Vor 100 Jahren: Hausangestellte fallen Mädchenhändlern in die Hände

Ebert und Stresemann konstatieren: So stehen wir heute vor der bitteren Notwendigkeit, den Kampf abzubrechen

0 05.10.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Katastrophenhausse an der Börse

Essener Allgemeine Zeitung (EAZ), Dienstag, 1. Oktober 1923. Die Börse begann die neue Woche mit einer gewaltigen Katastrophenhausse, die im Wesentlichen eine Folge des neuen Markzusammenbruchs und des unverändert leichten Geldstandes war.

Kursrepartierungen*, Streichungen, Verdoppelungen und Milliarden-Prozentgewinne bei den schwersten Werten waren wieder an der Tagesordnung. Bevorzugt waren wieder Petroleummarken, Schifffahrtswerte und Bankaktien, ferner einzelne Spezialwerte wie ehemalige Pulverwerke, Eisenbahnverkehrsanteile und Voll und Halb-Valuta. Am Devisenmarkt war heute wieder einmal ein kritischer Tag allererster Ordnung, die Verdreifachung der schwebenden Reichsschuld machte einen äußerst ungünstigen Eindruck und auch die von der Kohlenpreissteigerung zu erwartende Erhöhung aller Warenpreise deutet auf einen Fortschritt der Inflation hin.

Das Pfund Sterling begann auf dem am Samstag erreichten Kurse von einer Milliarde und stieg später auf 1,3 Milliarden, der Dollar setzte mit 220 Millionen ein und war später 290 Millionen.

*Repartierung ist an der Wertpapierbörse die Kürzung der Nachfrage nach Wertpapieren auf die Höhe des zur Verfügung stehenden Angebots

Betrieb läuft nur langsam wieder an

EAZ, Mittwoch, 2. Oktober 1923. Die besonderen Schwierigkeiten, die im Güterverkehr entstanden sind, werden durch Zusammenfassung sämtlicher verfügbarer Transportmittel zunächst für die lebensnotwendigen Güter überwunden werden. Ebenso werden Post und Telegraphie sich bemühen, zu einer wenigstens teilweisen Wiederaufnahme des Betriebes zu kommen. Die bestehenden Schwierigkeiten im ganzen Verkehrswesen sind jedoch so groß, dass nur mit einer langsamen Ingangsetzung gerechnet werden kann.

Die Tausender sind nichts mehr wert

Wir waren Zeuge eines Vorganges, der ein grelles Schlaglicht auf die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Wochen wirft. Kam da eine ältere Frau zur Straßenbahn mit einem schweren in Zeitungspapier eingeschlagenen Paket. Als der Schaffner zu ihr trat, stellte sich heraus, dass es lauter gute Reichskassenscheine über je 1000 Mark waren, die sie für die Fahrt in Zahlung geben wollte, 5000 Stück 1000-Mark-Scheine. Die Scheine wurden nicht angenommen, die Frau musste den Wagen verlassen und verfiel in Krämpfe. Sie hatte das Geld als Spargroschen zurückgelegt und musste nun sehen, dass es Schwundgeld gewesen war. Und welche Ehrfurcht brachte man früher einem braunen Lappen entgegen! Wie viele wurden geboren und starben, ohne jemals solch ein Ding überhaupt gesehen zu haben.

Was die Eisenbahnfahrt heute kostet

Mit der am 2. Oktober in Kraft getretenen Erhöhung der Personenfahrpreise um 50 von Hundert ist die Stichzahl nunmehr auf 30 Millionen gestiegen. Es kostet daher jeder Kilometer in der ersten Klasse 5 Millionen 940.000 Mark, in der zweiten Klasse 2 Millionen 970.000 Mark, in der dritten Klasse 990.000 Mark und endlich in der billigen vierten Klasse 660.000 Mark.

Millionenbuße für Wucherpreise

EAZ, Donnerstag, 4. Oktober 1923. Gestern prüften Beamte der Wucherpolizei des Polizeipräsidiums die Angemessenheit der Preise auf dem Frohnhauser Wochenmarkt. Auch hierbei wurde wiederum eine Reihe von Händlern ermittelt, die für ihre Waren Preise forderten, die einen übermäßigen Gewinn enthielten. Die straffälligen Händler wurden sofort dem in einem nahe gelegenen Lokal versammelten Marktgericht vorgeführt und von diesem abgeurteilt.

Im Einzelnen wurden verurteilt die Händlerinnen Liesner wegen Preiswuchers mit Weißkohl, Schon wegen Preiswuchers mit Möhren, ten Eicken wegen Preiswuchers mit Käse und die Händlerin Schmitz wegen Preiswuchers mit Butter zu je einer Woche Gefängnis und je 100 Millionen Mark Geldstrafe. Außerdem wurden alle Waren, auf die sich der Preiswucher erstreckte, beschlagnahmt und an Ort und Stelle zu herabgesetzten Preisen verkauft. Der erzielte Erlös wurde eingezogen. Den verurteilten Händlerinnen billigte das Marktgericht Strafaufschub für 2 Jahre zu gegen Zahlung einer Geldbuße von je 30 Goldmark an die Gerichtskasse innerhalb einer Frist von 3 Wochen.

