Vor 100 Jahren: Pilzvergiftungen in Berlin, Typhus an der Ruhr

Und 200 Männer singen beim Chorkonzert im Schlosspark

0 30.08.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Post hat keine Marken mehr

Essener Allgemeine Zeitung (EAZ), Samstag, 25. August 1923. Hochwertige Freimarken, wie sie zur Durchführung der neuen Gebührenerhöhung im Postverkehr benötigt werden, sind bis jetzt nicht hier eingegangen. Alle Bemühungen des Postamts, solche Marken rechtzeitig zu erhalten, sind erfolglos geblieben. Es erübrigt sich daher nur, die Sendungen vorläufig mit Marken niedrigerer Werte freizumachen. Soweit es nicht möglich, müssen die Freigebühren auch für gewöhnliche Briefsendungen bei der Auslieferung bar entrichtet werden.

Für die bar freizumachenden gewöhnlichen Briefsendungen ist eine Annahmestelle in dem Raum der bisherigen Paketannahmestelle (Eingang Kettwiger Straße) eingerichtet worden. Es darf damit gerechnet werden, dass der Markenmangel in einigen Tagen beseitigt sein wird.

Zeitung verboten

EAZ, Sonntag, 26. August 1923. Das Ruhr Echo in Essen ist von der französischen Besatzungsbehörde wegen der Notiz über Sammlungen französischer Soldaten für die streikenden Ruhrbergleute vom 23. bis 26. August verboten worden.

Franzosen plündern die Stadtkasse

EAZ, Sonntag, 26. August 1923. Kurz vor 2 Uhr drangen gestern Beamte der französischen Besatzungsbehörde sowie französisches Militär in die Räume der Stadthauptkasse ein und beschlagnahmten etwa 100 Millionen Mark städtisches Notgeld, das zu dringenden Zahlungen benötigt wurde. Die Beamten waren gerade beim Abschluss der Wochenrechnung. Die Beschlagnahme erfolgte trotz des Protestes des geschäftsführenden Bürgermeisters ohne Angabe von Gründen angeblich auf Befehl des Divisionsgenerals.

Lage unübersichtlich

EAZ, Dienstag, 28. August 1923. Die Lage auf den Zechen im Ruhrgebiet ist noch nicht ganz geklärt. Während auf einer ganzen Reihe von Zechen die Arbeit wieder aufgenommen worden ist, haben andere Belegschaften die Arbeit wieder eingestellt, da die gestellten Forderungen seitens der Arbeitgeber nicht bewilligt worden sind. Ob die neue Lohnregelung beruhigend auf die Arbeiterschaft der Zechen einwirkt, wirkt bleibt abzuwarten.

Schrankenlose Preistreiberei

EAZ, Dienstag, 28. August 1923. Essen scheint die teuerste Stadt des Industriegebiets zu sein. Es ist unerklärlich, dass in Essen die Preistreiberei viel schrankenloser sich auswirken kann als in den unmittelbar angrenzenden Nachbarstädten. Während der Preis für Vollmilch in Essen auf 210 000 Mark festgesetzt wird, hält die in gleicher Teuerungsklasse befindliche Nachbarstadt Bottrop 145 000 Mark für ausreichend. Für diesen auffallenden Unterschied sollte doch die verantwortliche städtische Stelle eine stichhaltige Begründung geben.

Porto für Postkarten steigt auf 15 000 Mark

EAZ, Mittwoch, 29. August 1923. Die neuen Post-, Telegramm- und Fernsprechgebühren ab 6. September. Vom 6. September ab gelten für den Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehr innerhalb Deutschlands folgende Gebühren: Postkarten im Ortsverkehr kosten 15 000 Mark, im Fernverkehr 30 000 Mark. Briefe im Ortsverkehr bis 20 Gramm 30 000, bis 100 Gramm 45 000 Mark. (...)

Straßenbahnfahren schon wieder teurer

EAZ, Mittwoch, 29. August 1923. Die Verwaltung der Süddeutschen Eisenbahngesellschaft schreibt uns: Nach Verhandlungen des Arbeitgeberverbandes mit den Gewerkschaften am 27. des Monats erhält unser gesamtes Personal in Anbetracht der fortschreitenden gewaltigen Teuerung für die Zeit vom 19. bis 25. August rückwirkend eine Nachzahlung im Betrage von 150 000 Mark die Stunde und für die Woche vom 26. bis 1. einen Stundenspitzenlohn von 850 000 Mark. Das Hausstands- und Kindergeld wird auf 200 000 Mark je Tag erhöht. Hinzu tritt die Erhöhung des Kohlenpreises ab 27. August auf 95 Mio 718 000 Mark je Tonne und des Strompreises auf 287 150 Mark die Kilowattstunde; sowie die fortlaufende außerordentliche Steigerung der Preise aller Materialien und sonstiger Verbrauchsgegenstände, der Versicherungen, Steuern und sonstigen Abgaben sowie der Erneuerungsrücklage.

Die uns hierdurch entstehenden Mehrausgaben betragen auf die Zeit von 10 Tagen berechnet 65 Mrd. 141 Millionen 435 000 Mark und bedingen eine weitere Erhöhung unserer Fahrpreise ab 29. August wie folgt: Eine und 2 Teilstrecken 200 000 Mark, 3 und 4 Teilstrecken 300 000 Mark, 5 und 6 Teilstrecken 400 000 Mark, 7 Teilstrecken 500 000 Mark. Die Abrundung auf volle 100 000 Mark ist in Anbetracht des Mangels an Wechselgeld dringend geboten und nicht zu umgehen.

