Vor 100 Jahren: Ernährung der Bevölkerung bedroht

0 11.10.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die damals in zeitgenössischen Zeitungen erschienen.

Arbeitgeber kündigen Acht-Stunden-Tag auf

Essener Allgemeine Zeitung (EAZ), Dienstag, 9. Oktober 1923. Auf den Zechen des Ruhrgebietes ist gestern durch Anschlag folgende Bekanntmachung erfolgt:

Der überstürzte Wirtschaftsverfall bedroht aufs Schärfste die Ernährung der Bevölkerung. Sofortige Abhilfe für diese Entwicklung ist nur durch Steigerung unserer vernichteten Ausfuhr zu schaffen. Vorbedingung hierfür ist eine weitgehende Herabsetzung der Preise der für unsere Wirtschaft maßgebenden Rohstoffe, insbesondere der Kohlen, was nur durch eine starke Herabsetzung der Selbstkosten zu erreichen ist.

Nachdem die Regierung den passiven Widerstand aufgegeben hat, ist es das Gebot der Stunde, durch äußerste Anpassung aller Kräfte auf billigstem Wege möglichst große Mengen von Kohlen zu fördern. Hierzu ist eine Schichtverlängerung erforderlich. Sie wird bei entsprechender Leistungssteigerung eine Ermäßigung der Kohlenpreise um etwa 6 Goldmark für die Tonne ermöglichen. Demgemäß sieht sich der Rheinisch-Westfälische Bergbau gezwungen, ab Dienstag. 9. Oktober 1923, die vor Ausbruch des Krieges gültigen Schichtzeiten wieder einzuführen (...)

Vehementer Protest gegen die Verlängerung der Arbeitszeit

Ein Aufruf an die Arbeiter und Angestellten des Bergbaus:

Unter grober Verletzung der gesetzlichen Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit, des Gesetzes über die Arbeitszeit des Bergbaus, des Betriebsrätegesetzes, des Tarifvertrages und der Arbeitsordnung haben die Grubenbesitzer des Rheinisch-Westfälischen Bergbaus einseitig ab 9. Oktober eine Verlängerung der Arbeitszeit diktiert. Sie befehlen einfach achteinhalb Stunden für den unterirdischen Betrieb und 10 beziehungsweise 12 Stunden für die Arbeiter über Tage. Das Vorgehen der Unternehmer ist ein unerhörter, bisher noch nie dagewesener Vorgang in der Geschichte der Regelung von Arbeitsbedingungen, soweit sie durch Gesetze und Vertrag geordnet waren. Kein Arbeiter, kein Angestellter, keine Gewerkschaft, keine Regierung, die Ordnung im Staat und in der Wirtschaft wollen, können ein derartiges diktatorisches Vorgehen hinnehmen. Die unterzeichneten Organisationen fordern deshalb die Arbeiter und Angestellten des Bergbaus auf, sich nur an die gesetzlichen Bestimmungen, die Arbeitsordnung und den Tarifvertrag zu halten. Die Unternehmer haben kein Recht, vertragliche Arbeitsbedingungen einseitig zu ändern. Der brutale Rechtsbruch der Unternehmer muss von der Arbeitnehmerschaft mit überlegener Ruhe, die sich stützt auf das gesetzliche und vertragliche Recht, zurückgewiesen werden. (...)

Der Dollar über 8 Milliarden

EAZ, Donnerstag, 11. Oktober 1923. An der Kölner Börse notierte gestern der Dollar über 8 Milliarden, das englische Pfund über 37 Milliarden und der holländische Gulden über 3 Milliarden.

Bahnhof Essen-Nord wieder in Betrieb

EAZ, Freitag, 12. Oktober 1923. Die bisher gesperrte Strecke Essen-Nord - Stoppenberg ist von den Franzosen freigegeben worden. Der Betrieb auf dieser Strecke wird sofort wieder aufgenommen, wodurch eine starke Erleichterung in der Heranführung der Lebensmittel-, Vieh-, Milch- und Gütertransporte eintritt.

Geiseln wieder frei

Samstag, 13. Oktober 1923. Beigeordneter der Stadt Essen, Baasel, der stellvertretende Essener Polizeipräsident Regierungsrat Friedensdorf und Oberstaatsanwalt Stühlen, die als Geiseln für einen im unbesetzten Gebiet verhafteten in französischen Diensten stehenden deutschen Eisenbahner verhaftet worden waren, sind gestern Mittag aus der Haft entlassen worden.

Die Luisenschule am Bismarckplatz in Essen, die von den Franzosen beschlagnahmt worden war, ist wieder freigegeben worden.

Der Dollar und die Fleischpreise

Wenn die Hausfrau heute in die Läden geht und den Tagesbedarf decken will, wird sie nur in wenigen Fällen mit dem Gelde auskommen, das sie zu Hause noch für eine Riesensumme hielt. Schinken eine Milliarde 400 Millionen, so verkünden es die Preisschilder am Freitag. Was der Samstag bringt, liegt beim Schreiben dieser Zeilen noch im tiefsten Dunkel, aber billigere Preise bringt er sicher nicht. Der rasende Marksturz in den letzten Tagen hat auch für die Gestaltung der Fleisch- und Fettpreise Auswirkungen gehabt, die sowohl für die verkaufenden Fleischer wie auch für die kaufende Bevölkerung in gleicher Weise zur Katastrophe zu werden drohen.

Es wird nur noch auf Millionen abgerundet

EAZ, Sonntag, 14. Oktober 1923. Gehalts- und Lohnzahlungen werden nach einer neueren Verordnung des Reichsministers der Finanzen auf volle Millionen Mark abgerundet. Es gilt dies für die Bezüge sowohl der Beamten wie der Ruhe- und Wartegeldempfänger, Hinterbliebenen, Angestellten und Arbeiter.

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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