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1 05.04.2019
GANZ BORBECK. Sieben Monate! So lange gibt es sie jetzt nicht mehr, die BORBECKER NACHRICHTEN. Keine Nachrichten aus der Nachbarschaft mehr auf knisterndem Zeitungspapier, kein vertrautes Klappern mehr am Briefkasten, kein Wochenende, an dem man das Geschehen der Woche noch mal in Ruhe nachlesen konnte. Keine Spezialausgaben mehr, keine Weihnachtsgrüße oder Osterrätsel, keine Malwettbewerbe und manches andere, das für Abertausende Menschen in Essens größtem Stadtteil fast sieben Jahrzehnte einfach zu ihrem Alltag gehörte. Geradezu ein ganzes Menschenleben lang – generationenübergreifend. Jetzt, am 8. April 2019, wurde sie offiziell 70 - die Zeitung, die 1949 zum ersten Mal druckfrisch auf dem Tisch kam.
„Die Borbecker“ reichte - jeder wusste, was gemeint war. Kein anderes Blatt war je so sehr und so lange im Essener Nordwesten verwurzelt, traf so sehr den Nerv der Leserschaft. Kein Wunder, dass die in dürren Worten vom Verlag angekündigte Einstellung zum 31. August 2018 viele traurig und zornig zugleich machten. Die bestürzende Mitteilung kam – fast beiläufig - exakt in der Haupturlaubszeit der Sommerferien 2018 und nur wenige Tage vor dem endgültigen Redaktionsschluss. So „mal nebenher“ sollte das Ende der traditionsreichen Heimatzeitung endgültig besiegelt werden: „Allein die Form der Mitteilung als lapidare Randnotiz mitten im Sommerloch ist mehr als nur schlechter Stil“, so die damals veröffentlichte Erklärung des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins (BBVV). Sie bedauerte den Verlust eines wichtigen Spiegels des Stadtteillebens, eines Forums „für alle, die für ihren Stadtteil Partei nehmen.“
Der in den letzten zwanzig Jahren beklagte kontinuierliche Auflagenrückgang der zeitweilig größten örtlichen Wochenzeitung in Deutschland, hieß es darin, sei eine Folge unternehmerischer Interessen, in denen die Vielfalt vor Ort keinen Platz mehr habe. „Für den Borbecker Bürger- und Verkehrsverein soll das nicht das letzte Wort zu dieser Entscheidung sein, wird doch mit einem Federstrich ein weiteres Stück Heimat in Borbeck beseitigt“, unterstrich die BBVV-Vorsitzende Susanne Asche. Sie hatte sich bereits Ende Juli 2018 für den Vorstand mit einem Video an die Öffentlichkeit gewandt. Die Einstellung der BORBECKER zeuge „von völliger Verkennung und Missachtung der Bedeutung der Wochenzeitung für alle, die mit Borbeck verbunden sind“.
Das wollten der BBVV und der Kultur-Historische Verein Borbeck e.V. nicht wortlos hinnehmen: Gemeinsam mit Leserinnen und Lesern, Vereinen und Einrichtungen, die im Begriff waren, ihr Stadtteilsprachrohr zu verlieren, wollten sie ein sichtbares Zeichen der Verbundenheit setzen: Einen Kontrapunkt zum unwürdig verkündeten Ende, ein Abschied mit Respekt und Anstand. Um dem Redaktionsteam für seinen Einsatz in den letzten Jahrzehnten danken, lud man für den 28. August 2018 zu einer Versammlung in der Bahnhofshalle Borbeck. Und der „Redaktionsschluss“ wurde zu einem bewegenden Abschied für die Heimatzeitung: Rund 180 Menschen fanden sich ein, es gab Standing Ovations für die Mitglieder der Redaktion und die freien Mitarbeiter – Ausdruck von großer Dankbarkeit für ein außergewöhnliches Medium, das Generationen begleitete, vernetzte, informierte, kommentierte.
Das machten auch zahlreiche Redebeiträge deutlich: Der aufmerksame Blick für das vermeintlich Kleine oder Unbedeutende in der Nachbarschaft, die außerordentliche „Kultur der Wertschätzung" für den Einsatz im gelebten Miteinander, für das in Borbeck besonders ausgeprägte ehrenamtliche Engagement, für die sozialen und kulturellen Leistungen im direkten Lebensumfeld, blieben der Redaktion nach der Übernahme durch den WAZ-Konzern erhalten – auch über den Tod des Gründers Walter Wimmer hinaus. Der „Grandseigneur“ des lokalen Journalismus, der vielen Redakteuren auf die Sprünge half, hatte das von seinem Vater Wilhelm Wimmer 1949 gegründete Blatt gemeinsam mit seinem Bruder Franz-Josef zu einer der größten lokalen wöchentlich erscheinenden Verkaufszeitungen in Deutschland gemacht. Erst im Jahr 2000 zog er sich aus der Redaktionsleitung der „Borbecker Nachrichten“ zurück. Sie kamen damals wie die 1850 begründeten und 1959 von den Wimmer-Brüdern übernommenen „Werdener Nachrichten“ unter das Dach der WAZ/Funke-Mediengruppe.
