Vor 100 Jahren: Essen gibt Notgeld heraus

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0 27.07.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Thyssen erwartet Lebensmittel-Katastrophe

Essener Volkszeitung, Donnerstag, 26. Juli 1923. Der Großindustrielle Fritz Thyssen hat sich einem Mitarbeiter des Berliner 8-Uhr-Abendblattes gegenüber über die augenblickliche Lage im Ruhrgebiet folgendermaßen geäußert: "Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bevölkerung im Ruhrgebiet sich niemals unterwerfen wird, trotz all der Not, die sie erleiden muss, und trotz der unglaublichen Zustände, die bei uns herrschen. Es ist jedermann vogelfrei und kann morgen festgesetzt werden. Es wird der Tag kommen, wo im Ruhrgebiet, dem reichsten Kohlengebiet Europas, keine Kohlen mehr da sein werden. Nach meiner Schätzung wird es mindestens 6 Monate dauern, bis die Ruhrindustrie sich nur von dem erlittenen Schaden erholen kann und ihre alte Leistungsfähigkeit wieder erlangt. Dabei wird die Lebensmittelkatastrophe immer drohender und ich fürchte, dass sie im Herbst wirklich ausbrechen wird, wenn die Zeit der Kartoffeltransporte kommt. Wir werden für die ersten Herbstmonate mit den größten Schwierigkeiten rechnen müssen."

Endlich wieder Polizei in der Stadt!

EVZ, Donnerstag, 26. Juli 1923. Die blaue Polizei ist wieder da. Vorüber die schwere polizeilose Zeit. Die trübe Eintönigkeit des Essener Straßenbildes, die höchstens durch die fremden Uniformen eine gewisse Abwechslung erhielt, hat eine neue belebende Note erhalten, die blaue Polizei ist wieder in ihre Rechte getreten.

Der friedliche Bürgersmann, der im Zeichen der polizeilosen Zeit seines Eigentums nicht mehr sicher war, der nächtliche Heimkehrer, der in dunklen Straßen ständig von Wegelagerern und Raubgesindel umlauert war, sie werden wieder aufatmen bei der erfreulichen Kunde, dass die blaue Polizei wieder den Schutz der öffentlichen Sicherheit und des privaten Eigentums übernommen hat.

Es war schlimm geworden mit den Sicherheitszuständen in unserer Stadt, seitdem unsere Schutzpolizei vertrieben worden ist. Das Diebesgesindel erhob frech wie nie zuvor sein Haupt. Keine Nacht verging, ohne dass hier oder dort Einbrecher ihr Unwesen getrieben hätten. Erst in diesen Tagen haben wir von den Untaten einer gemeingefährlichen Bande berichtet, die sich unter dem Namen "Die schwarze Hand" in Essen gebildet hatte, und im Segerothviertel konnte man tagtäglich die Kaste der unlauteren Elemente prunken hören: Heute haben wir das Heft in der Hand, es gibt keine Polizei mehr.

Das soll nun wieder anders werden. Das Hauptquartier der neuen Polizei ist das Rüttenscheider Rathaus, ihre Stärke beträgt etwa 500 bis 600 Mann.

Leichenfund: Polizei tappt im Dunklen

Der rätselhafte Leichenfund von Altenessen ist noch immer in vollständiges Dunkel gehüllt. Bekanntlich wurden in der Morgenfrühe des 11. Juni an der verlängerten Rahmdörne in Altenessen in der Nähe des Rhein-Herne-Kanals in 2 Paketen verpackt die Leiche eines in den mittleren Jahren stehenden Mannes aufgefunden. Die Essener Kriminalpolizei im Verein mit den Polizeibehörden der Umgegend haben sofort eifrige Ermittlungen angestellt und diese bis auf den heutigen Tag ununterbrochen fortgesetzt, um das geheimnisvolle Dunkel dieses grausigen Leichenfundes zu lüften, aber alle Nachforschungen sind bislang ohne Erfolg geblieben.

Allerdings sind in der Zwischenzeit verschiedene Spuren verfolgt worden, die ursprünglich auf das geheimnisvolle Verbrechen hinzudeuten schienen. Die Spuren haben sich inzwischen als trügerisch erwiesen. Es erscheint nunmehr die Vermutung begründet, dass der ermordete Mann nicht aus der hiesigen Gegend stammt. Der Regierungspräsident hat jetzt eine Belohnung von einer Million Mark ausgesetzt für Angaben, die geeignet sind, das Verbrechen aufklären zu helfen.

Bemerkenswert ist, dass die aufgefundenen Leichenteile in einen Sack eingewickelt waren, der den Stempel der Firma Scheidler in Köln trägt und in ein Stück Sacktuch, das mit dem Firmenstempel der Wilkingson Portland-Zementfabrik in Recklinghausen versehen war.

Entsetzen über die Gasrechnung

EVZ, Freitag, 27. Juli 1923. Die Gasrechnungen sind heute das Kreuz der Hausfrau. Wer entsetzt sich nicht, wenn er Monat für Monat die steigenden Beträge auf Rechnungen sieht, die ihm vom Gasboten mit liebenswürdiger Geste und schadenfrohem Lächeln vorgewiesen werden?

