In der Nacht zum Sonntag: Zeitumstellung in Deutschland

0 27.10.2021

Wer hat an der Uhr gedreht? Einer war es bestimmt - der Staat. Und jetzt ist es wieder soweit: In der Nacht auf Sonntag werden um drei Uhr wieder die Zeiger um eine Stunde auf zwei Uhr zurückgestellt. In Deutschland und fast allen europäischen Ländern ist die Nacht also 60 Minuten länger, der Sonntag hat dann 25 Stunden, man kann länger schlafen. Ist doch auch schön. Aber Umfragen zeigen, dass die Zeitumstellung sehr unbeliebt ist und viele Menschen belastet.

Gereiztheit und Schlafprobleme

Nach einer am 26. Oktober 2021 veröffentlichten repräsentativen Forsa-Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse KKH ist bei jedem Zweiten der rund 1.000 Befragten das Schlafverhalten oder Wohlbefinden in den Tagen nach der Zeitumstellung gestört. Mehr als zuvor: In den Jahren 2016 und 2019 etwa gaben nur 33 beziehungsweise 43 Prozent der Teilnehmer an, deshalb unter Gereiztheit oder Schlafproblemen zu leiden. Besonders betroffen sind danach Frauen und Familien. Mehr als ein Viertel der weiblichen Befragten gaben an, wegen der Zeitumstellung tagsüber müde oder gereizt zu sein. Bei den Männern äußerte dies nur jeder fünfte Umfrageteilnehmer. Wenn Kinder unter zwölf Jahren im Haushalt leben, gehört sogar in etwa jeder dritten Familie nach dem Zeigerdrehen miese Laune zum Alltag. Der Grund: Durch die Zeitumstellung können innere Uhr und Tagesablauf aus dem Gleichgewicht geraten, so die Ärztin Dr. Sonja Hermeneit von der KKH. Studien zeigten zudem, dass in den ersten drei Tagen nach einer Zeitumstellung 15 bis 20 Prozent mehr Krankenhausaufnahmen wegen Herzbeschwerden erfolgen als sonst durchschnittlich im Jahr: „Und es gibt acht bis zwölf Prozent mehr Arztbesuche in dieser Zeit.“

Zeitumstellung: Großes Gähnen garantiert

Doch muss nicht jeder Betroffene gleich einen Mediziner aufsuchen. Die beste Strategie gegen die Übellaunigkeit sei laut den Umfrageteilnehmern Bewegung an der frischen Luft: 45 Prozent aller Befragten kommen auf diese Weise zu positiver Stimmung und einer geruhsamen Nacht. Eltern setzen hingegen vor allem darauf, die Schlafens- und Essenszeiten in den Tagen nach der Zeitumstellung langsam anzupassen (40 Prozent). Die Müdigkeit mit dem Konsum von koffeinhaltigen Getränken zu bekämpfen, ist inzwischen eine weniger verbreitete Methode. Während 2016 noch jeder Vierte nach einer Tasse Kaffee oder einem Energiegetränk griff, ist dies aktuell nur noch für 18 Prozent der Umfrageteilnehmer eine geeignete Möglichkeit, um wach zu bleiben. „Koffein putscht unser System nur kurzzeitig. Besser ist es, die Anpassung an die neue Zeit mit Entspannungstechniken, guter Schlafhygiene und häufigeren Erholungspausen zu beschleunigen – ohne tagsüber zu schlafen. So pendeln sich innere Uhr und Tagesablauf innerhalb weniger Tage wieder aufeinander ein“, sagt Dr. Sonja Hermeneit.

Sommer- und Winterzeiten durch die Zeiten

Das ganze Problem ist tatsächlich noch gar nicht so alt. Denn für Jahrtausende hat kein Mensch auf die Uhr geguckt. Bis weit ins 19. Jahrhundert richteten sich Bauern, Arbeiter und Handwerker nach ganz anderen Zeitanzeigern: Sie beobachteten den Sonnenstand, das Klima oder die Wachstumsperioden der Natur. Die in den Klöstern seit dem Mittelalter verwendeten Sonnen-, Sand- und Wasseruhren kamen erst langsam aufs Land, Kirchtürme mit Zifferblättern traten erst spät auf. Und nicht mal der Staat wusste eigentlich, „was die Uhr geschlagen“ hat: Regionale und sogar lokale Zeiten klafften einigermaßen auseinander. Erst mit der Eisenbahn wurde eine einheitliche Zeitregelung wichtig, um die Fahrpläne abzustimmen. Weltweit machte man sich erst ab 1884 an das Problem, die Welt wurde in Washington in 24 Zeitzonen eingeteilt. Und für das Deutsche Reich unterzeichnete Kaiser Wilhelm II. ein Gesetz, mit dem ab dem 1. April 1893 die „mittlere Sonnenzeit des fünfzehnten Längengrades östlich von Greenwich“ in Kraft trat - heute bekannt als „Mitteleuropäische Zeit“ (MEZ).

