Vor 100 Jahren: Sechs Menschen beim Baden in der Ruhr ertrunken

0 06.07.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Massenverhandlungen vor dem Werdener Militärpolizeigericht

Essener Volkszeitung (EVZ), Sonntag, 8. Juli 1923. Nicht weniger als 36 Verhandlungen, die den ganzen Tag in Anspruch nahmen, standen gestern vor dem Polizeigericht in Werden an. In den meisten Fällen handelte es sich um Besitzer und Führer von Automobilen oder Motorfahrzeugrädern, die ohne französischen Passierschein getroffen waren. Die Fahrzeuge wurden beschlagnahmt, die Führer zum größten Teil in Haft genommen. Das Strafmaß lag zwischen 5 Millionen und 1 Million für Eigentümer und Führer.

Lokomotive beschlagnahmt

EVZ, Dienstag, 10. Juli 1923. Am 7. Juli vormittags gegen 11 Uhr wurde auf dem Bahnhof Karnap von belgischen Truppen die Lokomotive eines eingefahrenen Personenzuges beschlagnahmt.

Sechs Menschen beim Baden in der Ruhr ertrunken

EVZ, 10. Juli 1923. Der erste heiße Julisonntag lockte die Menschen in ungezählten Scharen an die Ufer der Ruhr, alles wollte in dem kühlen Wasser Erquickung suchen. Schon am frühen Morgen pilgerten ungezählte zum Strandbad an der Annenfähre und die Ufer boten in den Mittagsstunden ein gar malerisches Bild. Überall hatte man sich unter selbst gebauten primitiven Zelten niedergelassen, ganze Familien hockten in trauter Harmonie unter den Wolldecken, das Mittagessen hatte man gleich mitgebracht, und wenn man auch an einen kühlen Trunk gedacht hatte, so brauchte man nichts auszustehen. Zwischen das fröhliche Lachen und Scherzen klangen aufmunternde Mundharmonikaweisen, bis kurz nach 1 Uhr die ungetrübte Freude je gestört wurde. Die Ruhr hatte ihr erstes Opfer gefordert! Kurz nach 1 Uhr ertrank unterhalb des allgemeinen Badeplatzes in der offenen Ruhr ein junger Mann, und kurz hinterher ein zweiter ganz nahebei. Der erste wurde bald geborgen, doch blieben die mit Sorgfalt und Ausdauer angestellten Wiederbelebungsversuche erfolglos. Das zweite Opfer, ein verheirateter Mann, der 3 kleine Kinder hinterlässt, war nicht aufzufinden. Im Laufe des Nachmittags sollen dann noch 4 Personen ertrunken sein. Der letzte Sonntag ist für die Stadt Essen als ein schwarzer Badesonntag zu verzeichnen.

Bürger als Geiseln in Zügen

Gladbeck, 9. Juli. Laut Verfügung der Ortskommandatur müssen sich 48 hiesige Bürger als Geiseln stellen, die auf den Zügen von Gladbeck nach Oberhausen als Sicherung gegen Attentate mitgeführt werden.

EVZ, Mittwoch, 11. Juli 1923. Dollarkurs 186 033,- Mark.

Straßensperren in Altendorf

EVZ,1. Juli 1923. Auf Befehl des Generals Jacquemot vom 6. Juli 1923 und wegen des Angriffs, der in Essen am 2. Juli 1923 auf zwei französische Eisenbahner verübt wurde, werden folgende Maßnahmen ergriffen: Von Mittwoch, 11. Juli (abends) bis Donnerstag, 18. Juli (morgens) wird das Café Teigelkamp, welches in Essen, Haskenstraße 1 gelegen ist, für eine Zeit von 8 Tagen geschlossen. Innerhalb des Bezirks, der von folgenden Straßen begrenzt wird: Rüselstraße, Grieperstraße, Heintzmannstraße, Siemensstraße, Körnerstraße, Helenenstraße, wird jeder Verkehr zwischen 8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens untersagt.

Franzosen bedienen sich

EVZ, 12. Juli 1923. In Frintrop begannen die Franzosen mit dem Abtransport der Hüttenprodukte der Gute-Hoffnungshütte. In Steele wurden am 8. 7. die von der Ruhrbrücke Steele-Überruhr abmontierten Schienen von den Franzosen verladen und abgefahren.

