Vor 100 Jahren: Plünderungen allerorten sind an der Tagesordnung

0 22.11.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Kommunisten und Polizei liefern sich Schießerei

Essener Allgemeine Zeitung (EAZ), Freitag, 23. November 1923. Die Kommunisten hatten für Donnerstag einen Hauptschlag in Essen beabsichtigt. Wie nachträglich gemeldet wird, sollte sich der Aufruhr, wenn er erfolgreich gewesen wäre, nach Mülheim usw. fortsetzen. Schon in den ersten Nachmittagsstunden durchzogen einzelne Trupps die Straßen. Sie konnten von der Schutzmannschaft zurückgedrängt und aufgelöst werden. Von der Leitung scheint darauf die Versammlungsparole geändert worden zu sein, denn die einzelnen Züge verloren sich in die benachbarten Ortschaften, wo es gleichfalls sehr aufgeregt herging.

Am schlimmsten hausten die Aufrührer wieder in Rotthausen, wo die Polizeiwache von einer sehr zahlreichen, teilweise bewaffneten Menge eingeschlossen und überfallen wurde. Hierbei verlor die Schutzmannschaft ein erstes Opfer. Polizeiassistent Hemme wurde durch einen Schuss niedergestreckt. Auch ein siebzehnjähriges Mädchen, das mit Kinderpflege beschäftigt war, erhielt einen Kopfschuss, dem sie erlegen ist.

In Essen bildete sich nachmittags gegen 5 Uhr eine wahre Flut des Aufruhrs, wie gewöhnlich war auch hier wieder die Gegend am Viehofer Platz der Herd. Auf dem Gerlingsplatz entstanden starke Ansammlungen, bei denen kommunistische Redner für ihr Rätedeutschland warben. Als die Schutzleute zum Auseinandergehen aufforderten, wurde einer der Beamten tätlich angegriffen. Seine Kameraden, die ihn befreien wollten, erhielten Feuer aus der Mitte der Kommunisten, das erwidert wurde.

Es entstand eine heftige Schießerei, bei der der Hilfspolizeibeamte Westhusen fiel. Der Platz wurde dann unter Zuhilfenahme der Schusswaffen geräumt. Französische Radfahrerabteilungen und Panzerwagen waren als Rückendeckung der Polizei zur Stelle, doch wurden die Schutzleute allein mit der Menge fertig.

Im Huyssenstift sind 5 Verwundete untergebracht worden, von denen einer einen Bauchschuss, ein Zweiter einen Halssteckschuss erhalten hat. Das städtische Krankenhaus hat 10 Verwundete aufgenommen, darunter einige Schwerverletzte, von denen der Schutzmann Kampmann einen gefährlichen Lungenschuss bekommen hat. Er wurde in den Abendstunden bereits tot gesagt, was sich aber, wie wir durch Nachfrage feststellten, nicht bewahrheitete.

Wieviel Verwundete auf seiten der Kommunisten gezählt werden, war nicht festzustellen, da die meisten Verletzten es vorzogen, sich der Öffentlichkeit fernzuhalten.

Neue Marken zu 50 Milliarden

Neue Marken hat die Reichsdruckerei jetzt bis zu 50 Milliarden in der bekannten Ausführung in 3 verschiedenen Schriftarten hergestellt. Sie sind blau, die zu 20 Milliarden blaugrün usw. Die angekündigte Überdruckmarke zu 800.000 Mark auf 100 Mark lila und 2 Millionen Mark auf 500 Mark ziegelrot sind erst gar nicht gedruckt worden.

Es reicht nicht mehr fürs Notwendigste

EAZ, Sonntag, 25. November 1923. Auch heute müssen wir darauf hinweisen, dass die Preise wesentlich schneller aufwärts treiben, als die amtlichen Angaben über das Auslandsgeld. Die heimische Wirtschaft passt sich, soweit es sich um die Warenabgabe handelt, nur zu sehr der Marktverschlechterung im Auslande an, was aus unserer heutigen Aufstellung leicht ersichtlich ist. Mit erschreckender Deutlichkeit geht daraus hervor, dass die Goldmark heute nur noch den vierten Teil ihres Vorkriegswertes besitzt.