Dass Walter Wimmer den Kampf im harten Wettbewerb gegen die Anzeigenblätter nicht gewinnen konnte, war ein harter Schlag für den Vollblut-Verleger, der lange vergeblich um seine Unabhängigkeit kämpfte. Die wöchentliche Auflage stürzte nach der Übernahme von über 12.000 bis zuletzt knapp 2.500 – der Schwund der redaktionellen Seiten und die ausbleibende Werbung blieben nicht ohne Wirkung. Mehr noch grub vor allem die werbestrotzende kostenlose Verteilzeitung Leser ab, es gab keine Werbeaktionen oder Online-Angebote, keine öffentliche Präsenz über die wöchentlichen Druckausgabe hinaus – all dies musste Konsequenzen haben.
Heftige Vorwürfe blieben den beim „Redaktionsschluss“ anwesenden Vertretern der Funke Medien GmbH NRW darum nicht erspart. Die eingeladenen Geschäftsführer Thomas Kloß und Frank Hager stellten sich den Fragen, machten deutlich, dass die über Jahre bereits subventionierte Zeitung wirtschaftlich nicht mehr tragbar gewesen sei. Für die Redakteure wurden Vereinbarungen geschlossen, die freien Mitarbeiter gingen leer aus. Und die Leser? Ihnen fehlt ihre Zeitung – mit ihrer hohen Verlässlichkeit, ihrer eigenständigen, klaren, aber immer den Menschen zugewandten Haltung, ihrem von Herausgeber Walter Wimmer geprägten Profil, das hoch über allen Debatten um „Lügenpresse“, um Käuflichkeit, fehlende mediale Unabhängigkeit oder mangelndes journalistisches Ethos stand.
Die BORBECKER - eine lebende Legende in der Stadt- und Zeitungslandschaft, die insbesondere für eine hohe Wertschätzung des bürgerschaftlichen Ehrenamts stand. Dies betonten viele Redebeiträge, die wie durch Jürgen Becker vom Kultur-Historischen Verein Borbeck auch die Frage der „sozialen Verpflichtung“ eines Mediums herausstellten, das die Geschichte des Stadtteils nicht nur begleitet und beschrieben, sondern maßgeblich mitgeprägt habe. Er werde Walter Wimmer an dessen Grab für ein großes Geschenk danken – „traurig darüber, dass wir sein Kind nicht retten konnten“, fasste Moderator Franz Josef Gründges den vielstimmigen Dank aus dem Plenum zusammen.
Viele, die der Zeitung verbunden waren, nutzten wenige Tage später viele Leser den letzter Arbeitstag in der Redaktion, den Redakteuren der BORBECKER NACHRICHTEN noch einmal persönlich zu danken, wie ein Video dokumentierte, doch nicht ohne ein trotziges „Es muss weitergehen“. Dies unterstrich die BBVV-Vorsitzende Susanne Asche, die bis zuletzt Kommentare und Wünsche für die Redaktion sammelte. Doch das Unausweichliche erfordere auch neuen Optimismus, Borbeck brauche Alternativen, sein Forum, die Möglichkeit zum Austausch, zur Kommunikation und Vernetzung. Vor allem im sozialen und kulturellen Bereich heiße das, neuen Schulterschluss zu suchen - im Dienst eines lebenswerten Stadtteils mit all seinen Ressourcen, die sich in neuer Weise bemerkbar machen und wirksam werden müssten.
Das neue Online-Portal www.borbeck.de will das tun. Die im Angesicht der drohenden Schließung der "BORBECKER" spontan eingerichtete Facebookseite machte den Anfang, die bereits früh diskutierte Internetseite folgte später. Das gemeinsam vorbereitete und am 14. Februar 2019 online gegangene Projekt kann zwar die BORBECKER NACHRICHTEN wohl kaum ersetzen. Aber die Macher sehen sich durchaus in ihrer Tradition: Unabhängig, nicht dem wirtschaftlichen Erfolg verpflichtet, aber umso mehr dem Leser, dem Stadtteil und allen Menschen, die hier leben - das ist das kurzgefasste Programm. Und sie freuen sich, wenn die Initiative immer weiter wächst. Die Weichen sind gestellt.
Dr. Christof Beckmann
Ausschnitt aus der Titelseite der letzten BN-Ausgabe: So eine Titelseite hat es in Deutschland wahrscheinlich noch nie gegeben. Die Macher aus der Redaktion dankten auf einer ganzen Seite allen, die seit 1949 ihre Beiträge beisteuerten. Mehr als ein Fall fürs Zeitungsmuseum!
Kommentare
Kommentar von Hartwig Wittke |
Ich bin mit der Borbecker groß geworden.
Da ich jetzt in Niedersachsen wohne und somit nicht viel Kontakte nach Borbeck hatte, erfuhr ich heute erst heute vom Ende der Zeitung. Traurig.
Werde mich aber jetzt der neuen Form der "Borbecker" bedienen, um über meine Heimat auf dem laufenden zu bleiben.
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