Vor 100 Jahren: Unwetter ließ den Mühlenbach ansteigen - Jugend angelte nach Bällen

0 12.07.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Hagel zerschlägt Gemüse, Mühlenbach wird zum reißenden Strom

Essener Volkszeitung (EVZ), Dienstag, 17. Juli 1923. Bei dem am Sonntagmittag in der Borbecker Gemarkung niedergegangenen heftigen Gewitterregen, der mit Hagelkörnern von etwa Haselnussgröße vermischt war, wurde in Flur und Gärten an den Bodenkulturen vielfacher Schaden angerichtet. So wurden stellenweise die Gemüse, die sich im Entwicklungsstadium befinden, wie Kappus, Bohnen, Erbsen u. a. vom Hagel zerschlagen. Reiserbsen, die in diesem Jahr besonders gut gediehen und reichlichen Behang aufwiesen, wurden vom Hagelsturm zerzaust und sogar entwurzelt.

In Bergeborbeck schlug der Blitz in die alte Bergmühle. Ein sogenannter kalter Schlag spaltete einen alten Baum, der dann mit wuchtigem Schlage den alten Mühlenbau teilweise zertrümmerte. In der Nähe wohnende Familien kamen mit dem Schrecken davon.

Infolge des starken Gewitterregens schwoll der Borbecker Mühlenbach bald zu einem reißenden Gewässer an und führte allerlei Gerätschaften und sonstige Sachen mit sich fort. Praktische Leute unterzogen sich der Mühe, die schwimmenden Gegenstände aus dem Wasser zu holen. So waren Gummibälle, die in größerer Anzahl daher schwammen (vermutlich von den Dachrinnen der Wohnhäuser weggespült), für die Jugend ein willkommenes Angelobjekt. Mit Jauchelöffeln und langen Stangen wurde manches dem Wildbache wieder entrissen.

In der Vogelheimer Markung soll der Gewitterregen ebenfalls diese Begleiterscheinung gehabt und größeren Schaden angerichtet haben.

Das Ende der Telefonistinnen

Das größte automatische Fernsprechamt ist jetzt in Leipzig eröffnet worden. Die Anschlüsse betragen zur Zeit etwa 30000, können aber ohne bauliche Erweiterung auf 100 000 gesteigert werden, so dass das Leipziger Amt das bereits in Betrieb befindliche Amt München noch übertrifft. Die Ämter sind nach dem System Siemens und Halske gebaut worden, das bisher in über einer Million Anschlüssen Verwendung findet.

Schwere Zuchthausstrafen für Einbrecher

Im letzten Herbst und Winter wurden monatelang in Lebensmittelgeschäften. Konsumanstalten und Privathäusern in der Stadt und in den Vororten Einbruchdiebstähle verübt, bei denen jeweils Waren aller Art in großer Menge und von bedeutendem Werte gestohlen wurden.

So erbrachen die Diebe beispielsweise in der Nacht zum 19. Oktober das Geschäftsgebäude des Konsumvereins Selbsthilfe in Frintrop und stahlen Lebens- und Genussmittel aller Art. In der Nacht zum 4. November wurde das Gebäude des Konsumvereins Wohlfahrt in Borbeck heimgesucht, die Diebe zertrümmerten die Fensterläden und stiegen in die Lagerräume ein. Ein ähnlicher nächtlicher Einbruch wurde in dem Geschäft des Kaufmanns Wilhelm Meyer in Borbeck verübt. In diesem Falle bestand die Beute in einem großen Posten Seife. In der Nacht zum 2. Dezember erbrachen die Diebe in die Filiale der Milchhändlergenossenschaft für Groß-Essen und stahlen 12 Kisten Seife. Auch die Drogerie Peters in Borbeck wurde eines Nachts von den Einbrechern heimgesucht, die Anzüge, Spazierstöcke, einen Rohrplattenkoffer, Damenmäntel, Bettwäsche und andere Gegenstände erbeuteten. Von jeder Diebesfahrt wurde Diebesgut im damaligen Werte von mehreren einhunderttausend Mark eingebracht.

Die polizeilichen Ermittlungen führten schließlich in die Wohnung des Bergmanns Johann Keimling in Essen. Eine dort vorgenommene Haussuchung förderte eine Menge Diebesgut zutage. Weiter wurde festgestellt, dass Johann Keimling und sein Bruder Herrmann ein ganzes Lager gestohlener Sachen unterhielten. Der Haupttäter bei all diesen Einbruchsdiebstählen war Johann Keimling, ein wegen Eigentumsfrevels häufig und schwer vorbestrafter Mensch. Im Zusammenhang mit den angestellten Ermittlungen wurde noch festgestellt, dass der Bergmann Heinrich Blömicke den Einbrechern Räume zur vorübergehenden Unterbringung der gestohlenen Sachen zur Verfügung gestellt hatte.

Die Beteiligten hatten sich jetzt vor der Essener Strafkammer zu verantworten. Der Bergmann Herrmann Keimling ist ebenfalls wegen Diebstahls vorbestraft. Während seinem Bruder 5 schwere Einbruchdiebstähle nachgewiesen werden konnten, wurde Hermann Keimling in der Hauptsache nur der Hehlerei überführt. Nur in einem Falle gelang es, seine Beteiligung an den Einbruchsdiebstählen einwandfrei nachzuweisen.

