Weidenröschen bringt Farbe in die Stadt

Nachtkerzengewächs ist typische Pionierpflanze auf Brachen

0 12.08.2022

Hermann Löns (1866 bis 1914) war Journalist und Schriftsteller mit besonderem Blick für die Natur. Wenige Zeilen brauchte er, um vieles zu sagen über das Schmalblättrige Weidenröschen (und die Liebe).

In nur vier Zeilen beschreibt er eine Pflanze, die große Bestände bildet, rot blüht und sogar auf nacktem Stein gedeihen kann oder auf Lichtungen im Wald und zwar im Hochsommer. Er schreibt:

„Die Weidenröschen bedecken

Die Blöße mit Purpurpracht;
Durch rote Tannenstämme
Die goldene Sonne lacht.“

Löns sah das Weidenröschen in der Lüneburger Heide blühen, im Großraum Borbeck sieht man es auf dem Sammelbahnhof Frintrop, am Kanal, auf Brachen, in Hinterhöfen: beinahe überall.

Der so genannte „Rohbodenpionier“ bevorzugt Kahlschläge, Ufer, Böschungen, Fels- und Blockschutt, Trümmergrundstücke. Die lichtliebende Pflanze meidet Kalk und gedeiht auch auf frischen, nährstoffreichen Lehmböden. Insbesondere nach Rodungen oder Waldbränden kann sie sich auf der entstandenen Lichtung sehr schnell ausbreiten. Von dieser Eigenschaft leitet sich der englische Name „Fireweed“ ab, welcher in Alaska und Kanada gebräuchlich ist.

In Deutschland nannte man das Weidenröschen auch Trümmerpflanze, weil es nach dem Krieg auf städtischen Schutt- und Trümmerflächen schnell Fuß fasste. Bis dahin war das Schmalblättrige Weidenröschen in der Stadt nahezu unbekannt.

Das Schmalblättrige Weidenröschen (Epilobium angustifolium) gehört zur Familie der Nachtkerzengewächse. Man nennt es auch Stauden-Feuerkraut, Wald-Weidenröschen oder Waldschlag-Weidenröschen.

Bis zu 150 Zentimeter hoch wächst die mehrjährige krautige Pflanze. Ihr Stängel ist schwach behaart, unverzweigt und steht aufrecht. Die Form der Laubblätter erinnert an die Blätter einer Weide und ist – wie das Rosenrot der Blüten – namensgebend. Die Blätter sind wechselständig angeordnet, d.h. die Blätter sind so versetzt angeordnet, dass allen Blättern eine große Lichtausbeute garantiert ist. Die Blätter haben kurze Stiele, sie werden 5 bis 20 Zentimeter lang und bis zweieinhalb Zentimeter breit. Auf ihrer Unterseite sind die Blätter deutlich geädert. Der Blattrand ist nach unten gebogen.

Zwischen Juni und August bringt das Weidenröschen Farbe in die Landschaft. Seine rosa, roten oder purpurfarbenen Blüten werden zwei bis drei Zentimeter breit. Sie sind zahlreich in einer „Kerze“ (botanisch: endständige Traube) angeordnet. Eine Blüte hat vier Kronblätter und vier etwas dunkler gefärbte Kelchblätter, die allerdings länglicher Form sind.

Das Schmalblättrige Weidenröschen hat ein sehr erfolgreiches Konzept zur Ausbreitung: Es bildet sogenannte „vormännliche“ Blüten aus und verhindert so die Selbstbestäubung. Doch der Reihe nach: Zuerst strecken die Blüten den Bienen, Hummeln, Wespen die Staubblätter entgegen. Den Insekten wird bei der Landung Pollen an den Leib geschmiert. Gleichzeitig hängt der Griffel noch mit geschlossenen Narben nach unten und eine Bestäubung dieser Blüte ist nicht möglich.

Schon nach dem ersten Blütentag welken die Staubblätter. Statt ihrer richtet sich nun der Griffel auf, spreizt seine Narbe und lässt sich von Insekten bestäuben, die Pollen von anderen Blüten mitbringen. Für die „anderen“ Blüten muss die Biene nicht weit fliegen. Sie findet sie an der gleichen Blütentraube, die nämlich von unten nach oben aufblüht. Während an der Spitze eines Blütenstandes noch geschlossene Blütenknospen vorhanden sind, werden unten aus den länglichen Fruchtkapseln schon winzige Samen mit langen Haarschirmchen dem Wind überlassen. Hunderttausende von diesen Schirmchen können pro Pflanze über mehrere Kilometer weit verbreitet werden.

Außerdem vermehrt sich die Pflanze auch vegetativ, durch Wurzelsprosse und durch Verzweigungen des Rhizoms. Die Wurzelsprosse geben dem Boden Halt und schützen so vor Erosion.

Das Schmalblättrige Weidenröschen ist weit verbreitet. Die Vorkommen reichen bis nach Skandinavien. In den Alpen ist das Schmalblättrige Weidenröschen von den Tälern bis zu einer Höhe von 2500 m anzutreffen. Auf Lichtungen wird das lichtliebende Weidenröschen im Laufe der Zeit durch neu aufgeforstete oder natürlich nachwachsende Bäume und Sträucher beschatten und wieder verdrängt.

Das komplette Gedicht, soll nicht vorenthalten werden. Hier also der liebende Löns:

Unsere Liebe

„Die Weidenröschen bedecken
Die Blöße mit Purpurpracht;
Durch rote Tannenstämme
Die goldene Sonne lacht.“

Der Wind treibt goldene Wellen
Über den blauen See;
Ein großer, goldener Vogel
Schwebt langsam auf zur Höh'.

Wir folgen ihm mit den Augen
Und sehen uns lächelnd an:
So hoch wie unsere Liebe
Er niemals fliegen kann.

Hermann Löns

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