinen lieben Eltern, die mir großherzig die Erlaubnis gaben, ins Kloster einzutreten und nachher in die Mission zu gehen. Danke aber auch allen, die dazu beigetragen haben, dass ich diesen Beruf erkannte, und die in meiner Seele den großen Wunsch erweckten, für die Rettung der Seelen zu arbeiten. Betet für mich, dass ich meiner Berufung bis zu meinem Tode treu bleibe und meinen Nächsten von Tag zu Tag mehr lieben kann.“ (Brief v. 02.07.1980).

Im gleichen Brief erwähnte sie eher beiläufig, dass es im Lande politisch nicht gut aussehe. Sie bezog sich dabei auf den Konflikt von 1978 zwischen Argentinien und Chile um den Beagle-Kanal in Patagonien und Feuerland. Wegen der unsicheren politischen Verhältnisse seien die Schulen eine Woche früher geschlossen worden. „Gebe Gott“, so ihr Stoßseufzer, „dass es nicht zum Schlimmsten kommt.“ Vorsichtshalber schrieb sie schon die Weihnachtsbriefe. Ihr Wünsche an alle lauteten:

„Was soll ich euch wünschen? Frieden und Liebe. Kann es ein größeres Geschenk geben? Frieden in unseren Herzen, Frieden mit unseren Mitmenschen, Frieden auf der ganzen Welt. Aber dieser Frieden kann nicht herrschen, wenn nicht zuerst die Liebe herrscht.“ (Brief v. 10.12.1978).

1981 musste sich Schwester Hedwig in Alta Gracia einer Gallenoperation unterziehen. Entgegen dem Rat der Ärzte kehrte sie aus Furcht vor dem strengen Winter in Alta Gracia Anfang 1982 vorzeitig nach Rio Gallegos zurück. Sie wog zu diesem Zeitpunkt nur noch 37 Kilogramm. Ihre körperlichen Beeinträchtigungen ertrug sie mit bewundernswerter Geduld: Ohrenschmerzen, Gallen-OP (1980), Lungenentzündung, niedriger Blutdruck, nachlassende Sehkraft, Magen- und Darmprobleme. Im Februar 1983 wurde sie wegen hohen Fiebers in ein Krankenhaus in Cordoba eingeliefert, wo ihr das Fieber senkende Penicillin wegen ihres schwachen Magens und fehlender Muskulatur intravenös zugeführt werden musste. Zusätzlich bereitete ihr eine Arthrose in der rechten Schulter starke Schmerzen. Aber das, so Schwester Hedwig, sei auch gut so, denn so vergesse man nicht, sich auf den Tod vorzubereiten:

„Je mehr wir unseren Leib hier auf Erden abtöten, umso herrlicher wird er einst zum ewigen Leben auferstehen.“ (Brief v. 26.02.1961).

Ihre Tätigkeit in der Klosterschule und ein grenzenloses Gottvertrauen hielten sie aufrecht. Als man sie mit 70 Jahren in ein Altenheim schickte, damit sie dort ihren Ruhestand genießen konnte, hielt sie es dort nur zehn Monate aus. Sie klagte über das allzu ruhige Leben, in dem sie keine andere Verantwortung mehr zu tragen habe, als sich „heilig zu machen“:

„Für uns Deutsche ist die Arbeit ja eine Freude und Erholung.“ (Brief v. 25.11.1964).

Außerdem hatte sie das Unterrichten und Spielen mit den aus schwierigen Verhältnissen stammenden Schülerinnen und die tägliche Arbeit in der Pförtnerloge und im Speisezimmer zu sehr vermisst. Sie sah sich dabei in der Nachfolge Don Boscos:

„Das Ziel unseres hl. Gründers Don Bosco war die Erziehung der Jugend und besonders der Ärmsten, sei es im materiellen oder moralischen Sinn. Also bin ich wie alle meine Mitschwestern an erster Stelle Erzieherin und nicht, wie viele sagen, Lehrerin. In allen Ländern, in denen wir zugegen sind, streben wir danach Schulen zu öffnen. Denn in der Schule haben wir am besten Kontakt mit Kindern und Jugendlichen. Unsere heiligste Pflicht ist es, sie zu guten Christen, Patrioten und ehrlichen und angesehenen Bürgern zu erziehen.“ (Brief v. 17.12.1983).