In der hauswirtschaftlichen Ausstellung des Bundes Hamburgischer Hausfrauen hatte vor kurzem eine der Rednerinnen einige Ratschläge vorgebracht, die zwar trotz ihrer Versform keine Dichtung, aber umso mehr praktisch brauchbare Winke sind. Sie lauten:

Erstens. Halt innen und außen den Gasherd stets rein, dann wird er dir stets eine Freude sein (...)

Neue Flugpostmarken zu 200 Mark

Für den Luftpostverkehr sind neue Flugpostmarken im Werte von 200 Mark herausgegeben. Sie sind bei den Postanstalten der Flugorte und bei einer großen Anzahl anderer Postanstalten erhältlich. Postanstalten, die keine Flugpostenmarken führen, vermitteln auf Wunsch den Bezug der Marken. Flugpostmarken zu 5 und 10 Mark werden nicht mehr hergestellt werden.

Antifa-Demos untersagt

EVZ, Samstag, 28. Juli 1923. Durch Befehl des kommandierenden Generals der Armee sind in den Städten, wo die städtische Polizei organisiert worden ist, alle antifaschistischen Kundgebungen am 29. Juli verboten. In Essen, Essen-Land, Oberhausen und Mülheim, wo diese Polizei besteht, sind die Umzüge der kommunistischen Partei, die sich am 29. Juli nach Bochum begeben wollen, untersagt. Die Organisatoren dieser Kundgebung sind von dieser Bestimmung unterrichtet worden. Die in Frage kommenden Armeebefehlshaber werden es sicherstellen, dass die vorgenommenen Kundgebungen nicht stattfinden.

Preise steigen in schwindelnde Höhen

EVZ, Samstag, 28. Juli 1923. Die Einrichtung einer Dreizimmerwohnung konnte man vor dem Kriege für 5500 Mark haben, am 15. Juni kostete sie etwa 70 Millionen, am 1. Juli schon mehr als 100 Millionen. Dabei standen Hausrat und Kleidungsstücke am 15. Juni erst auf dem 13000-fachen Friedenspreis, während der Preis der Berufsgegenstände schon das 14300-fache erreicht hatte. Verbandsstoffe kosten sogar 42000-mal so viel wie im Frieden. Am teuersten geworden sind ärztliche Instrumente mit Platinbestandteilen mit 44800.

Unter den Einrichtungen für Werkstätten kostet am meisten die für einen Schlosser. Eine Schlosserei für 4 Beschäftigte kostet etwa 35 Millionen, etwa ebensoviel die Einrichtung für ein Lebensmittel- oder Fleischergeschäft. Bei den Preisen für landwirtschaftliche Maschinen beträgt die Zahl 17500, bei den Ackergeräten 21100, beim toten Inventar bäuerliche Betriebe 16500, Stickstoffdüngemittel 17 300.

200-Mark-Stücke werden gehamstert

EVZ, Samstag, 28. Juli 1923. Im Juni sind 200-Mark-Stücke im Betrage von rund 9 Milliarden und 50-Mark-Stücke im Betrage von 8 Milliarden in den Verkehr gekommen. Der Gesamtumlauf beträgt jetzt rund 53 Milliarden Mark, und dabei spielen diese Münzen im Zahlungsverkehr immer noch eine ganz untergeordnete Rolle. Trotz ihres verhältnismäßig geringen Metallwertes scheinen sie fleißig gehamstert zu werden.

Dienstag, 31. Juli 1923. Dollarkurs 1097250,- Mark

Regierung verspricht: Keiner muss hungern

Berlin, 28. Juli 1923. Nach der Auffassung des Reichsernährungsministers besteht kein Anlass zu den großen Besorgnissen, die in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kommen. Abgesehen von einigen Waren wie Kartoffeln besteht kein Mangel an Nahrungsmitteln. Die Knappheit ist in der allgemeinen Wirtschaftslage und der katastrophalen Markentwertung begründet.

In jedem Jahre tritt zwischen Frühjahr und Sommer eine Lücke in der Versorgung ein, besonders bei den Kartoffeln. Zudem ist die Ernte von Frühkartoffeln durch die nasse und kalte Witterung verspätet. Sie steht aber vor der Tür und die Lage wird sich von Tag zu Tag bessern. In 8 Tagen wird die regelmäßige Versorgung mit Frühkartoffeln wieder einsetzen. Das Reichsernährungsministerium hat Maßnahmen gegen den Notstand getroffen und insbesondere für Fett dafür gesorgt, dass zur Einführung von Rohstoffen für Margarine erhebliche Devisen zur Verfügung gestellt werden.

Die weiteren Aussichten für die Volksernährung sind in diesem Jahre günstiger als früher. Wir haben eine außerordentlich günstige Getreideernte in Aussicht, auch in Kartoffeln ist im großen Durchschnitt eine befriedigende Ernte zu erwarten.

Besonders günstig ist die Futtermittelernte, die eine Besserung unseres Viehstandes in Zukunft ermöglichen wird.

Essen gibt Notgeld aus

EVZ, 31. Juli 1923. Die Städte im Ruhrgebiet sind in großem Maße zur Ausgabe von neuen Geldscheinen geschritten, um dem herrschenden Zahlungsmittelmangel abzuhelfen.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt 

Briefporto im Juli 1923: 300 Mark.

 

 

 

 

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