Vor 100 Jahren: Schuhmachermeister aus Altendorf von belgischen Soldaten erschossen

Schulkinder aus Borbeck fast alle unterernährt - Gasanstalt sucht nüchternen Nachtwächter - Loewenstein spendet halbe Million für Arme

0 03.02.2023

Kriegsfolgen, Ruhrbesetzung und Hyper-Inflation - 1923 war für die leidgeprüfte Bevölkerung vor allem im Revier ein schwarzes Jahr. Wir bringen in loser Folge Kurznachrichten aus der Zeit vor hundert Jahren, die in der damals weit verbreiteten Essener Volkszeitung erschienen.

Ruhrbrücke besetzt

EVZ, 3. Februar 1923.

Die Ruhrbrücke in Werden ist von stärkeren französischen Kräften besetzt, die alle über die Brücke fahrenden Kohlenautos festhalten, die Wagen entladen lassen und die Chauffeure mit entsprechenden Bons und leeren Wagen zurückschicken.

Fast alle Kinder unterernährt

Im vorigen Monat sind die Schulkinder aus Borbeck 1, 2 und 3, welche Ostern entlassen werden, vom Schularzt untersucht worden. Dabei hat sich das erschreckende Bild gezeigt, dass von 105 Knaben nur 9, und von 94 Mädchen nur 5 einen guten Gesundheitszustand aufwiesen. Von den Knaben waren 25 nicht berufsfähig und 16 tuberkulös, von den Mädchen 24 und 13. Es wird der Vorschlag gemacht, dass Familien sich bereit finden mögen, einem braven, unterernährten Kinde Mittagessen bei sich zu Hause zu geben. Wir bitten um zahlreiche Anmeldungen solcher gutgesinnten Familien bei den Geistlichen.

Anmerkung: Bei den Schulen Borbeck 1, 2 und 3 handelte es sich um die heutigen Dionysius-, Dürer- und Möllhovenschule.

Bluttat belgischer Soldaten

Auf der Fahrt von Oberhausen nach Borbeck um 5 Uhr wurden zwei belgische Soldaten nach den Fahrkarten gefragt, worauf sie einen Zettel vorwiesen. Der Kontrolleur verlangte Lösung von Fahrkarten. Als sie dies verweigerten, wurde der Wagen stillgesetzt und sie aufgefordert, abzusteigen. Einer der Soldaten machte daraufhin von der Waffe Gebrauch und feuerte drei Schüsse auf den Schaffner ab, wobei er ihn schwer verletzte. Der andere Soldat setzte die Kurbel auf volle Fahrt. Er wandete sich darauf um und gab blindlings Schüsse ab, dabei wurde ein Schuhmachermeister Stockhorst aus Essen-Altendorf, Unterdorfstr., durch einen Kopfschuss so schwer verletzt, dass er gleich darauf verstarb. Die ruchlosen Täter wurden von der Polizei festgenommen, und die Mordkommission begab sich zum Tatort.

Fleisch ist Luxus

EVZ, 4. Februar 1923.

Die Lebensmittelversorgung hängt stark vom Eisenbahnverkehr ab. Die Generalverkehrsleitung West hat versucht, alle Stockungen und Verstopfungen zu beseitigen. Durch die Einrichtung von französischen Kontrollstationen ist aber diese treffliche Arbeit gestört worden und so hat sich besonders hinsichtlich der Fettversorgung ein Mangel eingestellt. Fleisch ist schon zu einem Luxuslebensmittel geworden. Die Versorgung der Pferde wird auch immer schwerer.

Offiziere attackieren Schupo

EVZ, 6. Februar 1923.

Ein Beamter der hiesigen Schutzpolizei, der vorübergehende französische Offiziere nicht grüßte, wurde gestern mittag von den vorbeigehenden Offizieren angehalten und mit den Fäusten ins Genick und ins Gesicht geschlagen.

Einig und entschlossen im Abwehrkampf

EVZ, 7. Februar 1923.

Reichskanzler Cuno hat dem Ruhrgebiet einen Besuch abgestattet. Durch seine Reise hat er sich über den Stand der Dinge informieren wollen. Aus seinen Äußerungen geht hervor, dass er allenthalben auf den festen Entschluss der bedrückten Bevölkerung gestoßen ist, einig und geschlossen den Abwehrkampf zu führen.

Franzosen reißen Schienen auf

Seit dem 1. Februar, dem ersten Tage der Kohlesperre, sind von unseren Eisenbahnern noch 100 Kohlenzüge ins unbesetzte Gebiet abgefahren worden. Durch Aufreißen der Schienen haben die Franzosen diese Wege jetzt unbefahrbar gemacht.

Loewenstein spendet halbe Million

Die vom Verband des Einzelhandels von Groß-Essen eingeleitete Sammlung für die durch die Besatzung in Not Geratenen hat bis Ende voriger Woche folgendes Ergebnis gezeitigt: Warenhaus Althoff 3.000.000 Mark, Gebr. Loewenstein, Essen Borbeck, 500.000 Mark (...)

Geburtstag in Borbeck

EVZ, 10. Februar 1923:

Frau Heinrich Kirchmann, E.-Borbeck, Fürstenstraße, erreichte das schöne Alter von 83 Jahren. Frau Kirchmann erfreut sich der besten Gesundheit. Möge sie noch manche Jahre rüstig verleben.

Zum Bild oben: Die Essener Innenstadt um 1920. Am rechten Bildrand das Münster, in der Mitte der Burgplatz. Hinten die im Krieg zerstörte evangelische Kirche. Diese Ansichtskarte sandte ein fanzösischer Besatzungssoldat 1923 in die Heimat. (Sammlung A. Eickholt)

Quelle: Haus der Essener Geschichte / www.zeitpunkt.nrw - zusammengestellt und bearbeitet von Andreas Eickholt

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