Religiöse Unterweisung in Form von Ermahnungen und sanfter Kritik war ein beherrschendes Thema in ihren Briefen an die Verwandten in Essen. Beispielsweise ermahnte sie ihren 45-jährigen Neffen, nie wieder in Shorts zur Kommunionbank zu gehen.

Von Oktober bis Dezember 1983 durfte Schwester Hedwig noch einmal nach Deutschland reisen. Die Ärzte hatten ihr zu „Heimatluft“ geraten. Aber auf keinen Fall, das gab sie der Oberin und ihren Mitschwestern vor der Abreise deutlich zu verstehen, würde sie für immer in Deutschland bleiben. Schwester Hedwig pendelte zwischen den Ordensniederlassungen in Borbeck und Köln und den Wohnungen ihrer Schwestern in Essen und Andernach hin und her. Wie schon bei ihrem ersten Besuch war sie wieder als „Bettlerin“ unterwegs und nutzte den Aufenthalt für die Akquirierung von Spendenhelden und Sachspenden. Durch Vermittlung des damaligen Weihbischofs Franz Grave gelang es ihr mit Hilfe von Adveniat, den Schuldenberg, der beim Bau der Schule in Puerto Santa Cruz entstanden war, nach und nach abzubauen. Auch ein Auto für den täglichen Transfer vom Kloster zur Schule konnte dank ihrer Beziehungen angeschafft werden.

„In wenigen Tagen geht der Heimaturlaub von Schwester Hedwig zu Ende. Sie wird wie üblich den Rückflug dick vermummt antreten, um auf diese Weise Gepäckraum freizumachen für die wesentlichen Dinge: Für die Werkzeuge, für die Medikamente und für das Geld. Von diesem kann Schwester Hedwig nicht genug kriegen, weil sie nie genug abgeben kann für die Ärmsten der Armen.“ (Borbecker Nachrichten Nr. 49 / 02.12.1983).

Letzter Bestimmungsort von Schwester Hedwig wurde im März 1984 die kleine Küstenstadt Puerto San Julian in Patagonien, Provinz Santa Cruz, in der die etwa 5.000 Einwohner überwiegend von der Schafzucht lebten und unter den schwierigen klimatischen Bedingungen zu leiden hatten.

„Hier hatten wir wieder mal große Überschwemmungen, Erdbeben, Waldbrände, andere Gegenden leider unter Trockenheit und Dürre. Im letzten Winter starben viele Schafe wegen des vielen Schnees und der großen Kälte. Dieses Jahr, wenn es so weitergeht, wird es an Futter fehlen. So geht es auf der ganzen Welt zu. Leider sieht die Menschheit in all diesen Dingen nicht den Fingerzeig Gottes.“ (Brief v. 30.06.1984).

Aktuelle schulische, wirtschaftliche und politische Zustände und Ereignisse ließ sie nicht unkommentiert. Sie verfolgte das Geschehen um sich herum mit wachem Auge und kritischem Blick. Zum Falklandkrieg 1982 nahm sie ausführlich Stellung:

„Traurig ist die Sache mit dem Krieg. Wie viele junge Leben werden da geopfert nur wegen des Stolzes und der Laune einiger Personen. Aber für alle kommt auch mal ein Ende. Vor aller Welt ist Argentinien im Recht. Die Falklandinseln gehören diesem Land, zumal die Kolonialzeit vorbei ist. Mit etwas mehr Demut und Verstand von Seiten der „famosen“ Thatcher hätte alles in Frieden und zu ihrer und Englands Ehre verlaufen können. Wohin kann uns der Stolz führen! Hier betet man viel, besonders den hl. Rosenkranz. Alle Soldaten hier tragen ihn am Hals und um die Waffen geschlungen. Argentinien ist ein Land, das die Muttergottes sehr liebt und verehrt. Oft erinnere ich mich an unsere Kinderjahre, wo wir mit unserer lieben Mutter den hl. Rosenkranz alle Tage während des Ersten Weltkriegs beteten.“ (Brief v. 22.05.1982).

