Baasstraße

Die Baasstraße liegt in Essen-Dellwig. Sie biegt von der Dellwiger Straße ab und führt in einem weiten Bogen wieder zu ihr zurück. Woher mag die Baasstraße ihren Namen haben?

Erwin Dickhoff weiß die Antwort. Der Name geht zurück auf Heinrich Sandgathe (1843-1912), Inhaber einer Schankwirtschaft Ecke Donnerstraße/Donnerberg in der Nähe des Bahnhofs Dellwig und der nach Oberhausen führenden Straßenbahnlinie. Er erfreute sich allgemeiner Wertschätzung und war hoch angesehen. Seine Ratschläge waren sehr begehrt. Im Volksmund wurde er deshalb „Baas“ genannt. Den Grund findet man in der Herkunft des Wortes. In einer niederdeutschen Quelle findet sich der Satz „Vergnügt rieb sich der Baas hinter dem Schenktisch die Hände“. Das bedeutet, dass der Baas in Schankwirtschaften die Oberaufsicht über den Ausschank hatte. Allgemein ist „Baas“ ein Synonym für Meister, tüchtiger Kerl, Chef. Vom Lautbild her ist es nur ein kleiner Schritt zum heutigen „Boss“.

Am 22. Januar 1897, also schon zu seinen Lebzeiten, ist ein Weg in Dellwig wohl wegen Heinrich Sandgathes Verdienste um die Gemeinde Borbeck nach ihm benannt worden. Er gehörte wie schon 1839 sein Vater, der „Ackerer“  Heinrich Sandgathe, viele Jahre als „Meistbegüterter“ dem Gemeinderat der Bürgermeisterei Borbeck an. Für Bürgermeister Rudolf Heinrich mit seiner bekannten Vorliebe für kostensparende Straßenschilder wird auch die Kürze des Namens eine Rolle gespielt haben. Plausibel ist auch die Annahme, dass die Baasstraße mit Bezug auf die im Volksmund geläufige Titulierung „Baas von Dellwig“ so genannt worden ist. Der betuchte Heinrich Sandgathe, der 1873 Maria Hoffstadt genannt Scheppmann geheiratet hatte, ließ in der Nähe seiner Gastwirtschaft sechs Häuser bauen, die heute durch Neubauten ersetzt sind. Der Zeitpunkt ist nicht bekannt. Möglicherweise liegt er kurz vor der Namensgebung 1897.

Zunächst hatte Heinrich Sandgathe die Häuser bzw. Wohnungen wohl bevorzugt an Eisenbahner vermietet (siehe Adressbuch für 1905), die im Sammelbahnhof Frintrop oder am Bahnhof Dellwig beschäftigt waren. 1909 wohnten in den Häusern überwiegend Bergleute. Hier macht sich der steigende Bedarf an günstigem Wohnraum für Bergarbeiterfamilien bemerkbar, der nach der Inbetriebnahme der Zeche Vondern kurz nach der Jahrhundertwende entstanden war. Da im Adressbuch von 1912 die Zeche Vondern als Eigentümer angegeben ist, kann davon ausgegangen werden, dass Heinrich Sandgathe seine Häuser einige Zeit vorher an die Zeche verkauft hat.

Bei der Frage, wo die Sandgathes herkommen, stößt man in der Historischen Karte von Vogelsang und Honigmann von 1803/1806 auf die „Sandgathe“. Das war ein kleiner, sandiger Hohlweg, der von Oberhausen kommend durch den Klaumerbruch am Hof „Sandgarten“ (Sandgathe) vorbei ins Dorf Dellwig und von dort nach Borbeck und Essen führte. Ein weiterer Weg führte vom Roten Haus (bei „Rothhäuser“) an den Höfen Hüttmann und Sandgathe (und der heutigen Baasstraße) vorbei zur Emscherfurt und Vondernmühle. Der Hof- und Familienname Sandgathe taucht bereits 1332 im Kettenbuch des Stiftes Essen auf. In einer anderen Quelle aus dieser Zeit ist von einer Familie bzw. einem Hof „In der Sandgathe“ die Rede.

Allem Anschein nach waren die Sandgathes eine alte Dellwiger Bauernfamilie, die einen Hof in der Sandgathe besaß. Im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland gibt es den Hinweis auf ein Schreiben aus dem Jahre 1744, in dem ein Heinrich Sandgathe die Essener Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach um Befreiung von Naturalleistungen bittet. Ihren Stammhof mussten die Sandgathes um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Bau der Köln-Mindener-Eisenbahn aufgeben (Bauzeit von 1842-1846). 1850 errichteten sie einen Neubau mit Stallungen an der Donnerstraße. Dieses Gebäude stand bis 1902, bevor es wegen der Verbreiterung der Bahnhofstraße abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde.

