Vor 100 Jahren: Panikstimmung unter Passanten am Handelshof

Besatzer schlagen 15-Jährigem die Zähne ein und misshandeln Essener mit der Reitpeitsche

0 15.02.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die in der damals weit verbreiteten Essener Volkszeitung erschienen.

Proteststreik nach Verhaftungen

Essener Volks-Zeitung, Sonntag, 11. Februar 1923.

Die beiden Leiter der zum Krupp-Konzern gehörenden Zechen Constantin der Große und Helene-Amalie, Generaldirektor Bergmeister Hoppstädter und Bergassessor Dr. Weißel, wurden heute vormittag von den Franzosen verhaftet. Als Antwort auf diese Handlungsweise der Franzosen sind die Belegschaften beider Schachtanlagen in einen 24stündigen Proteststreik eingetreten.

Keine Bewirtung der Besatzer

Beschluss der Gewerbetreibenden: "Die Kaufleute und Handwerker Essens haben mit ihren Arbeitnehmervertretungen beschlossen, ab Montag, den 12. Februar 1923, jede Verabfolgung von Waren und handwerklichen Dienstleistungen an französische und belgische Militär- und Zivilpersonen zu verweigern." - Beschluss der Gastwirte: "Es ist die Ehrenpflicht eines jeden deutschen Gastwirtes, die Verabreichung von Speisen schon mit Rücksicht auf die Ernährungslage an Angehörige der Einbruchsarmee zu unterbinden."

Mit der Reitpeitsche misshandelt

EVZ, Dienstag, 13. Februar 1923.

In der Mittagsstunde wurde Montag im Handelshofe von französischen Offizieren Essen verlangt, welches sie nicht erhielten. Eine herbeigeholte französische Streife trieb darauf sämtliche Gäste aus dem Handelshof hinaus. Die sich am Ausgang stauende Menge wurde dann von zwei franz. Offizieren mit der Reitpeitsche misshandelt. Weiter wurde von zwei franz. Kraftwagenführern ein 15jähriger Junge in das Postamt hineingezogen und schwer misshandelt. Man schlug ihm die Zähne ein und den Kopf blutig. Auch auf der unteren Kettwiger Straße wurden Ansammlungen durch die Franzosen mit angeschlagenen Gewehren auseinandergetrieben. Es herrschte eine richtige Panikstimmung unter den Passanten.

Gewalt auf Prosper I

Auf dem Zechenplatz Prosper I bei Borbeck erschienen heute zirka 120 Franzosen und verlangten Kohlen. Die Arbeiter weigerten sich, dieselben zu verladen. Als der Berginvalide de Longueville, nachdem die Franzosen ihm mehrere Stöße versetzt hatten, trotzdem sich weigerte, stürmten 6 Mann mit aufgepflanztem Bajonett auf den wehrlosen Arbeiter.

Rache-Urteil gegen Zivilisten

Das Kriegsgericht in Bredeney verurteilte Herrn Pabst aus Essen wegen ungebührlichen Benehmens gegenüber den Franzosen anlässlich der Vorgänge im Handelshof zu drei Monaten Gefängnis und 200 000 Mark Geldstrafe.

Nicht gegrüßt: Gefängnis!

EVZ, 14. Februar 1923.

Zwei Essener Polizeiwachtmeister wurden wegen Verweigerung des Grüßens französischer Offiziere am Samstag zu acht Tagen Gefängnis und 100 000 Mark Geldstrafe verurteilt. Falls in 48 Stunden für jeden Verurteilten nicht 80 000 Mark bezahlt sind, soll eine weitere Gefängnisstrafe von einem Monat eintreten.

Ich komme mit Maschinengewehr wieder!

In dem Papierwarengeschäft Friedr. Schulte, Kettwiger Straße, erschien gestern ein franz. Gemeiner (einfacher Soldat) und erklärte, er wolle Papier kaufen. Als ihm dies nicht gegeben wurde, sagte er: Ich komme mit Maschinengewehr wieder, dann werden Sie schon verkaufen.

Der Gebrauch der Reitpeitsche scheint bei den franz. Offizieren ganz allgemein geworden zu sein. Bei einer Polizeiwache sind im Laufe des Montag allein 22 Anzeigen über Misshandlungen deutscher Zivilisten durch franz. Offiziere eingegangen.

Der Kaufmann Heinr. Mumm aus Essen wurde am 12. Februar, 8 Uhr abends, als er von Bochum kam, von einem französischen Offizier, dem Führer der Postwache, festgenommen, und in den Keller des Postturmes gebracht, wo er mit Füßen getreten und mit der Reitpeitsche geschlagen wurde.

Zeitung verboten – einfach so

Die "Rheinisch-Westfälische Zeitung" ist vom Befehlshaber der 128. Division auf die Dauer von 15 Tagen verboten worden. Es ist eine starke Militärwache in das Verlagshaus gelegt worden. Ein Grund für das Verbot ist nicht angegeben worden.

BILDZEILEN

Ansichtskarte oben: Rund um den Handelhof – hier eine zeitgenösssiche Postkarte – kam es zu tumultartigen Szenen. Die Zeitung berichtet von "Panikstimmung" unter den Passanten. (Sammlung A. Eickholt)

Ansichtskarte im Text: Auf Prosper I legten die Kumpels die Arbeit nieder, als Besatzungssoldaten auf einen ihrer Kollegen losgingen. (Sammlung A. Eickholt)

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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