Zeitchaos mit Ansage

Man kann die Zeit also manipulieren, stellte man fest. Und machte in Kriegszeiten gleich davon Gebrauch: Um das Tageslicht in Landwirtschaft und Rüstungsindustrie besser nutzen zu können, führte das Kaiserreich 1916 eine Sommerzeit ein. Von Ende März bis Ende September stellte Deutschland dadurch drei Jahre lang die Uhren eine Stunde vor. Auch im Zweiten Weltkrieg setzte man auf erhöhte Produktivität durch diese Maßnahme. Die Folge war ein Zeitchaos bei Kriegsende: Nazi-Deutschland kapitulierte am 8. Mai 1945, die sowjetische Besatzungszone wurde am 24. Mai um eine weitere Stunde auf Moskauer Zeit vorgerückt – für eine Woche führte das zu einem Unterschied von zwei Stunden zwischen den beiden Teilen Deutschlands. 1947 wurde das nicht besser: Auf beiden Seiten gab es gleich einen doppelten Zeitsprung. Begann im April die gewöhnliche Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ), sprang man im Mai um eine weitere Stunde auf die Mitteleuropäische Hochsommerzeit (MEHSZ), zum Juni und Oktober dann wieder je eine Stunde zurück.

Ab 1979 änderte die Ölkrise erneut den Takt. Diesmal sollte durch eine bessere Nutzung des Tageslichts Energie gespart werden. Frankreich und andere europäische Staaten preschten dabei vor und am 6. April 1980 wurde in beiden deutschen Staaten erneut die Sommerzeit eingeführt. Bis 1996 vereinheitlichte man dann die unterschiedlichen Sommerzeitregelungen in der EU und auch Deutschland stellt seitdem die Uhren von Ende März bis Ende Oktober um. Obwohl Wissenschaftler heute längst unterstreichen, dass die Zeitumstellung gar nicht etwa zur Energieeinsparung beiträgt: Zwar werde im Sommer tatsächlich weniger Strom für Licht verbraucht, doch im Frühjahr und Herbst dafür in den Morgenstunden auch mehr geheizt.

Unbeliebtes Verfahren

Aus vielen Gründen steht das Verfahren nun seit Jahren in der Kritik: Die zweimalige Umstellung pro Jahr bringe den Biorhythmus von Menschen und auch von Nutztieren durcheinander – wie bei einem Mini-Jetlag, wie Umfragen in vielen europäischen Ländern seit Jahren zeigen. Die EU reagierte und stellte die Frage zur Debatte: Bei einer Online-Umfrage der EU-Kommission 2018 sprachen sich 84 Prozent der rund 4,6 Millionen Teilnehmer, darunter 3 Millionen Deutsche, für eine Abschaffung der Zeitumstellung aus. Als Konsequenz schlug die Kommission vor, die Zeitumstellung in Europa zu beenden. Die Mitgliedstaaten sollten selbst entscheiden, ob sie dauerhaft die Winter- oder die Sommerzeit haben möchten. Europa könnte also wieder zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Zeitzonen werden, mit neuen Schwierigkeiten für Wirtschaft und grenzüberschreitenden Verkehr. Nach dem Willen des Europaparlaments sollte es in diesem Jahr so weit sein, doch dann kam wohl auch Corona dazwischen.

Jetzt müssen wir wohl damit leben, dass es weiter so ist, wie es ist. Obwohl es sich schon herumgesprochen haben dürfte, dass es unter allen Menschenkindern eh naturgemäß sowohl „Lerchen“ als auch „Eulen“ gibt. Für die ersten kann der Tag eh nicht früh genug anfangen – dafür gehen sie mit den Hühnern ins Bett. Für die anderen kann der Tag dagegen sowieso nicht spät genug aufhören. Nehmen wir das zweimalige Uhrendrehen also vielleicht als das, was es auch ist – als einen kleinen Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Und ob jemand trotz allen Ankündigungen vergessen hat, die Uhr umzustellen: Am nächsten Tag wird es spätestens herauskommen.

Grafik unten: KKH

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