Der Tag, an dem das Volk auch die notwendigsten Lebensmittel nicht mehr kaufen kann, ist nicht mehr fern.

Mit der Kleidung hat man sich zum großen Teil bis heute durchhelfen können, ein Durchhelfen ohne Lebensmittel ist aber nicht möglich und man kann nur mit Herzklopfen an die Zustände denken, denen wir mit rasender Schnelligkeit entgegentreiben.

Plünderungen allerorten

Während der Sonntag in Essen-Stadt verhältnismäßig ruhig verlief, kam es abends gegen 8 Uhr beim Bahnhof Altenessen (rheinisch) zu Plünderungen, gegen welche die Polizei einschreiten musste. Die Tatsache, dass die Plünderer aus der Menge der dort stehenden Wagen gerade die Lebensmittelwaggons erbrachen, lässt darauf schließen, dass sie sich vorher irgendwie Kenntnis über die Inhalte der einzelnen Wagen verschafft hatten.

Auf der Zeche Pörtingsiepen wurden Kohlen, ferner Metalle und Holzvorräte geraubt. Auch dort musste die Polizei eingreifen. In der Nähe der Zeche Zollverein wurde eine Polizeistreife mit Stein- und Eisenwürfen angegriffen, so dass sie sich mit ihrer Schusswaffe zur Wehr setzen musste. Auf der Grillostraße wurde ein Brotwagen ausgeraubt.

Eine Menge von 30 Personen versuchte, die Höfe Ober- und Unterwallney auszuplündern und wurde durch die Polizei verjagt.

Auf dem Bahnhof Katernberg Nord wurden eine Anzahl Lebensmittelwaggons mit Mehl, Zucker, Speck und Schmalz ausgeraubt. 18 Personen wurden festgenommen. Polizei und französisches Militär umstellte die Bahnhofskolonie und nahm eine Durchsuchung der Häuser vor. Dabei wurden 2 Flachwagen mit geplündertem Gut herausgeholt. Am Sonntag wurde der Häuserblock Heßlerstraße ebenfalls von der Polizei durchsucht. Auch hier konnten 2 Wagen geraubter Lebensmittel wieder herbeigeschafft werden, 11 Personen wurden festgenommen. Der Sonntag ist im allgemeinen ruhig verlaufen.

Postgebühren vervierfacht

Vom 26. November sind die Postgebühren nach dem Inland und Ausland sowie die sonstigen Nebengebühren auf das Vierfache der jetzigen Sätze erhöht worden.

Aufgegriffen: ein Schaf

EAZ, Mittwoch, 27. November 1923. Gefunden und auf dem städtischen Fundbüro, 2. Hagenstraße 47, Zimmer 2, zu fordern: 2 junge Obstbäume, ein Schlüsselbund, 500 und 10 Milliarden, eine Börse mit 9 Milliarden, ein Zahnrad, eine Geldtasche mit 10 Milliarden, eine Brieftasche mit Franken und Papieren für Karl Kuban, eine silberne Damenarmbanduhr, vor etwa 3 Wochen eine graue Wollmütze, eine goldene Damenuhr im goldenen Armband. Bei Althoff: Kessel, Kinderjäckchen, ein paar Handschuhe, 2 Kneifer, ein Kamm, eine Uhrkette, 2 Stöcke, 2 Schirme, ein Wandschoner. Zugelaufen: mehrere Schäferhunde, ein Dobermann, ein Jagdhund, ein Bernhardinerhund, ein Airedale, ein Bastard. Aufgegriffen: ein Schaf.

Zum Bild oben: "Sonntagsparade vor dem von Franzosen besetzten Bergbauverein in Essen." (Abb. aus Spethmann / Ruhrkampf, Berlin 1933)

Zum Bild Briefumschlag:  80 Milliarden Mark Porto für einen Auslandsbrief. Die Reichsdruckerei kann mit den Gebührensprüngen kaum noch Schritt halten.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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