Claudia Seraphica von Wolkenstein-Rodeneck

Es gab in Essen Stiftsdamen, über die es viel zu sagen gibt. Dazu gehört eine Dame mit dem schönen Namen Claudia Seraphica von Wolkenstein-Rodeneck. Das muss eine ganze besondere, um nicht zu sagen eigenwillige Person gewesen sein, die sich nicht in das Bild fügt, das man sich von einer vornehmen Stiftsdame macht. Welche Stiftsdame kann schon von sich behaupten, von einem Minnesänger abzustammen? Welche Stiftsdame hat in ihrer Biografie den Eintrag, als Siebzehnjährige im Kölner Karneval auf einem Marktplatz als Mann verkleidet Tänzchen aufgeführt zu haben? Es lohnt sich offenbar, dem Lebenslauf dieser Dame genauer nachzugehen.

Am 14. September 1627 ist sie in Innsbruck als Tochter von Fortunat Graf von Wolkenstein-Rodeneck und Johanna Gräfin von Königsegg-Rothenfels zur Welt gekommen. Sie entstammte damit der Tiroler Adelsfamilie der Wolkensteiner, der Rodenecker Zweig mit Sitz im Tiroler Pustertal durch den bekannten Minnesänger Oswald von Wolkenstein (um 1376-1445) begründet worden ist. Ihr Vater scheint weniger erfolgreich gewesen zu sein. Er soll um die Mitte des 17. Jahrhunderts sein Vermögen in einem Konkursverfahren verloren haben. Vielleicht spielt dieser wirtschaftliche Hintergrund neben anderen Faktoren eine Rolle bei den Schwierigkeiten, die man der Claudia Seraphica bei ihren Versuchen bereitete, in die Damenkapitel von Essen und Thorn aufgenommen zu werden.

Jedenfalls wurde sie im Alter von 14 Jahren durch die Essener Fürstäbtissin Maria Clara von Spaur 1641 präpendiert, d.h. mit einer Pfründe ausgestattet worden, obwohl ihre Abstammung den strengen Normen des Stifts nicht entsprach. Es war ein denkwürdiges Verfahren, das da am 27. Januar 1642 vollzogen wurde. Es fand zum einen nicht in Essen, sondern im Gräfinnenchor im Stift St. Ursula in Köln statt, zum anderen war bei der feierlichen Zeremonie keine einzige Essener Stiftsdame zugegen. Damit macht sich keine Freundinnen! Es war dann vor allem die Pröpstin, die der jungen Kandidatin seit ihrem Auftauchen in Essen 1642 einen kühlen Empfang bereitete. Der Grund dafür war, dass sie das Mädchen nicht für ebenbürtig hielt.

Es ging dabei auch um Grundsätzliches. Der lokale hohe Adel mit der Pröpstin als Sprachrohr wollte damit gegen die Tendenz, bevorzugt Vertreterinnen des österreichischen Adels in Amt und Würden zu bringen, ein Zeichen setzen. Tatsächlich hatte es die aus Tirol stammende Maria Clara von Spaur gewagt, etliche „Ausländische“ aus Tirol und Süddeutschland in das Essener Damenkapitel aufzunehmen, und damit die aus alten reichsgräflichen Fürstenhäusern stammenden Damen düpiert. Das war Grund genug, die von der Äbtissin protegierte Kandidatin besonders genau auf ihre Eignung als Stiftsdame zu prüfen.

Ein Vorkommnis aus dem Karneval in Köln im Jahre 1644 lieferte den Kritikerinnen um die Pröpstin herum denn auch Wasser auf die Mühlen. Am 2. April wagte es die Claudia Seraphica in ihrem jugendlichen Leichtsinn, in Kapitänskleidung auf dem Markt in Köln herumzuscharwenzeln und zu tanzen. Sofort verlangte die Äbtissin, die wusste, dass man im Damenkapitel auf diesen Fehltritt genüsslich reagieren würde, eine rasche und umfassende Aufklärung des Verfalls. Bei allem Wohlwollen konnte und durfte die Äbtissin nicht darüber hinwegsehen, dass Claudia Seraphica gegen den Verhaltenskodex des Standes verstoßen hatte. Als dann genau diese Person, die soeben noch außerstande gewesen war, den Nachweis standesgemäßen Verhaltens zu erbringen, in das Damenkapitel aufgenommen werden sollte, versuchte die Pröpstin dies mit allen Mitteln zu verhindern. Doch Äbtissin Maria Clara von Spaur schaltete den päpstlichen Nuntius ein, der den Konflikt zugunsten der Äbtissin entschied. Am 1. Februar 1645 würde Claudia Seraphica zur Küsterin gewählt.

Noch im gleichen Jahre fand der Konflikt an einem anderen Schauplatz seine Fortsetzung. Bei der Bewerbung um das Amt der Äbtissin von Freckenhorst Anfang 1645 erhielt Claudia Seraphica nicht die Mehrheit der Stimmen. Nur auf landesherrlichen und päpstlichen Druck konnte sie das Amt übernehmen. Auch in Thorn stieß sie, obwohl sie bereits Äbtissin in Freckenhorst und seit 1648 auch Äbtissin im Stift Neuenheerse bei Bad Driburg war, auf Widerstand, als sie dort um Aufnahme nachsuchte. Das Damenkapitel lehnte jedoch im September 1654 ihre Aufnahme wegen nicht ausreichender Abstammung ab. An diesem Vorgang zeigte sich, dass die alten Reichsstifte durch kaiserliche Titelverleihungen und durch Eingriffe der päpstlichen Nuntiatur stark unter Druck geraten waren. Der gesamte Reichsgrafenstand war in Gefahr. Dagegen wollte man in Thorn und Essen ein starkes Zeichen setzen.

Die Stiftsdame Claudia Seraphica, die auch in St. Ursula und in Vreden eine Präbende besaß (sie wurde dort 1676 Pröpstin), hielt sich überwiegend in Vreden auf, war aber zwischendurch immer wieder mal unterwegs, um ihre Residenzpflichten zu erfüllen. Im Stift Essen ließ sie sich aus bekannten Gründen nur selten sehen. Sie machte sich dort um die Erhaltung der Bausubstanz und die Ausstattung der Abtei verdient. Nach allem, was man über sie weiß, führte sie prächtige Hofhaltung und war bis zu ihrem Tod am 21. Juli 1688 stets dem Leben zugewandt. Sie wurde in der Stiftskirche in Vreden beigesetzt. Damit war ein langer Lebensweg vom Südtiroler Pustertal über Thorn, Köln, Essen, Freckenhorst und Neuenhersee nach Vreden zu Ende gegangen. (FJG)

Quelle: Ute Küppers-Braun: Frauen des hohen Adels im kaiserlich-freiweltlichen Damenstift Essen (1605-1803). Münster 1997). – Ute Küppers-Braun: Soziale Differenzierungen in Essen und Thorn: Frühe Neuzeit. In: Frauen bauen Europa. Internationale Verflechtungen des Frauenstifts Essen, hrsg. von Thomas Schilp. Essen 2011, S. 369-387

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