Die Post hat nichts begriffen!

Nichts gelernt und vieles vergessen - diesen Vorwurf muss man auch heute wieder den Postbehörden machen. Als am 1. September die Postgebühren außerordentlich heraufgesetzt wurden, gab es von den neuen Sorten fast keine Marken und die geringen vorhandenen Bestände waren rasch aufgebraucht. Die Brief- und sonstige Post musste bar freigemacht werden. Die Unzuträglichkeiten, die sich hierbei zugetragen haben, sind hinreichend bekannt. Überall bildeten sich Schlangen und es dauerte stundenlang, bis der letzte abgefertigt wurde. Es konnte aber auch geschehen, dass ihm, wenn er seine Briefpost abgeben wollte, der Schalter vor der Nase zugemacht wurde und sich dies beim zweiten und dritten Schalter jedes Mal wiederholte. Ein anderer wieder musste wegen Mangels an Wechselgeld seine Briefe wieder mitnehmen.

Anstatt dass nun die Postverwaltung vorsorgte, um für spätere Tariferhöhungen gerüstet zu sein, lief auch hier alles seinen alten Gang. So muss auch wieder seit der Tariferhöhung am 1. Oktober die Erfahrung gemacht werden, dass an den Postanstalten keine Freimarken aufzutreiben sind. Das Elend der Barfreimachung ist also wieder in vollem Gange. Gewaltige Schäden entstehen hieraus den großen Geschäftshäusern, deren tägliche Briefpost sich auf Hunderte und Tausende von Briefen beläuft. Neben den übrigen Behörden, die noch Strafbefehle über 75.000 Mark herausgeben oder die auf einem Aktenbogen, der etwa 500.000 Mark kostet, noch Rechnungen über 36 Mark ausstellen und mit Pfändung drohen, können sich auch die Postbehörden nicht den Verhältnissen anpassen. Die Schäden für die Allgemeinheit sind hier unabsehbar.

Bloß nicht leichtsinnig auswandern!

Obwohl schon wiederholt vor dem leichtsinnigen Auswandern gewarnt ist, wandert neuerdings weibliches deutsches Hauspersonal, angelockt durch den günstigen Stand der ausländischen Valuta, in zunehmendem Maße nach dem Auslande, insbesondere nach Holland, um dort Stellung zu suchen. Abgesehen davon, dass zurzeit gerade in Holland ein Überangebot von Kräften an weiblichen Hauspersonal besteht, muss auch aus dem Grunde dringend vor der Auswanderung gewarnt werden, weil die jungen Mädchen an Ort und Stelle enttäuscht veranlasst werden, nach größeren Städten und Hafenplätzen weiterzureisen, um dort meist völlig mittellos oft gewissenlosen Mädchenhändlern in die Hände zu fallen, die sie zur Fahrt nach Südamerika zu verleiten versuchen.

Dreister Wäschedieb an der Hövelstraße

EAZ, Samstag, 6. Oktober 1923. Der Schlosser Ernst L. wurde dabei abgefasst, als er auf dem Boden des Hauses Feldmannstraße 85 in Altenessen damit beschäftigt war, die dort ausgehängte Wäsche einzupacken und mit ihr zu verschwinden. Der Dieb wurde von den hinzugeholten Hausbewohnern festgehalten und der Polizei übergeben. Später stellte sich heraus, dass der dreiste Eindringling noch einen weiteren Wäschediebstahl, und zwar in einem Hause in der Hövelstraße, verübt hatte. Er wurde in diesem Falle durch Gegenüberstellung mit Hausbewohnern, die ihn beim Verlassen des Hauses gesehen hatten, überführt. Der Wäschedieb ist dem Gericht zugeführt worden.

Stadt gratuliert Geburtstagskindern

EAZ, Sonntag, 7. Oktober 1923. Ihren 80. Geburtstag feierten am 1. Oktober Frau Gertrud Jäger, Borbecker Straße 157, am 3. Oktober Frau Witwe Alette Simmersdorf, Hammerstraße 16, und Frau Witwe Maria Ernst, Altendorfer Straße 242 a, am 4. Oktober Frau Witwe Karoline Glaser, Huttropstraße 5, Frau Witwe Wilhelmine Bamberg, Rüselstraße 30, und Frau Witwe Maria Krämer, Helenenstraße 5, am 6. Oktober Fritz Bogdan, Maschinenstraße 4, und Frau Witwe Dorothea Olk, Nordstraße 1. Anlässlich dieser Feiern übersandte die Stadtverwaltung Glückwunschschreiben.

Zum Bild oben: Villa Hügel auf einer Postkarte, die 1923 von einem Besatzungs-Soldaten nach Frankreich geschickt wurde. Der Hausherr, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, saß damals in Haft, weil die Besatzer ihm eine Mitschuld an dem blutigen Zusammenstoß zwischen Soldaten und Krupp-Arbeitern am Karsamstag 1923 zusprachen.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

 

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