Zigarrenverkauf verboten

EVZ, 12. Juli 1923. Durch Verfügung des Reichsfinanzministers ist der Einzelverkauf von Zigarren mit dem Steuerzeichen "Ueber 300 Pfg." und von Zigaretten mit dem Steuerzeichen "Ueber 50 Pfg," mit Wirkung vom 1. August 1923 verboten. Zuwiderhandlungen werden bestraft.

Bittere Klagen über die Beschaffenheit der Säuglingsmilch

EVZ, 12. Juli 1923. Bittere Klagen über die Beschaffenheit der Säuglingsmilch gehen uns von verschiedenen Seiten zu. U. a. erhalten wir folgende Zuschrift: Die Essener Säuglinge werden gegenwärtig bei der Milchversorgung offenbar betrogen. Die Milch kostet seit gestern 5500 Mark und soll laut amtlicher Bekanntmachung Vollmilch sein. Infolge des langen Transportes und der enormen Hitze kommt sie angesäuert in den Besitz der Bezieher und kann nur noch als Dickmilch Verwendung finden. Nun kommt das Wunderbare. Die Vollmilch zeigt beim Dickwerden auch nicht ein Atom Sahne. Dass diese Sahnelosigkeit die Folge der vorhergehenden Behandlung ist, ist klar. Es wäre interessant festzustellen, wo die Sahne der Essener Milch bleibt. Ein Betrug der Verkaufsstellen ist ausgeschlossen. In einem anderen Falle wurden zwei Liter Vollmilch zum Dickwerden hingesetzt. Am nächsten Tage ergab sich, dass die Milch geronnen war, und es befanden sich in der Kanne ein dreiviertel Liter Wasser, das Übrige war Weichkäse.

Schon wieder Porto-Erhöhung

EVZ, 13. Juli 1923. Ab 1. August werden die Postgebühren im Allgemeinen um das Dreieinhalbfache erhöht. Postkarten kosten im Ortsverkehr 200 Mark, im Fernverkehr 400 Mark, Briefe bis zu 20 Gramm im Ortsverkehr 400 Mark, über 20 Gramm bis 100 Gramm 600 Mark und so weiter. Briefe bis zu 20 Gramm im Fernverkehr 1000 Mark, über 20 Gramm bis 100 Gramm 1200 Mark. Der Reichstagsausschuss für Post- und Telegraphenwesen erteilte in einer Entschließung dem Reichsministerium die Vollmacht, ab 1. September eine Verdoppelung sämtlicher Sätze vorzunehmen.

Mord erschüttert Schonnebeck

EVZ, 15. Juli 1923. Die Bevölkerung der Gemeinde Schonnebeck bei Katernberg ist am Freitag durch die Kunde von einem schweren Mordverbrechen in Aufregung versetzt worden. In der Nacht auf Freitag ist der Bergmann Jarczewski aus Schonnebeck, als er sich in Begleitung seiner Ehefrau auf einem Spaziergange befand, an einer einsamen Stelle ermordet worden. Als Täter sind der Arbeiter Sylvester Dradczynski aus Schonnebeck und die Ehefrau des Ermordeten verhaftet worden.

Es besteht die Vermutung, dass die Ausführung des Mordplanes zwischen dem Täter und der Ehefrau Jarczewski vereinbart worden ist und dass die Ehefrau ihren nichts ahnenden Mann der Verabredung gemäß an den Tatort gelockt hat.

Im Übrigen räumte im Laufe der Vernehmung auch der Kostgänger Dradczynski die Tat ein. Er bestreitet nur die Absicht gehabt zu haben, den Ehemann Jaszewski zu ermorden, er will lediglich die Absicht gehabt haben, ihn körperlich zu misshandeln.

Der ermordete Jarczewski ist ein Mann von 33 Jahren, der 2 kleine Kinder hat. Er ist das Opfer seiner Vertrauensseligkeit geworden, denn er scheint von dem Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und dem Kostgänger nichts gewusst zu haben. Der Kostgänger pflegte ihn reichlich mit Schnaps zu bewirten und ihn betrunken zu machen, während er dann mit der Ehefrau des betrunkenen Mannes seine eigenen Wege ging.

Sonderzucker im Landkreis Essen

EVZ, 15. Juli 1923. Nachdem die Stadt Essen vor kurzer Zeit Sonderzucker für hoffende Frauen und Kleinkinder zum Preise von 950 Mark je Pfund verteilt hat, geben nunmehr auch die Gemeinden des Landkreises Essen Zucker für den genannten Zweck zum gleichen Preise aus. Die näheren Einzelheiten über die Ausgabe werden durch die betreffenden Bürgermeistereien bekanntgegeben.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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