Die Strafkammer verurteilte Johann Keimling zu 4 Jahren Zuchthaus, Hermann Keimling zu 2 Jahren 6 Monaten Zuchthaus und beide auch zu 5 Jahren Ehrverlust. Blömicke erhielt wegen Hehlerei anstelle einer Gefängnisstrafe von 3 Monaten eine Geldstrafe von 5 Millionen Mark.

Mittwoch, 18. Juli 1923. Dollarkurs 217 455,- Mark

Der Bahnhof Vogelheim, nördlich von Essen, wurde am 16. des Monats von den Einbruchstruppen für den Lebensmittelverkehr freigegeben.

Einbrecher erschießen Vater von sieben Kindern

Bottrop, 17. Juli 1923. Von einem Einbrecher erschossen wurde in der vergangenen Nacht der Kriminalbetriebsassistent Heinrich Roß von hier. Er hatte in der Agathaschule, in deren Keller sich die Quäkerspeisung befindet, mehrere Einbrecher gestellt, als sie die aus dem Keller gestohlenen Sachen mit einem Handwagen abtransportieren wollten. Einer der Einbrecher gab einen Schuss ab, der den pflichtgetreuen Beamten in den Bauch traf und seinen alsbaldigen Tod zufolge hatte. Der Getötete hinterlässt Frau und 7 Kinder. Der vermutliche Täter, der berüchtigte Einbrecher Jäckel von hier, ist entkommen, indem er die ihn in seiner Wohnung umstellenden waffenlosen Beamten mit einer Armeepistole in Schach hielt.

EVZ, Donnerstag, 19. Juli 1923. Verhaftungen, Verurteilungen und Ausweisungen.

Herr Polizeirat Exner vom hiesigen Polizeipräsidium wurde gestern Vormittag von der französischen Besatzungsbehörde festgenommen und nach Werden abgeführt. Dem Polizeipräsidium sind Gründe für die Festnahme nicht angegeben worden.

Am 17. Juli sind sämtliche Eisenbahner in Steele-West von den Franzosen abtransportiert und ausgewiesen worden. Die Familien müssen in 4 Tagen folgen.

Schwere Strafen wegen Wucher

Das Marktgericht gegen den Wucher verhängte am Samstag auf dem Markt in Frohnhausen schwere Strafen. Zunächst wurden Strafen in Höhe von 30000 Mark wegen Fehlens von Preisschildern ausgesprochen. Bei den Eierpreisen wurde festgestellt, dass einzelne Händler bis zu 3000 Mark auf das Ei aufgeschlagen hatten. Eier, die zu 2600 Mark eingekauft waren, wurden mit 4500 Mark verkauft. Hier setzte das Wuchergericht in 3 Fällen Geldstrafen von insgesamt 8 Millionen Mark fest. Die Ware wurde außerdem beschlagnahmt und zu angemessenen Preisen verkauft. Die Einnahmen hierfür einschließlich der Überpreise beliefen sich auf mehrere Millionen Mark, die dem Staate verfielen.

Außerdem wurden in 4 Fällen insgesamt 2 Monate Gefängnis beim Gericht verhängt, unter anderem erhielten die Händlerin Berta Kowolski, Essen, Hansastraße 85, eine Geldstrafe von 2 Millionen Mark und eine Woche Gefängnis wegen Wuchers mit Eiern, ferner Frau Anton Kidrowski, Essen, Altenbergstraße 8, eine Geldstrafe von einer Million Mark.

Durch das Einschreiten des Wuchergerichts dürften die Fantasiepreise wohl eingeschränkt werden.

Ein schlechtes Jahr für Insektensammler

Es ist ein merkwürdiges Jahr, dieses Jahr 1923. Im Mai gab es alles mehr als Maikäfer, im Juni blieben die Junikäfer aus und um Johannis streikten die leuchtenden Johanniskäfer. Am häuslichen Herd in der Stadt ist noch jetzt die gewöhnliche Fliege eine seltene Erscheinung. Und selbst jetzt, da es doch wieder heiße Tage gibt, kann man weit hinauskommen, ohne einen Schmetterling zu sehen.

Das abnorme Wetter hat es unter anderem auch mitgebracht, dass die Schmetterlinge nahezu gänzlich ausgeblieben sind. Auch Raupennester sind nicht zu entdecken. Die Brennnesseln, die vielen Raupen zur Nahrung dienen, stehen unversehrt. Entweder sind die Schmetterlinge zu keiner Eiablage gekommen oder die jungen Räupchen haben das nasskalte Wetter nicht ausgehalten.

Ihren 80. Geburtstag feierten am 12. Juli Frau Witwe Anna Mühlberg, Germaniastraße 14, am 12. Juli Frau Witwe Charlotte Schell im Hesselbruch.

Bildzeile zur Postkarte Kruppschen Fabrik: Die Kruppsche Fabrik auf einer zeitgenössischen Ansichtskarte, die ein Besatzungssoldat in die Heimat schickte.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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