Giesen, Karl

Karl Giesen war Kaplan an St. Anna in Essen-Frohnhausen, als er nach Kriegsbeginn 1939 seinen Einberufungsbefehl zum Kriegsdienst in der Wehrmacht erhielt. Als überzeugter Pazifist ignorierte er den Befehl. Er ließ die Nazi-Behörden wissen, dass er jeglichen Kriegsdienst und sämtliche mit Krieg in Verbindung stehenden Handlungen aus religiösen und ethischen Gründen ablehne.

Auf sein Ablehnungsschreiben hat Kaplan Giesen offensichtlich weder vom Wehrbezirkskommando noch vom Generalvikariat des Erzbistums Köln als der vorgesetzten kirchlichen Behörde eine Antwort bekommen. Er blieb jedenfalls unbehelligt. Gründe dafür sind nicht bekannt. Möglicherweise hat sich das Generalvikariat in Köln für ihn verwendet. Mit dem Auftrag vom 4. März 1941, die Seelsorge in dem am 22. Juni 1939 errichteten Seelsorge-Rektorat St. Paulus mit der Marienkapelle am Düppenberg zu übernehmen, war jedenfalls die Mitteilung verbunden, dass Rektor Giesen vom Militärdienst befreit sei.

Mit seiner Haushälterin Johanna Starmanns bezog Rektor Giesen, der bis dahin in einem Haus in der Legrandallee gewohnt hatte, eine Wohnung im Haus der Eheleute Heimeier in der Gerscheder Straße.

Hier suchte ihn im Laufe des Jahres 1943 (der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt) der Lebensmittelhändler Willy Hohmann auf, der in der Samoastraße in Gerschede einen Feinkostladen führte. Er bat Rektor Giesen, eine Jüdin bei sich aufzunehmen, um sie vor der Einlieferung in ein Konzentrationslager zu bewahren. Rektor Giesen war sofort einverstanden und bot der Frau seine Wohnung als Versteck an. Niemand außer der Haushälterin und der Seelsorgehelferin Maria Schneider wusste von dieser gefährlichen Aktion. Wie lange die Frau dort im Verborgenen gelebt hat, ist nicht bekannt. Der Kontakt, der nach dem Kriege wohl noch lange bestand (die Frau soll laut Maria Schneider Postkarten geschickt haben), ist dann zu einem unbekannten Zeitpunkt abgerissen. Bis heute sind Herkunft, Verbleib und Name der jüdischen Frau nicht bekannt.

1944 stellte sich Rektor Giesen erneut quer. Er weigerte sich, dem Befehl Folge zu leisten, im Zuge der sogenannten Metallspende des deutschen Volkes kirchliche Gegenstände an die Nazi-Behörde herauszugeben, obwohl in der „Verordnung zur Metallspende zwecks Beschaffung kriegswichtiger Rohstoffe“ unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass deren Nichtbeachtung mit dem Tod bestraft würde, weil dies „den großdeutschen Freiheitskampf“ schädige. Im Laufe des Jahres 1943 musste Rektor Giesen auf Druck der Machthaber dem Erzbischöflichen Generalvikariat eine Bestandsanzeige über die im Rektorat St. Paulus befindlichen metallischen Gegenstände vorlegen. Weisungsgemäß stellte er die geforderte Übersicht am 26. Mai 1943 aus. Aufgelistet waren unter anderem Altarleuchter, Altarschellen, Weihrauchbecken, Ewiglichtlampe und Versehlaterne. Ein Jahr nach Erstellung und Versand der Bestandsanzeige erreichte Rektor Giesen unter Bezug auf eine Verfügung des Generalvikariats vom 15. März 1944 die Aufforderung des Kirchenvorstands von St. Dionysius in Essen-Borbeck, die aufgelisteten Gegenstände am 28. Juni 1944 um 17.15 Uhr in der Sakristei von St. Dionysius pünktlich abzuliefern.

Auf das entsprechende Schreiben, das die Unterschrift von Rektor Friedrich Norpoth trug, Rendant und stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstands von St. Dionysius, antwortete Rektor Giesen am 27. Juni 1944 wie folgt:

„Sehr geehrter Herr Rektor! Ihr Schreiben vom 24. Juni betreffs Ablieferung der kirchlichen Metallgegenstände habe ich erhalten und möchte dazu Folgendes mitteilen: Aus meiner christlichen Haltung heraus verweigere ich jeglichen Kriegsdienst und jede aktive Mithilfe zum Kriege. Infolgedessen ist es mir nicht möglich, der in dem Schreiben geäußerten Bitte zu entsprechen. Mein Gewissen verbietet mir, insbesondere Gegenstände, die eigens und nur für den heiligen Dienst am Altare, für die Feier des großen Versöhnungs- und Friedensopfers Christi bestimmt sind, zur Herstellung von Waffen, die Mitmenschen das Leben rauben sollen, auszuliefern. Mit ergebenem Gruß, Karl Giesen, Rektor.“

