Becker, Rolf

Rolf Becker wurde am 14. Januar 1928 im Essener Süden geboren. Sein Vater Karl Bertram Becker, 1900 in Borbeck geboren und Gymbo-Abiturient des Jahres 1925, hatte 1927 die aus Riga (Lettland) stammende Jüdin Gerta Lurie geheiratet, die er während des Kunststudiums (Becker wurde Maler) in Berlin kennengelernt hatte.

1934 zog die Familie in das Haus der Großmutter in der Heißener Str. 7 in Borbeck (heute: Heißener Weg). Der bekannte Borbecker Architekt Ludwig Becker war ein Großonkel von Rolf Becker. 1937 wurde der Vater, weil er mit einer Jüdin verheiratet war, aus der „Reichskammer der bildenden Künste“ ausgeschlossen. Er starb im Oktober 1942. Rolf Becker war seit 1938 Schüler des Gymnasiums Borbeck.

Nach dem Tod des Vaters und den verschärften amtlichen Bestimmungen für „Halbjuden“ musste er das Gymnasium zum Jahreswechsel 1942/1943 verlassen. Er bekam Privatunterricht beim Direktor der Schule Wilhelm Vollmann. 1944 war er für kurze Zeit als Praktikant im Labor eines Essener Industriebetriebs tätig. Für die gleiche Firma arbeitete er in Hannover an einem „kriegswichtigen Projekt“.

Nach Kriegsende setzte Rolf Becker ab November 1945 seine Schullaufbahn in einem Sonderlehrgang am Gymnasium Borbeck fort. Ostern 1947 legte er hier die Reifeprüfung ab. Nach einem kurzen Volontariat im Herbst und Winter 1947/1948 bei der Neuen Ruhr-Zeitung in Essen studierte er Germanistik und Philosophie in Bonn, brach aber nach vier Semestern das Studium ab und wandte sich dem Journalismus zu. Von 1954 bis 1960 war Rolf Becker Feuilletonredakteur für den Kölner Stadtanzeiger und von 1960 bis zu seiner Pensionierung 1991 Literatur-Redakteur, zuletzt „Redakteur mit Sonderauftrag“ beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in Hamburg.

Rolf Becker (Bildarchiv Borbecker Nachrichten)

Neben seinem Beruf war Rolf Becker auch als Schriftsteller tätig. 1951 erschien das Jugendbuch „Kreisel und die Zwölf“, 1954 im Suhrkamp Verlag der Roman „Nokturno 51. Zu den weiteren Werken gehören die Erzählungen „Die weiße Fahne“ (1957), „Michael Frost“ (1958) und „Tamara“ (1993), die Hörspiele „Ausnahmezustand“ und „Der Verrat“ sowie die autobiografische Skizze „Jahr und Jahrgang 1928“ (1968).

Zwei Vorkommnisse aus Rolf Beckers Leben verdienen es, besonders hervorgehoben zu werden. In dem einen Fall spielt seine Mutter die Hauptrolle. Sie stand als Jüdin unter ständiger Beobachtung der Gestapo und musste jederzeit befürchten, verhaftet und in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. In ihrer Not wandte sie sich im September 1944 an den Oblatenpater Franz Trimborn, der damals Rektor des Pfarr-Rektorats St. Maria Immaculata war, und bat ihn um Hilfe. P. Trimborn gelang es, Frau Beckers Hausarzt Dr. Karl Feldhoff und Dr. Aloys Allhoff, Leiter der Chirurgischen Abteilung des Philippusstiftes, dazu zu bringen, Frau Becker wegen einer angeblichen Blinddarmoperation für einige Wochen im Krankenhaus vor dem Zugriff der Gestapo zu bewahren. Dr. Allhoff stellte später über den Vorgang eine Bescheinigung aus: „Frau Gerta Becker wurde am 21. September 1944 wegen Blinddarmentzündung operiert und musste am 25. Oktober 1944 wegen Totalschadens des Krankenhauses ungeheilt entlassen werden (Herzbeschwerden.)“ Gerta Becker ist erst sehr viel später 1983 in Hamburg gestorben.

In der anderen Geschichte steht Rolf Becker selbst im Mittelpunkt. Er schildert darin einen Tag nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Essen seinen Gang zur Post in der Rechtstraße in Borbeck. Am 12. April 1945 marschierte er von der Heißener Straße zur Schlossstraße, von dort über die Borbecker Straße und Marktstraße am Bahnhof und an St. Dionysius vorbei zur Post. Dort entfernte er von der Tür der Telefonzelle einen alten Aufkleber mit der Beschriftung „Benutzung für Juden verboten!“ und zerriss ihn in Stücke. Seiner Mutter erzählte er nicht davon.

Rolf Becker starb am 9. Mai 2022 94-jährig in Hamburg. (FJG)

Quellen: Wolfgang Sykorra: Von der Penne in die Welt. Borbecker Porträts. Hg. von Lothar Böning. Essen 2013, S. 53/54. – Ernst Schmidt: „Es läuft da eine gewisse Aktion“. Die jüdischen Schüler. In: Klaus Lindemann: Das Gymnasium Borbeck seit der Kaiserzeit. Essen 2005, S. 3310-328, zu Becker S. 327/328. – Andreas Koerner: Rolf Becker – 80 Jahre. In: Borbecker Beiträge 3/2007, S. 80. – Andreas Koerner: Borbecker Literat Tür. Rolf Becker: Tamara. In: Borbecker Beiträge 3/1994, S. 90-92. – Andreas Koerner: „Rolf Becker: Ein Gang zur Post“. In: Borbecker Beiträge 2/2012, S. 58-60. – Willi Winkler: „Zum Tod von Rolf Becker: Ein Mann mit Einfluss“, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. Mai 2022.

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