Noch mehr Tote nach Pilzvergiftungen

EAZ, Mittwoch, 29. August 1923. Neues aus aller Welt. Ein neuer schwerer Fall von Pilzvergiftung hat sich im Osten Berlins zugetragen, nachdem vor 2 Tagen mehrere Personen nach dem Genuss giftiger Pilze gestorben waren. Nach dem Genuss von selbstgesuchten Pilzen, wahrscheinlich Wiesengrünligen, erkrankten die Eheleute Heidenreich mit ihren 7 Kindern an starken Vergiftungserscheinungen. Sämtliche Personen starben alsbald nach ihrer Einlieferung in das Krankenhaus. Außerdem sind 2 Kinder einer anderen Familie gleichfalls nach dem Genuss von Pilzen gestorben. Ein drittes Kind, dessen Mutter ebenfalls bedenklich erkrankt ist, liegt im Krankenhaus im Sterben. Auch hier handelt es sich um Pilzvergiftung.

EAZ, Donnerstag, 30. August 1923. Der Dollar fast 9 Millionen

Fleisch und Wurst doppelt so teuer wie wenige Tage zuvor

EAZ, Donnerstag, 30. August 1923. Essener Wochenmarkt am 29. August. Nach langer Zeit kann wieder von einem gutbeschickten Mittwochsmarkt gesprochen werden. Gemüse war reichlich vorhanden. Kartoffeln wurden an verschiedenen Ständen zum Preise von 60 000 bis 120 000 Mark das Pfund angeboten, die zu 120 000 Mark gingen unter der Bezeichnung Holländer. Die Ware zu 80 000 war gelbfleischige hiesige.

Einen Preisanstieg bis fast 100% hat Fleisch und Wurst seit Samstag gemacht. Es wurden verlangt je Pfund Rindfleisch 2 Millionen, Kalbfleisch 2 Millionen, Hammelfleisch 1 Million, Schweinefleisch 2 bis 3 Millionen, Mettwurst 3 Millionen, Schmalz 1 Million, Gefrierfleisch 800 000 bis eine Million, Büchsenfleisch eine Million, ausländischer Speck geräuchert 1 Million, Seelachs 600 000 Schollen 300 000, Salzheringe Stück 70 000. (...)

Carolus Magnus liefert wieder Gas

EAZ, Donnerstag, 30. August 1923. Auch auf der Kokerei der Zeche Carolus Magnus ist die Arbeit wieder aufgenommen worden. Es steht zu erwarten, dass gegen Ende der Woche die Gasversorgung, wenn auch in beschränktem Umfange, wieder aufgenommen werden kann. Eine volle Belieferung der Stadt kommt jedoch erst dann in Frage, wenn auch die Zeche Gustav wieder voll arbeitet.

Typhus und Ruhr an der Ruhr

EAZ, Donnerstag, 30. August 1923. Blättermeldungen zufolge sind in den letzten Tagen in verschiedenen Orten, deren Abwässer in die Ruhr geleitet werden, Typhusepidemien ausgebrochen. Es ist anzunehmen, dass die untere Ruhr bereits mit Typhusbazillen verseucht ist. Wie aus Duisburg gemeldet wird, ist die Ruhrkrankheit unter den Arbeitern der Friedrich-Alfred-Hütte ausgebrochen. Einige schwer erkrankte Leute mussten dem Krankenhaus zugeführt werden.

Essen büßt für Attentate

EAZ, Freitag, 1. September 1923. 46 000 Franken Buße für Essen. Bei der Stadtverwaltung ist folgende Anordnung des Generals Dégoutte vom 23. August eingegangen: "Mit Rücksicht darauf, dass eine Sabotage in der Nacht vom 4. auf 5. am Schienenweg zwischen dem Bahnhof Mülheim-Heißen und Essen-West vorgenommen worden ist und mit Rücksicht darauf, dass der angerichtete Schaden eine Höhe von 37 950 Franken hat, wird angeordnet, dass eine Schadenersatzleistung in Höhe von 37 950 Franken der Stadt Essen auferlegt wird, die in einer Frist von 20 Tagen zu zahlen ist. Die Beigeordneten Hüttner und Kloft werden persönlich für die Zahlung der Schadenersatzsumme verantwortlich gemacht. Im Falle der Nichtzahlung werden die gezeichneten Beigeordneten 3 Monate lang eingesperrt und die Zwangsvollstreckung in das Gemeindevermögen gemäß der Verordnung Nummer 24 vorgenommen werden."

Kripo raubt Lohngelder

EAZ, Sonntag, 2. September 1923. Am 30. August mittags 12 Uhr wurde am Essener Hauptbahnhof von französischen Kriminalisten einem Boten der Zeche Zollverein 6 Milliarden, welche für Lohnzwecke bestimmt waren, abgenommen.

Zum Bild oben: Die Unterführung am Essener Hauptbahnhof von der Freiheit aus gesehen. "Rue de la Gare", Bahnhofstraße, lautet der Titel. Offenbar war die Postkarte eigens für die französischen Truppen aufgelegt worden.

 

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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