Nachdem Dechant Johannes Brokamp in einem persönlichen Gespräch vergeblich versucht hatte, Rektor Giesen zum Einlenken zu bewegen, unterbreitete er dem Erzbischöflichen Generalvikariat mit Schreiben vom 18. August 1944 den Vorschlag, den Pfarr-Rektor zu einer Besprechung nach Köln zu bestellen, um ihn dort zur „friedlichen und freiwilligen Herausgabe“ der Gegenstände zu bewegen.

Es ist nicht bekannt, ob das von Dechant Brokamp vorgeschlagene Gespräch tatsächlich stattgefunden hat. Bekannt ist aber, dass das kirchliche Inventar in der Marienkapelle unangetastet geblieben ist. Darüber, welche Umstände dazu geführt haben, dass Rektor Giesens Widerstandshaltung keine persönlichen Konsequenzen nach sich zog, weiß man bis heute nichts.

Bei der kritischen Betrachtung der Vorgänge um die Marienkapelle am Düppenberg fällt auf, dass an keiner Stelle von der immerhin 113 kg schweren Glocke aus dem Turm der Marienkapelle die Rede ist. Sie blieb im Unterschied zu den Bronzeglocken von St. Dionysius und den Glocken des Oblatenklosters in der Borbecker Straße vor dem Einschmelzen bewahrt.

Die Beschlagnahme von Bronzeglocken war bereits 1940 durch die Reichsstelle für Metalle angeordnet worden. Die Kirchengemeinden waren verpflichtet, bis spätestens 5. Mai 1940 einen Meldebogen auszufüllen und an die zuständige Landes- oder Provinzkirchliche Behörde bzw. Diözese zurückzusenden. Den Meldebogen für das Kloster hatte bereits am 26. April 1940 P. Anton Michel ausgefüllt, der dort von 1940-1942 als Ökonom tätig war. Seinen Angaben zufolge verfügte das Kloster über vier Glocken. Erst zwei Jahre später wurden die Glocken (324 k, 223 kg und 127 kg schwer) mit Ausnahme der kleinsten und leichtesten Glocke laut Empfangsbescheinigung der örtlichen Kreishandwerkerschaft vom 17. April 1942 tatsächlich abgeliefert.

Möglicherweise ist der Vorgang, der die Glocke der Kapelle am Düppenberg betraf, im Pfarramt von St. Dionysius übersehen worden. Es kann auch sein, dass ihn Rektor Peter Viethen, der Vorgänger von Rektor Giesen, den Meldebogen 1940 schlichtweg vergessen oder bewusst unbearbeitet in einer Schublade liegengelassen hat.

Pfarrer Karl Giesen ist 1990 gestorben. Dass er nicht nur in charakterlicher Hinsicht, sondern auch äußerlich eine aufrechte Persönlichkeit mit Rückgrat gewesen ist, berichtet Bernhard Prochaska in den Erinnerungen an seine Schulzeit in der Möllhovenschule. Demzufolge nannten die Schüler ihren Religionslehrer Karl Giesen „Fieseler Storch“. Er erinnerte sie, wenn er in steifer und aufrechter Haltung auf seinem Fahrrad mit Gesundheitslenker durch die Straßen Borbecks fuhr, an den „Fieseler Storch“, ein 1937 entwickeltes und nicht besonders aerodynamisches, langsames Flugzeug. (FJG)

Quelle: Berthold Prohaska: Pfarrer Karl Giesen aus der Gemeinde St. Paulus versteckte 1943 eine Jüdin. In: Borbecker Beiträge 1/2008, S. 13-15. – Berthold Prohaska.: Karl Giesen, Priester an der Marienkapelle am Düppenberg, weigerte sich kirchliche Gegenstände zum Einschmelzen an die Nationalsozialisten herauszugeben. In: Borbecker Beiträge 2/2014, S. 62-64. – Angaben zu Karl Giesen, übermittelt von Severin-Erwin Gawlitta vom Archiv des Bistums Essen. Die Personalakte steht erst 2030 zur Verfügung. – Bertold Prochaska: Vor 50 Jahren wurde ich aus der Möllhovenschule entlassen. In: Borbecker Beiträge 1/2011, S. 29-35, hier S. 31.

 

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