Verglichen mit der Beschreibung und Bewertung der jeweils aktuellen sozialen und politischen Lage im Lande, den Berichten über ihre tägliche Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen sowie über die Ausflüge und Exerzitien spielte die Erinnerung an die Heimat in ihren Briefen eine eher untergeordnete Rolle. Einmal, in einem Brief zu Ostern 1984, erinnerte sich Schwester Hedwig an heimische Osterbräuche:

„Was ich hier vermisse, ist das Osterfeuer, bei dem wir als Kinder zuletzt Kartoffeln in die glühende Asche warfen, um sie dann am nächsten Morgen herauszuholen und mit Hochgenuss zu verzehren. Dann das Anmalen der Ostereier und die Suche nach ihnen. Waren das schöne Zeiten.“ (Brief v. 24.02.1984).

Dazu passt ihr wehmütiger Rückblick auf den Heimaturlaub 1983, bei dem es zu ihrem Leidwesen viel zu selten Gelegenheit gegeben hatte, mit ihren Schwestern Kindheitserinnerungen auszutauschen:

„Ich trage mich immer schwer noch mit dem Gedanken, euch nicht besonders schöne Stunden bereitet zu haben. Mir ist oft zumute, als hätte ich nicht recht daran getan, zur Heimat gefahren zu sein. Freute mich aber bei dem Gedanken, mit euch schöne gemütliche Tage zu verbringen und besonders viel von Vater und Mutter erzählen zu hören. Aber ihr wart immer so sehr beschäftigt.“ (Brief v. 28.10.1984).

Gesundheitlich ging es Schwester Hedwig immer noch nicht gut. Alle zwei Monate musste sie sich auf Weisung der Oberin einer ärztlichen Untersuchung in Rio Gallegos unterziehen. Doch ihr Gesundheitszustand blieb instabil. Dennoch ließ sie es sich nicht nehmen, 1984 an einer Drei-Tage-Tour der Schwestern zu den „Eisbergen“ (das sind die Eisfelder am Perito-Moreno-Gletscher in Patagonien teilzunehmen.

Am 20. März 1985 fühlte sich Schwester Hedwig nicht gut. Auf ärztliche Weisung kam sie zur stationären Behandlung ins Krankenhaus. Als die Oberin sie in die Klinik begleitete, sagte Schwester Hedwig zu ihr: „Ich fühle, wie mein Leben zu Ende geht.“ Die Krankensalbung, die ihr der Direktor der Salesianer-Schwestern erteilte, erlebte sie noch bei vollem Bewusstsein. Die Nacht verbrachte sie ohne Schmerzen. Kurz vor acht Uhr ist sie am Morgen des 22. März 1985 friedlich eingeschlafen, im Bewusstsein und mit der festen Gewissheit, ihr missionarisches Ideal verwirklicht zu haben. Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Friedhof am Puerto Santa Cruz-Internat. Beim Begräbnisamt für Schwester Hedwig Franke, zu dem auch viele Menschen aus Rio Gallegos gekommen waren, hielt der Bischof von Santa Cruz die Predigt auf Spanisch. Das Motto der Predigt lautete: „Una màs en el surco!“ – „Sie starb nicht vergebens!“ Der Bischof würdigte ihr unermüdliches Wirken für die Kinder und Jugendlichen, ihre Willenskraft und Opferbereitschaft und ihre Hingabe an Gott. Er schloss die Predigt mit den Worten:

„Dios no olvida. Dios recuerda todo y sempre. Para EL ‘no hay héroe anónimo‘. Dios premia.“

„Gott vergisst nicht. Gott erinnert sich an alles und immer. Für ihn gibt es keine anonymen Helden. Gott belohnt.“ [Auszug aus dem Abdruck der Predigt in der Zeitung „La Opinión Austral“ vom 24. März 1985].

Franz Josef Gründges

Quellen:
Handgeschriebene Briefe von Schwester Hedwig an ihre Verwandten aus den Jahren 1961 bis 1985 (Privatarchiv).
Borbecker Nachrichten vom 14. Juli 1967.
Borbecker Nachrichten vom 25. Juli 1980.
Borbecker Nachrichten vom 02. Dezember 1983.
Archive der Don-Bosco-Schwestern in München und Salzburg.
Kurzbiografie in italienischer Sprache. In: Magnabosco, Armida, Nepi Adriana (Hrsg.): facciamo memoria. Cenni biografici delle FMA defunte nel 1985. Roma, 2012. (S. 180-182).
Zeitleiste und Ordensbiografie aus dem Archiv der Don-Bosco-Schwestern in Buenos Aires, übermittelt von der Provinzsekretärin Sr. Maria Ana L’Angiocola am 07.09.2021.

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