Ganser, Karl

Er gilt als „Vater des neuen Ruhrgebiets”: Professor Karl Ganser starb am 21. April 2022 mit 84 Jahren im Pfarrdorf Nattenhausen, einem Ortsteil von Breitenthal bei Ulm im Landkreis Günzburg. Der Bauernsohn aus dem bayerischen Schwaben wurde am 15. September 1937, in Mindelheim, einer Kreisstadt im schwäbischen Landkreis Unterallgäu, als Sohn eines Bauern geboren. Er studierte Chemie, Biologie und Geografie an der TU München, wurde Dozent am dortigen Geografischen Institut und wechselte 1967 als Projektleiter zum Stadtentwicklungsreferat der Stadt München.

Bild oben: Emscher Landschaftspark (östlicher Teil) sowie Projekte "Arbeiten im Park" und "Wohnen im Park" (Entwurf: H.-W. Wehling, Quellen: Ganser 1999, Dettmer/Ganser 1999), LWL

Nach der Habilitation 1970 übernahm er 1971 die Leitung des Instituts für Landeskunde in Bonn. Schon damals (1977) formulierte er in der Broschüre „Probleme der Energieversorgung“ zukunftsweisende energiepolitische Thesen. Unter anderem forderte er zum Zwecke des Energiesparens die Abwendung von der Atomkraft, die nach seiner Auffassung den Ausbau erneuerbarer Energien behindere. Von 1980 bis 1989 war er Abteilungsleiter Städtebau im Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung des Landes NRW unter der Führung von Christoph Zöpel.

Nach einem Besuch der „Internationalen Bauaustellung 1987“ in Berlin schlug Karl Ganser seinem Minister eine „Internationale Bauausstellung“ als Strukturförderprogramm für das nördliche Ruhrgebiet vor. Als Geschäftsführer stand er von 1989 bis 1999 an der Spitze der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA), die als „Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete“ (so der Untertitel) gedacht war. Ihm war wichtig, die Geschichtlichkeit der Flächen in ihrer räumlichen und städtebaulichen Funktion für die Identitätsbildung der Region zu bewahren.

1999 ging Karl Ganser in den Ruhestand. Als Gastredner der Borbecker Maienmahlzeit des Jahres 1999 zog Karl Ganser eine kritische Bilanz zu zehn Jahren IBA Emscherpark. In seiner Rede machte er noch einmal die Leitbegriffe seines Denkens und Handelns deutlich: Innovation, Partizipation, Lebensqualität. Sein Credo, so Ganser, sei stets gewesen: Innovatives und gemeinsames Handeln in neuen Strukturen. Ihm sei es immer darum gegangen, eine nachhaltige Balance zwischen Mensch und Natur herzustellen.

Als „Architekt des neuen Ruhrgebiets“ gelang ihm die Transformation alter Industrie-Areale und die Renaturierung der Landschaft in der durch den Rückbau der Montanindustrie besonders stark betroffenen Emscherregion. Im Mittelpunkt seines Wirkens stand das „magische Dreieck“ aus Nachhaltigkeit, Respekt vor der Geschichte und regionaler Identität. Ganser propagierte den „Wandel ohne Wachstum“ als Kreislaufwirtschaft in Flächen- und Energieverbrauch, im Bauen und in der Wasserwirtschaft. Unter seiner Ägide entstanden in der Emscherregion unterschiedliche Landschaftsparks. Am dem Transformationsprozess waren 20 Städte und regionale Institutionen und insgesamt 119 Initiativen beteiligt.

Vom Bundesverkehrsministerium wurde Ganser für seine Verdienste mit dem Nationalen Preis für integrierte Stadtentwicklung und Baukultur ausgezeichnet. Ihm war es unter anderen gelungen, den Abriss der Zeche Zollverein, des Gasometers in Oberhausen und des Hüttenwerks Duisburg-Meiderich zu verhindern, heute bekannt als Landschaftspark Duisburg-Nord.  

Auszeichnungen: 1995 „Bürger des Ruhrgebiets“, 1997 Ehrenmitgliedschaft im Bund Deutscher Architekten; 1999 Ehrendoktorwürde der Ruhr-Universität Bochum; 2003 Staatspreis des Landes NRW als „Architekt des Ruhrgebiets“; 2006 Preis der Obayashi Foundation Tokyo für zukunftsfähige Stadtentwicklung; 2007 Bayerischer Naturschutzpreis 2010 Ehrenpreis der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten; 2015 Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz; 2018 Ehrenplakette der Stadt Essen.