Im alten Gebäude war, wie Ludwig W. Wördehoff vermerkt hat, ab 1891 im Zusammenhang mit der Eröffnung des Bahnhofs Dellwig die Poststelle untergebracht. Die günstige strategische Lage der Gaststätte wurde noch dadurch gesteigert, dass 1898 eine Straßenbahnlinie am Haus vorbeiführte. Das war nach dem Abriss des Vorgängerbaus Anlass genug, ein neues, großzügiges Restaurant zu errichten. Mit der günstigen Lage warb man auf einer alten Postkarte mit dem Hinweis „Straßenbahnhaltstelle“. Das Restaurant Sandgathe war von der Bahnhof Apotheke Hermann Reichelt (links) und der Gaststätte Elbers (rechts) eingerahmt. Diese Gaststätte wurde im Krieg zerstört und nach 1945 von Helmut Elbers neu errichtet. Das Restaurant Sandgathe wurde 1961 durch einen Neubau ersetzt.

Die Wirtshaustradition der Sandgathes begann mit Johannes Hermannus Sandgathe (*1790), Sohn des Henricus Sandgathe (*1757) und dessen Ehefrau Maria Elisabeth Rahmann. Er war mit Anna Catharina Große-Möllhoff verheiratet. Ihr Sohn Moritz Sandgathe führte zusammen mit dem gleichnamigen Enkel die Schankwirtschaft „Moritz in der Wippe“ an der Hesselstraße/Bruchstraße in Vogelheim (heute: Weidkamp/Alte Bottroper Straße). Schließlich gab es mit Anton Sandgathe (* um 1825) einen weiteren Gastwirt aus der Familie Sandgathe. Seine Gastwirtschaft lag an der Kreuzung Grünstraße/Prosperstraße (heute: Kraienbruch/Levinstraße). Seine Tochter Gertrud (1851-1948) heiratete einen August Dickmann (1846-1922), Sohn des Heinrich Dickmann vom Dellwiger Hof der Dickmanns. Im Borbecker Adressbuch von 1905 ist neben dem Wirt und Ökonomen Heinrich Sandgathe auch sein Sohn, der 1878 geborene Ökonomiegehilfe Leo Sandgathe, aufgeführt, wohnhaft in der Donnerstr. 163. Leo Sandgathe betrieb die Gastwirtschaft bzw. das Restaurant Sandgathe  nach dem Tod des Vaters im Jahre 1912 bis in die 1930er-Jahre hinein, zusammen mit seiner Frau Maria, geborene Wortberg. Nach dem Tod ihres Mannes, der in einem Vermerk in der Festschrift der SA-Ortsgruppe Dellwig-Frintrop aus dem Jahre 1936 als „verstorben“ bezeichnet, führte die Witwe den Schankbetrieb weiter.

Der Sohn Alfons Sandgathe (1910-1991) übernahm einige Zeit später zusammen mit seiner Ehefrau Irmgard Diehl die Gaststätte, die laut Adressbuch von 1952 als Gaststätte „Zum Bahnhof Dellwig“ firmierte. Um 1971 übergab Inhaber Alfons Sandgathe den Schankbetrieb an das Pächterehepaar Alfred und Agathe Murczak, 1982 ging die Gaststätte in die Hände von Alfons Sandgathes Tochter Ursula und deren Ehemann Hans Schrödinger sowie Enkelin Martina über. Von Ende der 1980er-Jahre bis 1994 folgten zwei namentlich nicht bekannte Pächter.

Nach einem Leerstand von zwei Jahren übernahmen Alexandra und Thomas Kaiser am 19. Oktober 1997 die Gaststätte. Mit den neuen Pächtern wechselte die Gaststätte, die im Adressbuch von 1997 noch unter „Haus Sandgathe“ geführt wird, ihren Namen. Die neuen Pächter gaben ihr wegen der in der Nähe liegenden Straßen, die alle etwas mit Wetter zu tun haben (Donnerberg, Blitz-, Donner- und Taustraße), den Namen „Donnerwetter“. Damit erlosch der traditionsreiche Name „Sandgathe“. Er wurde wohl auch deshalb nicht weitergeführt, weil die Sandgathes das Gebäude inzwischen an einen Ernst Scheller verkauft hatten.  

Neben der Baasstraße in Essen-Dellwig gibt es die Straße „In der Sandgathe“ in Oberhausen. Sie führt von der Einbleckstraße in einem Bogen zur Quellstraße. (FJG)

Quellen: Ludwig W. Wördehoff: Borbeck in seinen Straßennamen. Essen 1987. –Willi Bonczek: Essen im Spiegel der der Karten. Essen 1975. – Hermann Kappenberg: Nachkommen von Everhard Dieckmann. In: Borbecker Beiträge 2/2002, S. 67/68. – Erwin Dickhoff: Essener Straßen. Essen 2015.

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