Und die Kleider! Du hörst bloß Seide rauschen!

"Wie einst im Mai": Ein Briefwechsel von Eheleuten anno 1910 - eine Serie von Reinhilde Willwerth und Susanne Hölter

0 12.05.2021

"Die Bäder greifen an", schreibt der herzkranke Kruppianer Adam Theisen seiner Frau Anna. Die Firma Krupp hatte den Former 1910 zur Kur nach Bad Nauheim geschickt. Von dort aus sendet der siebenfache Vater seiner Frau und den Kindern liebe Grüße nach Altendorf, wo die große Familie lebt. Adam staunt über die Mode in Nauheim, wo die Frauen "Hüte groß wie Wagenräder" tragen und Anna schreibt, über die Kinder. Christine, zum Beispiel, tritt in Hardenberg (Neviges/Bild oben) in die Kongregation ein. Der Briefwechsel aus dieser Zeit wird hier Wort für Wort wiedergeben - mit allen orthografischen Eigenheiten. Familienfotos stammen aus der Sammlung Reinhilde Willwerth.

Essen, den 5.5.1910

Lieber Gatte und Vater!

Wie freuten wir uns also wir Deinen lieben Brief erhielten u. daraus ersahen daß Du so schön Unterhaltung gefunden. Gedenkst Du auch mal ins Kurhaus zum Konzert zu gehen? Ich möchte es gerne, dann könntest Du uns auch mal erzählen wie es da zugeht. Aber froh bin ich, daß Du deine Uhr jetzt da hast. Wie ist es mit der Wäsche? Bekommt Ihr dieselbe gewaschen?

Ich habe am Dienstag das Geld an der Krankenkasse geholt 4,50 Mark, den Tag wie du auch gesagt hattest.

Jetzt am kommenden Sonntag will Christine gerne mit nach Hardenberg gehen nicht zu Fuß sondern fahren, wir wollen es ihr erlauben nicht wahr Papa! Am 29. Mai wird sie in die Kongregation aufgenommen, u. wie sie Dir ja schon geschrieben hat sie sich schon eine Stelle gesucht heute in acht Tagen tritt sie ein und am Mittwoch den 11. Mai zieht von der Münsterkirche eine Prozession nach Werden zu Fuß ich will dieselbe mitmachen, dann kannst Du mal an mich denken wir mir denn wohl wird sein son weiten Weg machen.

Kannst Du Dir wohl die Freude vorstellen beim erhalten der Pfennige, jetzt kann Jettchen wieder Bumbas kaufen nun aber schnell Mama Jettchen anziehen der Papa ist aber lieb.

Das Neueste: Deine Schwester Lischen hat einen kleinen Sohn erhalten. Onkel Johann u. Deine Mutter sind die Paten geworden.

Hiermit wollen wir schließen u. hoffen daß Dich unser Brief so gesund u. munter antrifft wie er uns verläßt und sei recht herzlich gegrüßt u. geküßt von

Deiner Frau u. Kinder

Lege Dir ein paar Freimarken bei dann hast Du direkt welche zur Hand. Hast Du auch den Kragenschoner erhalten ich hatte denselben bei Sprenger abgegeben, er wollte ihn um die Uhr wickeln.

Nauheim, 7. Mai 1910

Liebe Frau und Kinder

Euren l. Brief habe ich am 6. Nachmittags erhalten. Ich war am Schlafen, und die Schwester wollte mich nicht wecken, sie sagte nachher zu mir Sie hätte mich an die Nase gefaßt aber ich wäre nicht wach geworden. Sie hatte den Brief auf meine bloße Brust gelegt um mich zu überraschen, was sie auch bezweckt hat. Ich bekam sofort andere Gedanken. Denn es ist nicht so leicht, von der Familie foort zu sein und das schon 1 ½ Woche und keinen davon zu sehen. Ich hoffe deshalb, das Ihr ale noch gesund und munter seid.

Die Bäder welche ich jetzt bekomme greifen an, man ist Müde danach, aber sonst ganz wohl. Ich habe von Elberfeld Geld bekommen und bin sehr zufrieden damit. Ich gehe jeden Tag ins Konzert. Morgens um ½ 9 und um 4 Uhr. Da kannst Du was sehen. Die Hochwelt ist da vertreten. Wenn das in Essen zu sehen währe. Die Mode, Ihr würdet staunen und stehen bleiben aber hier wissen die Leute nichts davon, als müßte das so sein. Frauenhüte wie die Wagenräder einer noch schöner wie der andere, aber hier fällt das gar nicht auf als wenn das so müßte sein, und die Kleider du hörst blos Seide rauschen, ja hier gehen einem die Augen auf.

Die Wäsche müssen wir uns waschen lassen und die ist nicht so billig. Taschentücher habe ich mir selber gewaschen, und mit der anderen werde ich wohl auskommen.

Den Schoner habe ich mit der Uhr bekommen. Mit der Hessenwurst, das ist schon so was. Die ist theuer, gewöhnliche kostet 85-90 Pf. Die andere 135 Pf. Und noch schlechter als die Konsumwurst zu 40 Pf. Und noch 50 Transport. Das währe aber theure Wurst, dann kauft Euch lieber welche in Essen. Ich habe nichts dagegen das Ihr die Wallfahrt macht betet aber auch ein Vaterunser für mich. Ich werde nach Elberfeld schreiben und mich bedanken, u. das Lieschen einen Sohn bekommen hat.

Christine kann hier bei uns als Dienstmädchen kommen. 10 M. Lohn von Morgens ½ 6 bis abends um 9 Uhr und dann immer tätig, also es wird nichts geschenkt. Das sich Jettchen über den Pfennig gefreut hat, freut mich auch. Also hier 3 Pf. für Lisbet, Anna und Bumbas. Auf nach Hasenkamp.

Waß hast Du liebe Frau wohl bei der schönen Karte gedacht. Ich an unsere Jugendzeit. Das war doch auch schön nicht wahr. Ich habe von keinem bis jetz Antwort erhalten auch nicht von Elberfeld. Ich will aber doch noch nach Rotthausen schreiben. Wenn es nicht ganz schön ist, da fahre ich wohl nach Friedburg, da soll es auch sehr schön sein. Ich schicke Euch von da aus eine Ansichtskarte wie die Leute sich da kleiden. Ich will schließen in der Hoffnung das Euch der Brief gesund und munter antrifft wie er mich verlassen hat. Es grüßt Euch alle vielmals

Dein lieber Mann und Vater Adam.

Die ersten Bäder kosteten ein Bad 1 Mark und 25., und die jetzigen 165 Pf. Gestern hat es den ganzen Tag geregnet, und heute wird es dann anscheinend nicht nicht besser. Es läß sich aber nicht ändern. Wir sind mit 4 Mann auf ein Zimmer. Ein Berliner, ein Türinger Kaufmann, einer von Worms u. ich aus Essen und können uns gut verstehen. Ich bin froh das ich ins Stift gekommen bin. Die in der Stadt, da müssen die Leute Hunger leiden, sie gehen in die Läden und kaufen sich was zu Essen. Du sihst unser einz wird nur ausgebeutet. So geht es hier und überal. Wir im Stift können uns aber nicht beklagen. An dem Fleisch war wir bei jeder Mahlzeit bekommen, können wir uns allein satt Essen. Gruß an alle Verwandte und Bekannte, aber besonders an dich.

Es grüßt Euch Dein Mann und Euer Vater Adam

Über Hüte so groß wie Wagenräder staunt Adam im mondänen Kurort Bau Nauheim. Selbst die Kinder sind herausgeputzt.

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 4 und 3.