Die letzten Jahre seines Ruhestands verbrachte er als Publizist, Gutachter und Mediator, u.a. im Streit um die Waldschlösschen-Elbbrücke in Dresden und beim Selbstfindungsprozess der Stadt Krumbach, in der umgebauten Dorfschmiede seines Großvaters in Nattenhausen. Dort ist Karl Ganser am 21. April 2022 gestorben.

In den Nachrufen werden vor allem die Weitsicht und Kreativität von Karl Ganser gewürdigt. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen sieht in ihm einen Visionär, „der die industrielle Vergangenheit der Region nicht als Last, sondern als Zukunft“ verstanden hat. Für Bettina Jäger ist er ein „Held des Ruhrgebiets“. Für die Landeregierung NRW würdigte Ministerpräsident Henrik Wüst Karl Ganser als jemanden, „der den Strukturwandel im Ruhrgebiet gesteuert und ihm ein menschliches Antlitz verliehen hat.“

In der Todesanzeige langjähriger Weggefährten in der Süddeutschen Zeitung sind die wesentlichen Verdienste von Karl Ganser dokumentiert: „Wir verlieren einen Menschen, der bewegt hat: das Denken über die lebenswerte Stadt in dieser Welt und über die Zukunft der Metropole Ruhr im Besonderen. Er hat es verdanken, die Werte der humanen, sozialen und nachhaltigen Stadtentwicklung mit praktischer Vernunft zu verbinden. Mit seinem Wirken hat er das Erscheinungsbild der Städte in ganz Deutschland und vor allem in der Metropole Ruhr verändert. Karl Ganser konnte auch Menschen bewegen. Durch Überzeugungskraft und vorbildhaftes Handeln hat er ihm dauerhaft verbundene Mitstreiter gewonnen: für die erhaltende Stadterneuerung, für die Abkehr von der autogerechten Stadt, für den Denkmalschutz, für die Industriekultur und für die Renaturierung der Emscher. Wir langjährigen Weggefährten von Karl Ganser nehmen in tiefer Trauer Abschied von einem großen Freund.“ Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Ulrich Borsdorf, Franz-Josef Brüggemeier, Ulrich Paetzel und Christoph Zöpel. Die Familie – seine Ehefrau Ruth, die Kinder Anja und Michaelnahm und seine Schwestern Marlene und Gerlinde nahmen in ihrer Todesanzeige mit den Worten Abschied: „Karls unermüdlicher Kampf für die Schönheiten dieser Welt in Flora, Fauna, Mensch und Architektur hat nun sein Ende gefunden.“ (Augsburger Allgemeine vom 26.04.22).

Über sich selbst sagte Karl Ganser in einem Gespräch im Januar 2016: „Ich bin immer ein Mensch gewesen, der quer gewandert ist.“ (Schriftenreihe für Architektur und Kulturtheorie, Bd. 3, 2016). Gegen verkrustetes Denken und bürokratische Strukturen setzte er, gern auch in der Rolle des Provokateurs, Innovation und Leidenschaft ein. Bei Präsentationen griff der allem modernen Gehabe abholde Karl Ganser zum Zeigestock statt zum Laserpointer. (Nachruf von Martin Kluger in der Augsburger Zeitung vom 04.05.22).

Nachrufe und Traueranzeigen: Ruhr Nachrichten vom 27.04.22 (Bettina Jäger); Augsburger Allgemeine vom 28.04.22 (Hans Bosch); NRZ vom 28.04.22 (Jens Dirksen), Lokalkompass Oberhausen vom 28.04.22 (Karin Dubbert); Homepage der Architektenkammer NRW, abgerufen an 01.05.22 (Anna Kloke), Homepage der Stadt Essen, abgerufen am 01.05.22 (Oberbürgermeister Thomas Kufen); Todesanzeige der Weggefährten in Süddeutsche Zeitung vom 30.04./01.05.22.

Im Bestand „Ganser“ im Baukunstarchiv NRW werden die zahlreichen Publikation Gansers gesammelt. Damit ergibt sich die Möglichkeit, „den aktuellen Forschungsstand zur jüngeren Geschichte der Architektur und des Städtebaus des Ruhrgebiets um die Perspektiven, die die wissenschaftliche Erschließung des persönlichen Nachlasses Karls Gansers eröffnen, zu erweitern.“ (Anna Kloke auf der Homepage der Architektenkammer NRW – abgerufen am 10.05.22.)

FJG

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